Seit Sommer 2023 leitet Felix Berner den Fachbereich Tanz an der Akademie der Kulturellen Bildung in Remscheid. Sein Ansatz: ein Kursangebot, das Tanzunerfahrenen einen Einstieg in die Tanzvermittlung und gleichzeitig professionellen Tänzer*innen neue Karriereop-tionen bietet. Felix Berner über seine Leidenschaft für Tanz, Choreografieren auf Augenhöhe und den Bedarf an machtkritischer Sensibilisierung in der Vermittlung.
„Machtmissbrauch ist weit verbreitet“
Torsten Schäfer: Wie sind Sie zum Tanzen und zum Tanz als Beruf gekommen?
Felix Berner: Sport und Bewegung waren immer ein Teil meines Lebens, ebenso wie Theater. Erst spät, mit etwa 20 Jahren, kam Unterricht im zeitgenössischen Tanz dazu. Das hat in mir sofort eine große Resonanz hervorgerufen. Ich habe das zu dem Zeitpunkt nie als Berufsweg gesehen, wurde aber von Dozenten mehrfach ermuntert, Tanz zu studieren. Ab da war meine Welt nur noch Tanz und ich habe darin meine Berufung gefunden.
Schäfer: Sie haben viel choreografiert. Wodurch unterscheidet sich Ihr Ansatz von anderen Choreograf*innen?
Berner: Mein Schwerpunkt liegt auf Tanz für junges Publikum, von kleinen Kindern ab zwei Jahren bis zu Jugendlichen. Allerdings mit dem Anspruch, dass meine Stücke auch für ein erwachsenes Publikum funktionieren sollen. Innerhalb meiner choreografischen Prozesse fließt viel von meiner Arbeit in der Tanzvermittlung ein. Das heißt, dass ich den Tänzer*innen auf Augenhöhe begegne, und mit ihnen in den künstlerischen Dialog trete. Nach wie vor gibt es viele Choreograf*innen, die ihre Prozesse top-down gestalten, mit den Tänzer*innen als ausführende Organe. Bei mir sind sie das nicht. Sie sind Co-Creator, sie choreografieren, sie gestalten mit. Deswegen ist mir wichtig, dass unter meinen Stücken immer „von und mit“ steht.
Schäfer: Sie sind seit fünf Jahren Jurymitglied für das Tanztreffen der Jugend der Berliner Festspiele. Welche Entwicklungen beobachten Sie in Bezug auf zeitgenössischen Tanz in der Jugend?
Berner: Als Jurymitglied für das Tanztreffen der Jugend habe ich einen guten Überblick über die zeitgenössische Tanzvermittlung in Deutschland erhalten. In Bundesländern mit guten Förderstrukturen gibt es eine lebendige Szene, während in anderen Bereichen die Förderung noch ausbaufähig ist. Ein Trend ist, dass junge Menschen, unabhängig von professionellen Künstler*innen, eigene Tanzstücke kreieren und erfolgreich präsentieren. Diese Entwicklung zeigt, dass Tanz und zeitgenössischer Tanz für viele junge Leute ein Mittel ist, das sie ganz natürlich und aus sich heraus wählen, um sich und ihre Lebensrealität auszudrücken.
Schäfer: Welche Erfahrungen können Kinder und Jugendliche über Tanz machen?
Berner: Kinder und Jugendliche können durch Tanz ihre eigene Körperlichkeit erfahren, Gefühle ausdrücken und lernen, mit Emotionen umzugehen. Dies ist besonders wichtig, da viele schulische Aktivitäten sitzend stattfinden. Tanz ermöglicht einen Ausgleich und eine gesunde Art, mit Gefühlen wie Freude, Wut, Aggression und Trauer umzugehen. Tanz bietet Raum, diese Gefühle innerhalb einer Gruppe sicher zu erkunden und auszudrücken.
Schäfer: Wen möchten Sie mit Ihrer Arbeit an der Akademie der Kulturellen Bildung ansprechen?
Berner: Mir ist es ein großes Anliegen, eine breite Zielgruppe zu erreichen, darunter angehende und bereits praktizierende Vermittler*innen im Kulturbereich, unabhängig von ihrer künstlerischen Ausrichtung. Mein Ziel ist es, Menschen zu begeistern und einzuladen, Bewegung und Tanz kennenzulernen, die eigenen Fähigkeiten zu entdecken und Tanz in verschiedene künstlerische Praktiken zu integrieren. Zudem möchte ich professionelle Tänzer*innen, die sich im Übergang von der Bühnenkarriere zur zweiten Karriere befinden, ermutigen, eigene Vermittlungspraktiken im zeitgenössischen Tanz zu entwickeln.
Schäfer: Ist es nicht eine Herausforderung, einen niedrigschwelligen Ansatz für Menschen ohne Tanzerfahrung zu bieten und gleichzeitig erfahrene Tänzer*innen in neue Kontexte zu überführen?
Berner: Es ist ein großer Spagat. Aber durch Expertise und Niedrigschwelligkeit kommt etwas zusammen, das in vielen tanzvermittelnden Prozessen vonnöten ist. Das kann sich innerhalb der Prozesse an der Akademie wunderbar verbinden und die Teilnehmer*innen können untereinander immens voneinander lernen.
Schäfer: Was ist Ihnen in der Ausbildung von Tanzvermittler*innen besonders wichtig?
Berner: Die Vermittler*innen müssen eine Dialog- und Kommunikationsfähigkeit entwickeln, die auf einem umfassenden Verständnis von Tanztheorie und -praxis basieren. Diese müssen sie in ihren Vermittlungsprozessen weiter üben, aber auch übertragen. Dazu gehört die Fähigkeit, über Tanz zu sprechen sowie über Inhalte, die Tanz verhandeln und ausdrücken kann. Vermittler*innen sollten zudem in der Lage sein, eine selbstkritische Position einzunehmen, um diskriminierungssensibel und machtkritisch innerhalb ihrer eigenen Vermittlungspraxis agieren zu können. Das ist für mich maßgeblich wichtig.
Schäfer: Warum sind macht- und diskriminierungskritische Perspektiven in der Tanzvermittlung besonders wichtig?
Berner: Machtmissbrauch ist in der Tanzvermittlung weit verbreitet, sei es in privaten Ballett- und Tanzschulen oder im professionellen Umfeld. Tanzunterricht und -praxis sind oft stark auf eine einzelne Person ausgerichtet. Wenn diese Person keine machtkritische oder diskriminierungssensible Perspektive einnimmt, können negative Erlebnisse entstehen. Dies zeigt sich in Zeitungsberichten über Ballettschulen und auch in Theaterkreisen. Meine eigenen Erfahrungen im Studium und als Tänzer, der mit einer Vielzahl von internationalen Choreograf*innen gearbeitet hat, bestätigen dies. Mir ist wichtig, dass junge Menschen gestärkt und nicht emotional oder psychisch belastet aus tanzvermittelnden Prozessen hervorgehen – egal ob in einem Schulprojekt, im Hochschulstudium oder in der Arbeit mit professionellen Choreograf*innen. Es muss auf breiter Ebene im Tanz noch viel getan werden. Es besteht ein Bedarf an Sensibilisierung in der Tanzwelt, den ich aktiv fördern möchte.
Schäfer: Wo sehen Sie Weiterentwicklungspotenziale in der Tanzvermittlung?
Berner: Ein großes Potenzial liegt darin, sich innerhalb der Tanzvermittlungsszene stärker zu vernetzen. Wir sind sehr aufgespalten nach verschiedenen Tanzstilen und -schulen. Ich finde, man sollte Tanzvermittlung und Tanzpädagogik noch größer zusammenfassen und in diesem Prozess zu gemeinsamen Qualitätsstandards finden.
Schäfer: Warum ist Tanz gerade heute so wichtig?
Berner: Ich empfinde Tanz als eine zutiefst soziale Praxis, als etwas, wo wir jenseits von Sprachbarrieren Gemeinschaft erleben und darüber auch gemeinsam Identität finden können. Politisch gibt es heute viele Kräfte, die eine Gesellschaft auseinanderzerren oder die polarisierend gegeneinander aufhetzen. Innerhalb dieser politischen Grundstimmung empfinde ich es als besonders wichtig, dass wir über Tanz als Gemeinschaft zusammenkommen und diese leben.
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