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Musikmentoren an der BDB Musikakademie. Foto: BDB Musikakademie
Musikmentoren an der BDB Musikakademie. Foto: BDB Musikakademie
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Interkulturelle Kulturarbeit

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Neue Ansätze an Bundes- und Landesmusikakademien – eine Übersicht
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Deutschland ist ein Einwanderungsland geworden – eine längst existierende Tatsache, die inzwischen gesellschaftlich wie politisch anerkannt ist. Etwa 20 Prozent aller Einwohner haben einen anderen kulturellen Hintergrund und sind gekommen, um hier zu bleiben. Viele Kulturinstitutionen haben erkannt, dass diese Entwicklung eine große Chance bedeutet: Kulturelle Potenziale der Migranten können neue Impulse bringen. Eine Öffnung in die bunter gewordene Gesellschaft ist eine Herausforderung, Kulturarbeit in den Dialog mit neuen Partnern zu bringen. Das Spannungsfeld ist weit: einerseits geht es um Authentizität und das Kennenlernen der kulturellen Praxen je anderer Kulturen, andererseits um Begegnung und den Versuch, etwas gemeinsam zu machen. Die Gratwanderung zwischen dem Respekt vor dem Ursprünglichen und dem „irgendwie etwas gemeinsam machen“, das möglicherweise Authentizität verbiegt, ist schwierig.

Die interkulturelle Kulturarbeit ist ein wichtiges Thema für alle, die an der Basis tätig sind. Musikschulen, allgemein bildende Schulen, Musikvereine, Chöre und Orchester stehen vor der Aufgabe, zielgerichtet Angebote zu konzipieren und zu gestalten. Eine Entwicklung, die sich schon heute im Lehrgangsportfolio der Akademien widerspiegelt und die zukünftige Ausgestaltung von Weiterbildungsangeboten prägen wird. Interkulturelle Öffnung spiegelt sich auch an der Vielfalt der Herkunft der Teilnehmenden in Kursen und Workshops an Akademien wider. Bisher sind Zielgruppen mit anderen als westeuropäischen kulturellen Hintergründen eher selten anzutreffen. Dieser Zustand befindet sich aber im Wandel. Öffentlich geförderte Musikakademien können auch anderen Musikpraxen, die durch Zuwanderung und Flucht bei uns heimisch werden, eine neue Heimat geben und somit heimatlos Gewordenen wenigstens klanglich ein neues Zuhause bieten. Nicht zuletzt können sie Orte sein, an denen Zusatzqualifikationen für Musiker und Musikpädagogen anderer Kulturen ermöglicht werden, damit diese sich auch in Deutschland in ihrem Beruf einbringen können. Akademien machen innovative Angebote auf Augenhöhe, sind Initiatoren für Kooperationen und Netzwerke und stiften so Kontakte, um Menschen gleich welcher Herkunft kulturell zu verbinden. Eine Übersicht über konkrete Beispiele soll dies veranschaulichen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben:

Musikakademie Sachsen-Anhalt

Die Musikakademie Sachsen-Anhalt ist mit einer Begegnungsveranstaltung unter dem Motto „all together now“ in einer Halberstädter Kirchengemeinde aktiv, wo sich Geflüchtete und Einwohner mit einer lebendigen Perkussion-Aktion begegnen. Das Jugendbarockorchester BACHS ERBEN wird im nächsten Jahr ein interkulturelles Musik-Tanz-Projekt auf die Bühne bringen.Landesakademie Ochsenhausen

Die Landesakademie Ochsenhausen organisiert seit Jahren einen internationalen Musikbasar, bei dem Kinder von Geflüchteten gemeinsam mit Kindern aus der Region ihre Musik präsentieren. Für Vorbereitungsklassen wurden Musikalisierungs-Programme entwickelt, die Sprachenlernen über Rhythmusspiele, Bewegungsspiele und Singeinheiten fördern.

BDB Akademie in Staufen

An der BDB Akademie in Staufen wurden mehrere Fortbildungen zum Thema interkulturelle Öffnung durchgeführt. Rund 40 BDB-Musikmentoren organisierten einen Tag der Begegnung in einer Flüchtlingsunterkunft, um über Bastel- und Spielaktionen sowie über gemeinsames Musizieren Kontakt zu den Bewohnern herzustellen (siehe Foto). In den Sommerferien bildete die Akademie rund 100 Menschen in mehreren Kursen zu Integrationsbotschaftern Musik aus. Diese Kurse liefen so erfolgreich, dass es im Dezember hierzu einen dritten Lehrgang geben wird. Die Multiplikatorenausbildung RhytMiXXX ist Teil des Interkulturellen Projekts „Mit offenen Armen“ des Landesmusikverbandes Baden-Württemberg, in der eine durch den Perkussionisten und Schlagzeuglehrer Arno Pfunder erarbeitete Piktogrammsprache so eingesetzt wird, dass das Konzept ohne Notenkenntnisse, überall und jederzeit durchführbar ist – in der Jugendkapelle und auf dem Probenwochenende genauso wie in der Erwachsenenbildung, in Kooperationen mit Schulen oder in der Flüchtlingsarbeit.

Landesmusikakademie Berlin

Die Landesmusikakademie Berlin bietet im Bereich der pädagogischen Arbeit Angebote für Erzieher/-innen aus bilingualen Kitas, Kurse zur Sprachförderung mit Liedern für Lehrkräfte aus Willkommensklassen, Kurse zum Einstieg in die arabische Musiktraditionen für Musikschullehrkräfte oder auch Projektangebote für Berliner Grundschulkinder, die diverse Sing- und Trommeltraditionen aus anderen Kulturen in den Blick nehmen. Auch im Bereich der Laienmusik öffnen sich für Singbegeisterte neue Horizonte bei Kursen zu ukrainischer oder syrischer Musik und Trommelbegeisterte erleben Workshops mit außereuropäischer  Perkussion. Im unmittelbaren Umfeld der Akademie untergebrachte Flüchtlinge konnten Trommel- und Tanzworkshops als Schnupper- und Willkommensangebot wahrnehmen. Hinzu kommen Angebote wie Masterclasses für die türkische Langhalslaute Baglama sowie Bühnenpräsentationen von Musikensembles aus anderen Kulturen auf den Festivals der Akademie. Nicht zuletzt ist das Thema Interkultur auch in der Altenpflege angekommen. Pflegekräfte haben die Möglichkeit, Lieder aus anderen Kulturen für einen intensiveren Zugang zu Pflegebedürftigen mit anderem kulturellen Hintergrund kennenzulernen. In den kommenden Monaten stehen weitere Angebote für Pädagogen aus Willkommensklassen auf dem Plan sowie die Vernetzung von Trägern, die mit musikalischen Angeboten in der Flüchtlingshilfe aktiv sind.

Bundesakademie Trossingen

An der Bundesakademie Trossingen fließen Aspekte transkultureller Arbeit in die langfristigen Lehrgangsformate ein und geben dabei Gelegenheit zum Austausch und zur Erprobung neuer Handlungsmöglichkeiten. Darüber hinaus hat die Bundesakademie ein Lehrgangskonzept zur interkulturellen Arbeit mit Kinder und Jugendlichen entwickelt. Diese berufsbegleitende qualifizierende Weiterbildungsmöglichkeit richtet sich an alle, die in musikalischen beziehungsweise musikpädagogischen Kontexten tätig sind. Ganz gezielt werden mit diesem Lehrgang auch Musiker mit Migrationshintergrund angesprochen. Ihnen bietet dieser Lehrgang die Möglichkeit, sich für eine interkulturelle musikpädagogische Arbeit zu qualifizieren.

Bundes- und Landesakademie Remscheid

Die Remscheider Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW hat Diversität zu einem der wesentlichen Schwerpunktthemen der Akademie erklärt. Mit unterschiedlichen Konzepten und Methoden zeigt sie Wege auf, heterogene Ressourcen in der Kulturellen Bildung zu nutzen. 2015 erschien im Rahmen der hauseigenen Schriftenreihe das Buch „Diversität in der Kulturellen Bildung“ (Hg. Keuchel, Kelb). Mit Fördermitteln des BMBF wurde das Weiterbildungskonzept „DiKuBi – Diversitätsbewusste Kulturelle Bildung“ entwickelt. Grundlegend ist die Annahme, dass der diversitätsbewusste Umgang mit heterogenen Zielgruppen für die Fachkräfte zweierlei Ressourcen erfordert: Zum Einen brauchen sie eine besondere Sensibilität beziehungsweise eine entsprechende diversitätsbewusste Grundhaltung, zum Anderen bedarf es spezifischer Vermittlungskonzepte. Ziel des Konzepts ist es deshalb, Vermittler in ihrer eigenen Haltung bezüglich Diversitätsfragen zu stärken und mit Zielgruppen in der Vermittlungsarbeit bewusster umzugehen. Die Themen Diversität und Fluchterfahrungen werden zunehmend auch Bestandteil der fachspezifischen Fortbildungsangebote, so zum Beispiel im Bereich „Sprache / Erzählen“ oder Spielpädagogik. Zum Beispiel: „TANZ_KULTUR–LERNEN DURCH VIELFALT!“, „Wortschatz/kreative Sprachwerkstatt für Kinder die nach Worten suchen“ oder „Spielkultur als Schlüssel zu einer Willkommenskultur“. Perspektivisch wird das Feld „Diversität“ als fester Bestandteil in den Fortbildungsbereich implementiert.

Bundesakademie Wolfenbüttel

An der Bundesakademie für Kulturelle Bildung (ba•) in Wolfenbüttel wird das Thema Diversität in allen Angeboten mitgedacht. Mehrphasige Weiterbildungen bilden den Rahmen für transkulturelle Aktivitäten, bei denen die Teilnehmenden als Experten betrachtet werden, die von den divers aufgestellten Dozententeams unterstützt werden. Im vergangenen Jahr fanden Tagungen zu den Themen „Chormusikkultur in der Migrationsgesellschaft“, „Zivilgesellschaftliches Engagement in transkulturellen Zeiten“, „Kultureinrichtungen und Diversität“ und vieles mehr statt.

Die ba• richtet sich mit einer ganzen Reihe von Angeboten an Mitarbeiter in der Flüchtlingsarbeit, zum Beispiel mit dem Angebot „Künstlerische Arbeit mit Geflüchteten“, das auch außerhalb der Bundesakademie dezentral an verschiedenen Standorten durchgeführt wird. Zusätzlich nimmt sie 2017 folgende Angebote ins Programm: „Interkulturelle Kommunikation im Museum“, „Vor-Ort-Beratung Diversity für Kulturinstitutionen“, „Diversitätstraining“ und „Qualifizierung ehrenamtlicher Integrationslotsen“.

Landesmusikakademie NRW

Ein großes interkulturelles Projekt an der Landesmusikakademie NRW war der Zertifikatslehrgang Baglama, der gemeinsam mit der Hochschule für Musik und Tanz Köln und den Partnern LVdM NRW und Landesmusikrat durchgeführt wurde (siehe Foto). Die seit 2012 zweijährlich stattfindende World Percussion Academy gibt Teilnehmenden die Gelegenheit, sich aktiv musizierend und in Vorträgen mit verschiedenen Kulturen auseinander- zusetzen. Seit September 2015 führen Landesmusikrat und Landesmusikakademie NRW gemeinsam das Projekt „Brückenklang“ durch, das den Brückenschlag von der hiesigen Laienmusik zu den von unterschiedlichen Migrantenszenen geschaffenen neuen Laienmusikszenen anstrebt. Ganz neu sind Workshops für Ehrenamtliche, die mit Geflüchteten musikalisch arbeiten und hier elementares Musizieren als Grundlage zur  Begegnung und Singen zum Deutschlernen einsetzen möchten. Initiiert durch die niederländische Partnerakademie Akoesticum ist der Kontakt zu der seit 15 Jahren kulturenübergreifend in Krisengebieten tätigen Organisation „Musicians without borders“ entstanden. Geplant sind deutsch-niederländische Expertentreffen insbesondere in Hinblick auf die Arbeit mit Geflüchteten, um den binationalen Austausch in diesem Feld zu verstärken.

Zusammenstellung: Antje Valentin, Mitwirkung: Antonia Rückleben

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