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Global Music – Musikbezogene Aktivitäten im Internet

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Technofans, Deadheads und ResRocket: Wie sieht die musikalische Jugendkultur im World Wide Web heute aus?
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Medien sind seit langem ein selbstverständlicher Teil des jugendlichen Alltags. Besonders die Musikmedien Schallplatte/CD und Radio, in den letzten Jahren aber auch das Musikfernsehen, sind hier zu nennen. Schon bald wird das Internet ebenfalls dazugehören, da Jugendliche und junge Erwachsene die Vorreiter in seiner Nutzung sind. Inzwischen werden immer mehr Schulen ans Netz angeschlossen, so daß das Internet mit seinen Inhalten und Kommunikationsformen auch Medium und Thema des Musikunterrichts werden kann. Das Interesse an Musik bietet sich für die Darstellung der Internetnutzung besonders an, da es seit den Anfängen des Internets in den 60er Jahren für viele ein wichtiges Motiv ist, sich diesem Medium zuzuwenden. In meiner Darstellung konzentriere ich mich auf die musikbezogenen Aktivitäten von Jugendlichen, weshalb die Musikbeispiele ausschließlich aus dem Popularbereich kommen. Informationsquelle Das Internet kann als eine riesige Datenbank, voll von wichtigen und unwichtigen Informationen über Musik begriffen und genutzt werden. Da sind zum einen die einen immer größeren Raum einnehmenden industriellen Angebote. Die Musikindustrie nutzt das neue Medium als Werbefläche, um ihre Produkte bekannt zu machen, sich ein modernes Image zu geben und vor allem, um frühzeitig Marketing-Erfahrungen in diesem Bereich zu sammeln. Es gibt Informationen über das jeweilige Angebot (Künstler, Musiksoftware, Equipment) in Text und Bild. Auf manchen Seiten können inzwischen auch Audiodateien abgerufen werden. Verschiedentlich wird auch versucht, direkt über das Internet Tonträger zu verkaufen. Neben diesen kommerziell motivierten Angeboten finden sich eine Unzahl von Seiten, die von Fans und/oder MusikexpertInnen gestaltet werden. Zu fast jedem nur etwas bekannteren Musiker kann etwas gefunden werden, aber auch alle anderen Themen mit Musikbezug (Labels, Equipment, Musiksoftware usw.) werden verhandelt. Musikinteressierte Internet-Neulinge suchen den ersten Zugang zum Medium häufig dadurch, daß sie recht ziellos z.B. die verschiedenen Seiten nach Interessantem durchstreifen oder auch gezielt nach Informationen suchen. Nicht selten sind diese Versuche anfangs recht enttäuschend, da sich in dem gewaltigen Datenpool kaum Interessantes zu befinden scheint. Es fehlen die richtigen Strategien sich zurechtzufinden. Eine weitere Form der Informationsbeschaffung ist es, in direkten Kontakt mit anderen InternetnutzerInnen zu treten. Dies kann z.B. in sogenannten Newsgroups geschehen. Newsgroups sind themengebundene Gesprächsforen. Jeder kann die in Newsgroups gesammelten Beiträge lesen und darauf entweder öffentlich für alle TeilnehmerInnen reagieren, oder direkt an den/die AutorIn schreiben. Bei einigen Newsgroups kann man sich als Mitglied eintragen, um dann alle neuen Beiträge automatisch zugeschickt zu bekommen. Newsgroups, die sich mit Musik in unterschiedlichster Weise beschäftigen, gibt es seit Mitte der 80er Jahre. Heute sind es mehr als 100, bei denen populäre Musik natürlich dominiert. Zu bekannteren Stars oder Musikrichtungen existieren eigene Diskussionsforen, aber auch Spezialthemen haben ihre Nischen. MusikerInnen haben ihre eigenen Newsgroups, in denen sie sich über die unterschiedlichen Aspekte des Musikmachens austauschen. Besonders rege Aktivitäten finden sich im Netz bei aktuellen Anlässen. „Als beispielsweise der Komponist und Musiker Frank Zappa Ende 1993 verstarb, konnten Fans und andere Interessierte wohl nirgendwo so viele Informationen zu Leben und Werk oder geplanten posthumen Plattenveröffentlichungen finden, als im Netz. Die Berichterstattung von Fernsehen, Radio und Presse nahm sich dagegen vergleichsweise bescheiden aus“ (Wetzstein u.a. 1995, 63). Andere Formen der Kommunikation bieten die sog. „Chats“, hier kann man sich via Tastatur miteinander unterhalten, da das Geschriebene sofort auf den Bildschirmen der anderen am Gespräch Beteiligten erscheint. Manchmal laden auch bekannte MusikerInnen zu Chats im Internet ein, an denen sich jeder beteiligen kann. Als weitere Kommunikationsmöglichkeit ist noch das direkte Anschreiben anderer Personen (die sogenannte E-mail) zu nennen. Virtuelle Gemeinschaften Die letzteren Beispiele deuten schon an, daß die Nutzung des Internets schnell zu mehr als einer Recherche in einer Datenbank werden kann. Zwar findet das „Surfen“ im Internet meist allein vor dem Computer statt - auch wenn durch „Internet-Cafés“, die Bildung von Internet-Arbeitsgruppen in Schulen oder das öffentliche Aufstellen von Computern mit Internetanschluß erfolgreich eine Popularisierung und soziale Einbindung gesucht wird. Selbst alleine zu Hause vor dem Gerät sitzend, braucht man sich dennoch nicht allein zu fühlen. Wer regelmäßig die Beiträge in den Newsgroups verfolgt, wird bald mit anderen aktiven NutzerInnen bekannt. Dadurch daß sich die verschiedenen Beiträge aufeinander beziehen und überwiegend sprachlich locker mit persönlicher Anrede formuliert sind, kann ein Gefühl von Gemeinschaft und Verbundenheit entstehen. Begriffe wie „Netzwerker“ und „elektronische Gemeinschaft“, machen deutlich, daß das Internet nicht nur ein Raum für einsame Ausflüge am Computer ist, sondern in vielfältiger Weise Gemeinschaft ermöglicht. Viele Beiträge in den Musik-Newsgroups sind auf der sachlichen Ebene eher belanglos. Die Musik ist nur der Anlaß, zueinander zu finden. Sie scheint hierfür besonders geeignet, haben doch die großen musikalischen Strömungen weltweit Anhänger, so daß eine Verständigung über die Ländergrenzen hinaus möglich ist. Die gemeinsamen Musikvorlieben geben die Sicherheit, im Kreis Gleichgesinnter zu sein. Wichtiger als das Gespräch über Musik sind häufig die Bekundungen der eigenen Existenz und der dringende Wunsch nach Reaktionen auf die eigenen Äußerungen. Auch wenn man sich niemals persönlich gesehen hat, entstehen dabei – vielleicht ähnlich wie bei Personen aus besonders interessanten Büchern oder bei Brieffreundschaften – genaue Vorstellungen vom Gegenüber. Die Vertrautheit kann soweit führen, daß neben den themenbezogenen Beiträgen auch rein Persönliches (Geburtstage etc.) zur Sprache kommt. Wer für einige Zeit nicht erreichbar ist, meldet sich bei den andern TeilnehmerInnen ab. Hat sich eine TeilnehmerIn länger nicht mehr gemeldet, kann dies auffallen. Manche der durch das Internet miteinander bekannt gewordenen Chat-TeilnehmerInnen treffen sich auch offline am vierzehntätigen Stammtisch oder veranstalten „Internet-Relay-Chat-Parties“. Wie wichtig und stabil Netzgemeinschaften für die einzelnen Mitglieder sind, hängt auch davon ab, aus welchen Gründen sie zusammengefunden haben. Je stärker das Interesse, je größer die Hilfe ist, die aus der Nutzung erwächst, und je kleiner die Interessengruppe ist, die sich zusammenfindet, desto verbindlicher wird sich die Gemeinschaft konstituieren. Ein gutes Beispiel für eine intensive Netzgemeinschaft sind die Anhänger-Innen der Gruppe „Greatful Dead“. Die „Deadheads“, wie sie sich selber nennen, reisten vielfach wie „Nomaden“ den Konzerten hinterher und bildeten dabei ein sehr ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl. Daneben haben sie sich mit dem WELL (Whole Earth “Lectronic Link) einen virtuellen Ort der Begegnung im Internet geschaffen. John Perry Barlow, Mitbegründer einer Organisation, die sich für die Förderung der Meinungsfreiheit im Internet einsetzt, aber auch Songschreiber für „Greatful Dead“ und „Farmer“, berichtet hierüber: „Innerhalb des WELL befanden sich die Deadheads im Schoße ihrer Gemeinschaft. Es gab dort tausende von ihnen, die miteinander tratschten, sich beschwerten (meistenteils über die „Grateful Dead“), einander Trost spendeten oder auf den Nerven herumtrampelten, Tauschgeschäfte tätigten, Religion betrieben (oder zumindest ihre totemistischen Set-Listen austauschten), Liebesaffären anfingen oder beendeten, und gegenseitig für ihre kranken Kinder beteten“ (Barlow 1995, 131). Barlows anfängliche Begeisterung, die in der eben zitierten Äußerung mitschwingt, ist inzwischen einer skeptischeren, differenzierteren Haltung gewichen. Aber noch heute ist für ihn das Internet ein Ort, in dem es zu menschlicher Begegnung kommen kann. Neben dem „Well“ gibt es eine Fülle von anderen Seiten, wo sich Deadhead-Kultur entwickelt. Manche gut betreuten Seiten im Internet lassen erahnen, wie komplex und differenziert sich jugendkulturelle Zusammenhänge in virtuellen Gemeinschaften heute manifestieren können. Musik ist hier nur ein, wenn auch unverzichtbarer Bestandteil. Als Beispiel hierfür habe ich den Technobereich gewählt, da er im Netz besonders häufig vertreten ist. Für den Techno- und Ambientbereich gibt es in Großbritannien seit 1993 Newsgroups. Inzwischen ist eine unübersehbare Fülle von Seiten im Internet hinzugekommen. Die allgemein anerkannt wichtigste Seite für die Techno/Ambient-Szene im Internet ist „Hyperreal“ . „Hyperreal“ dient - nach eigener Aussage - „as an archive of the digital expression of the world-wide rave scene. Whether you go to parties 5 times a week or have never stayed up past 2 a.m., you should walk away with something new every time you visit ...“ Die Breite des Angebots auf den Seiten von Hyperreal überrascht. Musik steht natürlich im Mittelpunkt. Es finden sich Informationen über Stilrichtungen, aktuelle Musikveröffentlichungen und Fanzines. Zu einzelnen Titeln können Audiodateien abgehört und einzelne kurze Videos betrachtet werden. Daneben gibt es Buchbesprechungen, einen Pressespiegel und analytische Texte zum Musikschwerpunkt. Grafische Kunst (Flyer, Plakate) kann betrachtet oder auf den eigenen Rechner zur weiteren Verwendung kopiert werden. Neben der Musik wird aber auch über das besonders in dieser Szene präsente Thema Drogen ausführlich informiert. Nicht nur in dieser Szene ist musikindustrielle Vermarktung und authentische Jugendkultur kein Gegensatz, sondern Voraussetzung und deshalb selbstverständlicher Bestandteil. Auf den Seiten von „Hyperreal“ finden sich diverse Sponsoring-Hinweise. Auch die bekannteste deutsche Technoseite wird wesentlich von ihren Sponsoren im Erscheinungsbild geprägt. So wirbt beispielsweise der Zigarettenkonzern „Camel“ auf eigenen Seiten für den „Camel Airrave“. Der spielerische Umgang mit der Warenwelt wird besonders deutlich, wenn Warenlogos verfremdet werden. So wird auf einer kroatischen Technoseite aus der Packungsaufschrift „Smarties“ durch die Veränderung zweier Buchstaben bei gleichbleibendem Design die Aufschrift „Parties“. Kreativität und Engagement Unter Verweis auf Jugendkulturen ist in den letzten Jahren vielfach die kreative Aneignung von Objekten, ihre Einordnung in einen anderen Sinnkontext herausgestellt worden. Die Medien stellen heute eine Überfülle symbolischen Materials zur Verfügung, deren sich Jugendliche in ganz unterschiedlicher Weise bedienen, um ihre individuelle Lebenswelt zu gestalten. Die technischen Gegebenheiten des Internets machen dies besonders leicht. Fremde und eigene Texte, Grafiken und Audiodateien können problemlos kopiert werden, um sie dann eventuell bearbeitet wieder in andere Kontexte einzufügen. Das Basteln an den eigenen Webseiten ist ein niemals endender Prozeß. Der häufig zu findende Hinweis „under construction“ auf Webseiten ist Ausdruck für den ständigen Umbau. Nichts ist jemals wirklich abgeschlossen, der Wandel ist der Zustand. Die vielen liebevoll und aufwendig selbstgestalteten Fan-Seiten über MusikerInnen und Musikgruppen belegen, wieviel Engagement und Kreativität in diese Tätigkeiten einfließen können. Nicht selten sind diese von Musikbegeisterten gestalteten Seiten wesentlich „schöner“ und kompetenter gestaltet als die offiziellen Seiten der Musikindustrie. Es finden sich alle Formen von Fanaktivitäten: Da ist der „seriöse“ Fan, der im Stile „offizieller“ Kultur akribisch alles aus seiner Sicht Wissenswerte zusammenträgt, wie auch der leidenschaftliche Fan, der spontan (selbstgestaltete) Grafiken, Sound usw. zusammenfügt, bis hin zu Kuriositäten, wie die Auflistung von „akustischen Anomalitäten“ in Beatles-Aufnahmen. Musikmachen Abschließend sollen noch einige Formen des aktiven Musikmachens angesprochen werden. Die einfachste Möglichkeit ist sicherlich, sich Audiodateien aus dem Netz zu holen und dann auf dem eigenen Rechner weiterzuverarbeiten. Ganz „MIDI-Farmen“ und eine Unmenge von Audiodateien in unterschiedlichen Formaten stehen zur Verfügung. In manchen Musik-Newsgroups findet ein reger persönlicher Austausch von Audiodateien statt. Eine besonders interessante Form, die über den bloßen Austausch hinausgeht, haben an der Cäcilienschule in Oldenburg der Musik- und der Informatiklehrer in Kooperation initiiert. Im Musikunterricht komponieren SchülerInnen kurze musikalische Grundideen, die sie dann als MIDI-Dateien über das Internet an Schulen in Tokio, Stuttgart und Paris verschicken. Sie werden von den dortigen SchülerInnen weiter verarbeitet und dann nach Oldenburg zurückgeschickt. Die begleitende Korrespondenz erfolgt auf Englisch. Neben der Musik werden später auch Bilder und Informationen über die beteiligten SchülerInnen ausgetauscht. Inzwischen ist es auch zu persönlichen Begegnungen zwischen den Beteiligten gekommen. Eine andere Form des musikalischen Engagements sind die verschiedenen Musikmaschinen, die von allen zur Erzeugung von Musik benutzt werden können. Oft geht es um Technomusik, die hierfür besonders gut geeignet ist, da ihr relativ einfache Kompositionsprinzipien zu Grunde liegen: Es gibt keine Gesangsstimme, die rhythmische Aufteilung ist klar und einfach gegliedert, die Klänge werden synthetisch erzeugt. Mit Hilfe dieser Musikmaschinen können wie in einem Baukasten die in einem Archiv gespeicherten Audiodateien nach dem Willen der NutzerInnen aneinandergefügt werden. Zumeist sind die Möglichkeiten der Gestaltung (noch) sehr einfach. Das fertige Musikstück kann dann auf den eigenen Rechner geholt und dort abgespielt werden. Verschiedentlich finden sich im Netz Versuche, auch online in Echtzeit miteinander Musik zu machen. MusikerInnen auf der ganzen Welt sollen so miteinander verbunden werden, daß sie hören können, was die anderen gerade spielen, und dann ihrerseits mitspielen. Diese Möglichkeit ist - nach meinem Kenntnisstand - bisher technisch noch nicht in größerem Umfang realisiert. Ein besonders avanciertes Beispiel für dieses Bemühen ist „ResRocket“: „Music is the universal language, understood by everyone no matter where they live. The Internet is the universal communication network, allowing words, sound, image — and even personality — to transcend the boundaries of geography. „ResRocket“ Surfer has combined music with the Internet and built a place online where people all over the planet can groove together. So grab your instrument and get ready to jam!“ Anfangs war die Teilnahme an diesem Projekt kostenlos, heute wird - wie bei immer mehr interessanten Angeboten - eine monatliche Mitgliedsgebühr verlangt. „ResRocket“ ist wie ein Gebäudekomplex aufgebaut, in dem sich verschiedene Räume befinden. In manchen Räumen können sich die MusikerInnen unterhalten. Daneben gibt es drei Studios, in denen gemeinsam „gejammt“ werden kann. Die Verständigung und das Musizieren erfolgt mittels einer besonderen Software. Gemeinsam Musizieren heißt hier nicht zeitgleich, sondern daß die eigene, zu Hause erstellte MIDI-Spur sofort nach Fertigstellung - wie beim „Chat“ - auf dem Bildschirm der anderen beteiligten MusikerInnen erscheint. Diese können sie dann zusammen mit den schon vorhandenen Spuren des Arrangements abspielen, um anschließend darauf wieder musikalisch zu reagieren, in dem sie das vorhandene Material bearbeiten oder eine neue Spur hinzufügen. Eine ausführlichere Version dieses Textes inklusive Anmerkungen, Literaturhinweise ist im Internet abrufbar. Dort sind zahlreiche Links vermerkt, mit denen man die im Text angesprochenen Seiten erreichen kann.

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