Mit ihrem ETHNO-Projekt, das bis 2019 vom Bundesjugendministerium aus dem Innovationsfonds des Kinder- und Jugendplans gefördert wird, betritt die JMD auf drei Ebenen Neuland: Erstens geht es statt um hochkulturelles Musizieren um ein niederschwelliges, im wahrsten Sinne „volkstümliches“ Musikformat: das notenlose Weitergeben, Arrangieren und Ensemblemusizieren von Melodien aus Ländern der Welt. Prinzipiell kann jeder mitmachen, weshalb sich ETHNO für Schule, Musikschule und kulturelle Jugendarbeit eignet. Zweitens erfordert ETHNO eine ganz andere Didaktik, der es um die Qualität des unmittelbar gestalteten Musikerlebnisses geht: Denn idealerweise bringen sich Teilnehmer gegenseitig „ihre“ Tunes bei, und der „Lehrer“ wechselt in die Rolle als Coach der Gruppenprozesse und als Moderator des musikalischen Geschehens. Und drittens geht die Akademie vor Ort – vor allem, um den Teilnehmenden entgegen zu kommen, aber auch, um mit diesen ein lokales ETHNO-Netzwerk zu knüpfen.
Ausgangspunkt ist das seit Jahren in vielen Ländern erfolgreiche Format der ETHNO Music Camps der Jeunesses Musicales International (JMI). So empfängt auch die JMD seit Jahren rund 50 junge Folk-Musiker aus allen Kontinenten auf Burg Lichtenberg in der Pfalz, wo in einer Woche eine musikalische Community als „Utopie“ einer wertschätzend mit Individuen und Diversität umgehenden Welt-Gesellschaft entsteht. Dieses Potenzial, welches das ETHNO-„Musicking“ in Sachen Inklusion entfalten kann, in Formate zu gießen, die mit Kindern und Jugendlichen in lokalen musikalisch-pädagogischen Räumen realisiert werden können, ist nun Ziel des gegenwärtigen Pilotprojekts. Nach einem ersten Pilot in Stuttgart startet jetzt nach einer Revisionsphase eine zweite Implementierung in Mannheim. Schlüsselelement ist die ETHNO-Leader-Fortbildung – ein mehrteiliger Learning-by-doing-Workshop – für jeweils circa zwölf Musikschullehrkräfte, Schulmusiker, Studierende oder freie Kulturarbeiter. Bestandteil dieser Fortbildung ist auch die Begleitung der Teilnehmenden bei Umsetzung der Inputs in deren Praxisfeld. An der Stuttgarter Musikschule gibt es ein multikulturelles Ensemble und ETHNO-Stuttgart als offenes Angebot mit weiteren örtlichen Partnern.
Eine Teilnehmerin brachte ETHNO in ihre Chorarbeit ein und sogar in das Musizieren mit Eltern-Kind-Gruppen. Ein Schulmusiker begeistert damit in seinen Chorproben, ein anderer freut sich über stark motivierende Effekte vor allem der Jungen in seinem Unterricht. Die Stuttgarter ETHNO-Präsentation vor den Sommerferien überzeugte durch „authentischen Schwung“ des Musizierens und gab sogar Kindern der Musikalischen Früherziehung eine Rolle im Ensemble.
Die Erfahrungen, Fragen, Erfolge und Probleme aus der Praxis der Musikpädagogen sind, weil „user-generated“, extrem relevant: Peer-Learning im Kollegenkreis bringt mehr als systemisches Vorratslernen. Zur Unterstützung während ihrer Praxisphase werden den Teilnehmenden Mentoren zur Seite gestellt, ETHNO-Fachleute, die als Ansprechpartner, Ratgeber, Critical Friends fungieren, aber auch für Feedback an die Projektleitung sorgen. Stand im ersten Durchgang mit „Folklang Tübingen“ ein gut funktionierendes lokales ETHNO für Hospitationen zur Verfügung, so kommen bereits jetzt durch neu ausgebildete Leader ETHNO-Aktivitäten in Stuttgart und Ludwigshafen dazu – und schon entstehen Verbindungen aus dem lokalen Netzwerk der Fortbildungsgruppe heraus zur nächsten benachbarten ETHNO-Initiative.
Ebenfalls vernetzend wird eine webbasierte Plattform als mittelfristiges Projektziel aufgebaut, die gemeinsame Materialien und didaktische Beispiele aus der Praxis verfügbar macht, auf kuratierte Tunes verlinkt sowie einen Terminkalender und natürlich die Kontakte beinhaltet. Sollte das Pilotprojekt Ende 2019 nachhaltig wirksame Implementierungen und den Kern eines fachlichen ETHNO-Netzwerks zeitigen – als Anschlussförderung steht bereits eine Zusage der Stiftung Landesbank Baden-Württemberg –, dann könnte sich aus den Elementen Workshops, Peer-Learning, mutige eigene Praxis und Networking eine Art „mobile“ und agile ETHNO-Akademie entwickeln, deren ideelle Mitte aber aus Weikersheim wirkt.