Durch frühes gemeinsames Musizieren sammeln Kinder nicht nur ästhetische Grunderfahrungen, sondern erwerben auch soziale Kompetenzen. Die staatliche venezolanische Jugendorchesterbewegung ‚El Sistema‘ liefert hierfür seit fast 40 Jahren eindrucksvolle Beweise. Ähnliche Ziele verfolgt in mehreren deutschen Bundesländern das Programm ‚Jedem Kind ein Instrument‘ – kurz ‚JeKi‘ genannt. Grundschüler lernen zuzuhören, ihre Stimme einzusetzen, sich zu unterschiedlichen Rhythmen zu bewegen und ein Instrument ihrer Wahl zu spielen. Zunächst wird in Kleingruppen musiziert, im fortgeschrittenen Stadium auch im Ensemble.
Um diese Fähigkeiten nachhaltig zu vermitteln, sind umfassend geschulte Lehrkräfte notwendig. Als zentrale Fortbildungspartner kommt den Landesmusikakademien in dem Programm eine wichtige Rolle zu. Bisherige Erfahrungen in Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Hessen haben gezeigt, dass ein längerfristiger Erfolg von ‚JeKi‘ entscheidend von einer stärkeren Vernetzung der schulischen und der außerschulischen Bildung abhängen wird. Denn Grundschullehrer und Lehrkräfte an kommunalen Musikschulen, die die JeKi-Gruppen in den ersten Jahren zumeist gemeinsam im Tandem unterrichten, haben eine völlig unterschiedliche Ausbildung durchlaufen.
„In der Realität sieht es meistens so aus, dass der Grundschulkollege das Fach Musik nicht vertritt und als Tandempartner vor allem für Disziplin in der Gruppe sorgen muss. Der Musikschullehrer setzt dagegen die fachliche Seite um. Sobald er allein vor den Kindern steht, kann er sich oft nur noch mit Mühe behaupten“, berichtet Antje Valentin, die seit dem vergangenen Sommer Direktorin der Landesmusikakademie Nordrhein-Westfalen in Heek ist. In NRW, wo ‚JeKi‘ 2007 als Projekt der Kulturhauptstadt RUHR.2010 begann, kooperierten im Schuljahr 2011/2012 mehr als 40 Kommunen, 56 Musikschulen sowie 686 Grund- und Förderschulen.
Wichtigster Partner der JeKi-Stiftung
Die Landesmusikakademie arbeitet bei der Lehrerfortbildung seit 2008 als wichtigster Partner mit der ‚JeKi‘-Stiftung in Bochum zusammen und hat seitdem etwa 400 Lehrkräfte erreicht. Valentin wünscht sich, dass Musikschullehrer intensiver mit elementaren pädagogischen Grundsätzen vertraut gemacht werden. Ein studierter Musiker habe vor allem die fachlichen Fortschritte seiner Schüler im Blick, meint sie. Fachfremde Grundschulkollegen sollten dagegen die musikalische Praxis besser kennenlernen. Bislang sind sie in den Kursen der Landesmusikakademie noch deutlich in der Minderzahl. Mehrphasige Fortbildungen sieht Valentin als besonders gut dazu geeignet, um das erforderliche Wissen nachhaltig zu vermitteln.
Ulrike Beißenhirtz, die gemeinsam mit Winfried Stegmann die im Vergleich zu NRW deutlich kleinere Landesmusikakademie Hamburg leitet, begreift das in dem Bundesland 2008 eingeführte ‚JeKi‘-Modell angesichts der rapiden Ausweitung des Ganztagsunterrichts als Chance, um der Musik auch an allen Grundschulen einen höheren Stellenwert zu verschaffen. Auch sie sieht die Notwendigkeit zur Nachqualifizierung von Lehrern: „Der herkömmliche Instrumentalunterricht ist sehr auf das einzelne Kind konzentriert. Eine größere Gruppe zu unterrichten, ist fast schon ein anderer Beruf.“ Der Unterricht findet in Hamburg mittlerweile an mehr als 70 Grundschulen statt, wobei das Tandem-Modell nur im geringen Umfang eingesetzt wird.
Die Landesmusikakademie Hamburg als Fortbildungseinrichtung des Hamburger Konservatoriums und der Staatlichen Jugendmusikschule unter dem Dach des Landesmusikrats Hamburg e.V. führt in Abstimmung mit der ‚JeKi‘-Projektgruppe der Schulbehörde Fortbildungen durch, die bisher von insgesamt etwa 400 Teilnehmern wahrgenommen wurden.
Den Bedürfnissen angepasst
Beißenhirtz sieht derzeit einen Mangel an geeigneten ‚JeKi‘-Lehrkräften. Die Fortbildungen werden den aktuellen Bedürfnissen angepasst. So stehen außer den Angeboten aus dem praktisch-musikalischen Bereich in der Landesmusikakademie mittlerweile auch Unterrichtsanalyse und -reflexion auf dem Programm. Langfristig ist es notwendig, dass JeKi-Lehrer, die durch Fortbildungen ihre Kompetenzen erweitern, Anerkennung und Vorteile der Berufsqualifizierung erfahren. In Hessen wurde ‚JeKi‘ 2007 auf Initiative des Verbands deutscher Musikschulen (VdM) als Pilotprojekt eingeführt. Nach diesem Modell wird an 70 Grundschulen unterrichtet. Die Landesmusikakademie Hessen in Schlitz arbeitet seit Januar 2011 mit dem Verband zusammen und setzt die projektbegleitenden Fortbildungen organisatorisch um. Bisher haben an Kursen und Tagungen mehr als 400 Lehrer teilgenommen. Akademiedirektor Lothar R. Behounek sieht sein Haus als „Impulsgeber, der mit professionellen und verlässlichen Kooperationspartnern solche Projekte in die Zukunft führen und nachhaltig gestalten will“. Musikunterricht dürfe nicht als ‚freiwillige Leistung’ der öffentlichen Hand oder der Kommune betrachtet werden, fordert er.
Fortbildungsbedarf
Auch die Projektverantwortlichen in Hessen haben Defizite bei der Ausbildung der Pädagogen festgestellt und erkennen daher einen langfristigen Fortbildungsbedarf. Musikschullehrkräfte sollten demnach nicht nur die instrumentale Fachdidaktik beherrschen, sondern auch in der Unterrichtsplanung, der Förderung allgemeiner Lernprozesse und der Gruppenführung erfahren sein. Zugleich hält Behounek eine Aufwertung der außerschulischen Kompetenzpartner wie die öffentlichen Musikschulen und andere Anbieter für notwendig.
Aufgrund der unterschiedlichen Schulsysteme sind die ‚JeKi‘-Programme und die Lehrerfortbildungen je nach Bundesland anders strukturiert. Gleichwohl plädieren Valentin, Beißenhirtz und Behounek für einen Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen den Landesmusikakademien. „Es ist nicht nötig, dass jedes Bundesland das Rad neu erfindet“, meint Behounek, der seit Februar 2012 Sprecher des Arbeitskreises Musikbildungsstätten in Deutschland ist. Synergien wären seiner Ansicht nach in konzeptionellen Überlegungen zu suchen, etwa bei grundsätzlichen Systemfragen, die länderübergreifend diskutiert werden könnten. Gemeinsame Lehrerfortbildungen hält er ebenfalls für denkbar.