„Just play, man! Das haben mir amerikanische Jazz-Musiker mitgegeben, mit denen ich gearbeitet habe. Wir müssen wieder verstehen lernen, dass Improvisation etwas ganz Natürliches ist. Im Leben improvisieren wir ja auch dauernd...“
Der Klarinettist Jean-Marc Foltz ist der Künstlerische Leiter des Improvisations-Festivals und Workshops Fantasiereisen – Festival für Neue Musik und Improvisation, das Ende November zum ersten Mal an der Musikakademie Schloss Weikersheim stattfindet. Innerhalb dieses Festivals bietet die Jeunesses Musicales Deutschland Workshops für Musikerinnen und Musiker aller Altersstufen und wendet sich durch die Breite des Angebots sowohl an diejenigen, die schon Erfahrungen im Bereich Improvisation haben, als auch diejenigen, die sich zum ersten Male daran wagen wollen.
Foltz, Dozent am Konservatorium in Straßburg, erfüllt sich mit diesem Kurs einen Traum: „Schon lange wollte ich mit den zwei Musikern, mit denen ich am längsten und am engsten zusammenarbeite, einen großen Kurs machen.“ Der Pianist Stephan Oliva und der Kontrabassist Bruno Chevillon gehören nicht nur in Frankreich zur Spitze der Avantgarde-Musiker, sondern sind auch in Deutschland und im restlichen Europa keine Unbekannten. In Weikersheim geben sie jeweils drei Workshops pro Tag, an jedem Abend finden zwei Konzerte statt und am letzten Morgen ein Teilnehmer-Abschlusskonzert.
Bruno Chevillon beschäftigt sich leidenschaftlich mit allem, was mit Klang und Klangfarbe zu tun hat, er ist vom Rock beeinflusst und theaterbegeistert – und seine Kurse werden um diese Themen kreisen. Stephan Oliva geht das Thema Improvisation aus der Sicht des Jazz-Musikers an: Er hat sehr viel für sich selbst und unterschiedliche Ensembles geschrieben und wird mit den Teilnehmer/-innen der Workshops untersuchen, wie man von einer schon schriftlich fixierten Idee zur Improvisation kommt – ein essentielles Thema des Jazz. Jean-Marc Foltz schließlich hat drei Schwerpunkte in seiner Arbeit: Zum einen hilft er den Kursteilnehmern, eine Antwort auf die Frage zu finden: „Ich will improvisieren, habe aber keine Ideen – was soll ich tun?“ Dann zeigt er, wie die Antworten auf Fragen, die sich Improvisatoren stellen mögen, in der Musik selbst liegen: Es geht also um fundamentale Techniken und Prozesse, die jeglichem Musikmachen zugrunde liegen. Und schließlich wird Foltz an Spontankompositionen arbeiten, oder, wie er es ausdrückt: „Zusammen improvisieren als Filmmusik für’s Ohr.“
In diesen Kursideen finden sich Grundzüge des musikpädagogischen Leitbilds der Jeunesses Musicales Deutschland, die die Musikakademie Schloss Weikersheim betreibt, und auch die für die JMD zentrale Trias „Mensch – Musik – Gemeinschaft“ spiegelt sich in den Fantasiereisen.
„Der Mensch ist Mittel- und Ausgangspunkt aller Musik“ – so heißt es schon im Kitzinger Manifest, das in den 50er-Jahren die inhaltliche Ausrichtung der JMD festlegte und in Grundzügen noch immer Bestand hat. Improvisieren heißt für Foltz, seine eigene Geschichte zu erzählen. „Immer wieder sage ich in Workshops: Keinem Komponisten wäre das eingefallen, was ihr gerade gespielt habt!“ Der einzelne Musiker wird auf sich selbst zurückgeworfen, auf seine persönliche und musikalische Geschichte, die Bestandteil seines Musiker-Daseins ist. Foltz meint, dass die Beschäftigung mit Improvisation zu einem entspannteren und authentischeren Umgang mit Musik und mit sich selbst führe, da man lerne, neue Fragen zu stellen, die einen nicht unter den Druck der Technik, der Perfektion, des Kunstwerks setzten, sondern die den Musiker in Kontakt mit sich selbst brächten.
Auf der Grundlage dieses Kontaktes verändert sich auch der Umgang mit der Musik selbst, oder mit dem musikalischen Material. Die Beschäftigung damit ist für die JMD der zweite zentrale Pfeiler nach und neben der im Humanismus verwurzelten Menschenbildung. Beim Improvisieren lernt man die Elemente und Strukturen von Musik von innen heraus kennen – man liest nicht darüber, man analysiert nicht nur, sondern erfährt am eigenen Leib, wie Musik entsteht. Und das kann zu sehr intensiven Erfahrungen führen, auch zur Entfaltung bisher unentdeckten kreativen Potentials. Improvisation ist für Foltz keine Frage von Form oder Stil, sondern eine Art Musik zu machen – ein Raum, in dem unterschiedlichste Strukturen und Formen von Musik entstehen können und beleuchtet werden.
In diesem Raum, und hier kommt der dritte Grundpfeiler des JMD-Leitbilds, nämlich die Gemeinschaft, ins Spiel, treffen unterschiedliche Sprachen, Horizonte, Geschichten aufeinander: „Beim gemeinsamen Improvisieren erzähle ich meine Geschichte anderen Musikern und vielleicht einem Publikum und messe sie an deren eigenen Geschichten. Es ist für uns drei essentiell, dass in diesem Festival so viele Wechselbeziehungen entstehen: Wir geben Konzerte, damit wir für die Teilnehmer als Musiker lebendig werden, damit sie das, was wir unterrichten, mit dem in Beziehung setzen können, was wir spielen. Sie werden zwischen den unterschiedlichen Klangwelten vergleichen, die wir ihnen anbieten. Wir geben ihnen die Möglichkeit, Improvisation als Zuhörer kennen zu lernen und als Musiker. Sie können alleine und gemeinsam Antworten auf Fragen zur Musik und zum Thema Improvisation finden – und ihnen werden, was wahrscheinlich noch wichtiger ist, neue Fragen dazu einfallen!“ So ist es vielleicht möglich, Improvisation von diesem Hauch des Mysteriums zu befreien, der bewirkt, dass man sie als Angelegenheit Eingeweihter oder Auserwählter betrachtet.
Fantasiereisen – Festival Neue Musik und Improvisation: 28. November bis 2. Dezember 2007 in der Musikakademie Schloss Weikersheim. Informationen und Anmeldung zum Festival unter www.jmd.info, sowie 07934/993 60. Informationen zur Musikakademie Schloss Weikersheim unter www.musikakademie-weikersheim.de