Während Kirchenlieder im Stil von Rock, Pop, Jazz und Gospel in anderen Ländern selbstverständlich sind und zur Tradition dazugehören – schauen wir beispielsweise nach Lateinamerika oder Afrika –, werden sie hier zulande häufig für den Gottesdienst als unpassend empfunden. Auch körperliche Bewegung zu moderner Musik stellt dadurch eine große Herausforderung dar. Elektronisch verstärkte Jazz-, Soul- und Funkklänge sind im Kontext von Jugendgottesdiensten zwar anzutreffen, werden aber sonst oft nicht verstanden – ja es klingt für den traditionellen Kirchgänger nun einmal nicht so gewohnt.
Was also tun mit denjenigen Gemeindemitgliedern, die sich innerhalb ihrer moderneren Hörgewohnheiten und Ausdrucksmöglichkeiten auch in der Kirche musikalisch äußern möchten? Ausbilder für Kirchenmusik sollten sich damit ernsthaft befassen, weil es um ein natürliches, positives Bedürfnis geht. In Norddeutschland ist dies geschehen – hier wird eine Ausbildung zum/zur Kirchenmusiker/-in für Popularmusik realisiert.
Rock, Pop, Jazz, Gospel und Blues sind Facetten musikalischer Ausdrucksmöglichkeiten auch in der Kirche. Gute Musik aus diesen Genres bereichert die Kirchenmusik. „Groove“ ist dabei zunächst der Fachterminus für eine im Musikstück vom Komponisten beabsichtigte typische Rhythmusfigur oder ein rhythmisch-metrisches Grundmodell. Oft gibt der Groove ein synkopisches Grundmuster vor. „Laid back“, also im Takt selbst verzögert gespielt, kann dies manchmal zu einer Herausforderung für den ungeschulten Ensembleleiter werden. Wenn es ihm nicht gelingt, die beabsichtigte Grundstruktur authentisch vor dem Chor oder der Band zu vermitteln, wirkt das Ganze eher unsicher oder gar falsch. Groovy wird ein Musikstück in dem Moment, in dem eine feine Abstimmung zwischen verschiedenen Akzenten im rhythmischen Ablauf und einem interpretierbaren Bezug zum Metrum erreicht wird – und das muss erlernt werden.
Zunächst unrhythmisch und von unterschiedlichsten Glaubenssätzen durchzogen waren die Anfänge der Verhandlungen um die neue Ausbildungsrichtung für die Kirchenmusik. Viele Jahre liegt es inzwischen zurück, dass der Norden sich ein weiteres Mal erfolgreich auf den Weg zu einer neuen Ausbildungsmarke machte. 1994 wurde der erste C-Kurs für Popularkirchenmusik in Schleswig-Holstein entwickelt, heute ist es die Nordkirche in Kooperation mit dem Nordkolleg Rendsburg (Akademie für Kulturelle Bildung), die bundesweit ein neues Ausbildungskonzept durchführt.
Seit 2014 gibt es ihn nun ganz offiziell, den „eingegroovten“ B-Kirchenmusiker für Popularmusik in der Kirche. Die ersten Absolventen sind im vergangenen Jahr nach erfolgreich bestandener Prüfung aus dem Nordkolleg verabschiedet worden. Damit wurde ein Meilenstein für die Geschichte der Kirchenmusik erreicht. „Wir haben viele Zweifler und auch Gegner getroffen – es gab bei einem Projekt dieser Größenordnung eine Menge Überzeugungsarbeit zu leisten“, so Nordkolleg-Musikreferentin und Mitinitiatorin Sandra Fietze-Wierer, „aber durch die gute Kooperation und wichtige Querdenker ging es stetig weiter.“ Das Kirchenmusikgesetz wurde geändert, die Hochschule für Musik und Theater Hamburg ist als profunder Kooperationspartner an der Ausbildung betei-ligt. Jetzt groovt es zwischen den Partnern und Teilnehmenden. Davon kann man sich selbst überzeugen, denn Interessenten sind als Gasthörer zu den laufenden Seminaren eingeladen und willkommen.
Viele Gemeinden haben bisher, wenn sie eine Kirchenmusikerstelle für Popularmusik besetzen wollten, auf Quereinsteiger ohne A- oder B-Examen der Kirchenmusik zurückgreifen müssen. Die Absolventen der neuen Ausbildung sind in Schleswig-Holstein und Hamburg jetzt als B-Kirchenmusiker eingestuft. „Mit dem neuen Profil kann die Besetzung von Kirchenmusikerstellen nun über die üblichen und bewährten Wege wieder aufgenommen werden“, so Hartmut Naumann, Kirchenmusikdirektor in der Nordkirche für den Fachbereich Popularmusik und Studienleiter der Ausbildung. „Natürlich erhoffen wir uns, dass andere Landeskirchen und auch die katholischen Kollegen ebenfalls den Schritt zur Anerkennung der Ausbildung machen – so wie es im Fall der C-Popularkirchenmusikerausbildung in der EKD auch geschehen ist“, beschreibt er die Chancen der Neuerung.
Bei der Ausbildung im Nordkolleg lernen Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihr Handwerk professionell einzusetzen. Get the Groove! „Dafür bilden wir aus!“, sagt Hans Jürgen Wulf, Landeskirchenmusikdirektor der Nordkirche. „Wir wollen keinen künstlichen Gegensatz zwischen so genannter U- und E-Musik, zwischen kirchlichen und weltlichen Lebenswirklichkeiten, sondern setzen bewusst auf Qualität und Integration.“ Die Aufnahmeprüfung – in Umfang und Niveau mit der an einer Musikhochschule vergleichbar – entscheidet über die Zulassung. Auch Quereinsteiger sind hier willkommen. Haupt- und Nebeninstrument sind wahlweise Klavier oder Gitarre.
Das Orgelspiel muss innerhalb der Ausbildungszeit erlernt und auf ein gutes Niveau gebracht werden. „Heute profitiere ich von dem soliden und umfassenden Fundament der Ausbildung – auch wenn es ein harter Gang durch die Ausbildungszeit war“, so Jan Kessler, Absolvent des ersten B-Kurses 2011-14.
Der nächste Kurs startet im September 2015 in Schleswig-Holstein. Infotag ist der 28.03.15, Bewerbungsschluss der 15.05.15. Weiterführende Informationen sind im Nordkolleg oder auf den Internetseiten www.popularmusik.de und www.nordkolleg.de zu erhalten.