Musizieren fördert den Menschen. Aber es fordert ihn auch. Deshalb hat die Stiftung Schloss Kapfenburg mit ihren Partnern 2009 das Projekt „gesunde musikschule®“ ins Leben gerufen. Es ermöglicht Schüler:innen zertifizierter Musikschulen von Anfang an, das notwendige Wissen im Bereich Musikergesundheit zu erwerben.
Schloss Kapfenburg bei Lauchheim, ein schöner Herbsttag vor mittlerweile 17 Jahren. Ein Nachwuchsorchester ist zu Gast in der Internationalen Musikschulakademie, die jungen Musiker:innen bereiten sich auf ein Konzert vor. „Wenn du noch keine Sehnenscheidenentzündung hattest, hast du nicht richtig geübt!“, sagt die eine Violinistin in der Mittagspause zur anderen, keine der beiden ist älter als 16 Jahre. Akademiedirektor Erich W. Hacker, der den Satz im Vorbeigehen hört, stockt. Er musste sein Klarinettenspiel wegen eines Klarinettendaumens und einer Kiefergelenksentzündung einschränken. Die Aussage des jungen Mädchens bringt ihn daher ins Grübeln, die Unwissenheit, die dahintersteckt. Ihm ging es früher schließlich nicht anders.
Hacker zögert daher nicht lange und nutzt die guten Kontakte der Stiftung. 2005 wurde daraufhin eine empirische Studie durchgeführt, 705 junge Musiker:innen aus Leistungsorchestern nahmen teil. Auf einem standardisierten Fragebogen machten sie Angaben zu Punkten wie psychischer Gesamtbelastung, Gesundheitszustand, Praktiken des Übens und Gesundheitsbeschwerden. Das Ergebnis war ernüchternd. So gaben 24 % der Teilnehmenden an, Beschwerden nach dem Spiel zu haben, bei 30 % traten diese während und nach dem Spiel auf. Präventive Maßnahmen wurden von den Betroffenen erst nach Eintritt gesundheitlicher Probleme ergriffen. Zudem gaben die jungen Musiker:innen an, Informations- und Wissensdefizite bezüglich Entspannungs- und Stressbewältigungstechniken zu haben, signalisierten jedoch großes Interesse, die Methoden in den Musikunterricht und die Proben einzubauen.
Die Ergebnisse der Studie führten zur Idee für das Projekt „gesunde musikschule®“: die Erkenntnisse der Musikermedizin und Musikphysiologie sollten alltagstauglich und praxisnah in den Musikschulunterricht integriert werden.
Nach vier Jahren Konzeption ließen 2009 die ersten acht Musikschulen Mentor:innen ausbilden. In mehreren vom Freiburger Insititut für Musikermedizin konzipierten Modulen wurden Inhalte wie Körperwahrnehmung und Somagogik, die physiologischen Grundlagen des Musizierens und die psychologischen Aspekte beim Musizieren vermittelt. Da die Mentor:innen die Inhalte später an ihrer Musikschule umsetzen sollten, wurde ein weiterer Ausbildungsschwerpunkt auf die schülerorientierte Anwendung in der Praxis gelegt.
Nach Abschluss der Weiterbildung und der Implementierung der Inhalte an der Musikschule erhielten die ersten Musikschulen das Zertifikat „gesunde musikschule®“. Dazu gehörten unter anderem die Musikschule Tettnang oder die Musikschule Ebermannstadt, die seitdem ihr Zertifikat alle zwei Jahre erneuert haben. Mittlerweile haben Musikschüler:innen in bundesweit 59 Städten die Möglichkeit, eine „gesunde musikschule®“ zu besuchen und die optimale Ausbildung am Instrument zu erhalten. Darunter sind Musikschulen wie Hamburg und Bremen sowie zahlreiche Schulen in Baden-Württemberg.
Nicht nur die Schüler:innen profitieren vom Status „gesunde musikschule®“, auch die Musikschulen selbst. Denn mit dem Zertifikat haben sie ein Alleinstellungsmerkmal, mit dem sie sich deutlich von anderen Musikschulen abheben. Dies bietet auch Chancen auf fruchtbare Kooperationen mit musisch-kulturellen, gesundheitlichen, sozialen und bildungspolitisch engagierten Vereinigungen.
Sie nehmen damit eine aktive Vorreiterrolle in der Bildungslandschaft ein und sind die ersten Einrichtungen, die den Trend erkannt haben, der in wenigen Jahren eine Selbstverständlichkeit sein wird – die Integration von Gesundheit in den Lebensalltag. Während andere später nur reagieren können, agieren sie bereits jetzt und haben die Möglichkeit, die Zukunft mitzugestalten.
Die Wichtigkeit einer gesundheitlichen Ausbildung von Kindesbeinen an ist auch den Krankenkassen bewusst. Allen voran nimmt die Techniker Krankenkasse als Partner der Stiftung im Projekt eine Vorreiterrolle ein und unterstützt das Projekt „gesunde musikschulen®“ auch finanziell. Weitere starke Partner sind der Landesverband der Musikschulen Baden-Württembergs e.V. und die DRV BW.
Die nächste Mentorenausbildung „gesunde musikschule®“ beginnt im November 2021. Mehr Informationen und Anmeldung auf www.schloss-kapfenburg.de im Bereich „Bildung & Gesundheit“. Die Studie zur Musikergesundheit kann auch dort bestellt werden.