In einer Villa in Lichtenberg, im obersten Norden Bayerns an der Grenze zu Thüringen gelegen, bietet der Bezirk Oberfranken seit 1982 der hochbegabten musikalischen Jugend aus aller Welt Meisterkurse in einer einzigartigen Atmosphäre. Was anfangs von verschiedener Seite mit Skepsis gesehen wurde, erweist sich im Rückblick als Erfolgsgeschichte.
Glauben Sie wirklich, dass da jemand hinkommt?“, wurde Prof. Günther Weiß, seinerzeit Vizepräsident der Hochschule für Musik und Theater München und Ideengeber für Haus Marteau, bei der Eröffnung im Oktober 1982 vom damaligen bayerischen Kultusminister Prof. Hans Maier zweifelnd, wenngleich mit erkennbarer Sympathie für das Projekt, gefragt.
In der Tat schienen Bedenken mit Blick auf die Ausgangssituation durchaus angebracht: Da hatte mit dem Bezirk Oberfranken eine kommunale Gebietskörperschaft eine ansehnliche Künstlervilla, errichtet 1911 bis 1913, mit einem Großteil des ursprünglichen Inventars von den Erben übernommen und wollte damit die Jeunesses musicale zu hochrangigen Meisterkursen in einen versteckten Winkel Frankens, noch dazu direkt an den verminten Eisernen Vorhang, locken, obendrein angesichts einer recht schlechten Verkehrsanbindung. Doch Weiß, von seinen Visionen überzeugt und von einem kaum zu trübenden Optimismus beseelt, ließ sich zu keiner Zeit entmutigen und stellte sein erstes Programm mit Hilfe ihm gut bekannter Kollegen zusammen. Einige davon kamen wohl mehr aus Sympathie zu einem lieben Kollegen, den man bei einem ehrgeizigen Projekt unterstützen wollte, als aus innerer Überzeugung (Prof. Weiß verstarb, als dieser Beitrag schon in der Redaktion war, am 12. März 2007 nach schwerer Krankheit; Würdigung folgt in einem eigenen Beitrag).
Für die meisten wurde aber die Begegnung mit dem Haus zur Liebe auf den ersten Blick. Den anfangs überwiegend Münchner und Würzburger Professorinnen und Professoren wurde schnell offenbar, dass die für den neuen Zweck zwischen 1980 und 1982 zurückhaltend umgebaute Villa im Heimatstil mit ihrem hochwertigen Interieur und ihrer familiären Atmosphäre ein geradezu ideales Umfeld für hochkonzentriertes, ungestörtes Arbeiten bietet. In der deutschen, später in der europäischen Musikszene sprach sich dies rasch herum, so dass Günther Weiß bald keine Probleme mehr hatte, ein vielseitiges Kursangebot mit einer zunehmend internationalen, stets hochkarätigen Dozentenschaft zusammenzustellen. Der Künstlerische Leiter hatte jedoch von Beginn an ein Augenmerk darauf, dass auch die Region von dieser besonderen Bildungseinrichtung profitieren solle. So beherbergt das Haus neben den Meisterkursen auch musikalische Fortbildungskurse für Lehrer sowie geschlossene Intensivwochenenden oberfränkischer Musikschulklassen. Weiterhin gründete Weiß 1984 das Jugendsymphonieorchester Oberfranken, das gegenwärtig von GMD Raoul Grüneis, Regensburg, geleitet wird.
Den Kern jedoch bilden die Meisterkurse. Weiß führte damit im Grunde das fort, was der Erbauer und Namensgeber des Hauses, der Geigenvirtuose Henri Marteau (1874–1934), vor gut neun Jahrzehnten begründet hat. Marteau, damals als Nachfolger des großen Joseph Joachim Professor an der Berliner Musikhochschule, ließ sich das Lichtenberger Haus als Sommersitz für sich und seine Familie bauen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde es allerdings Hauptwohnsitz. Als französischer Staatsbürger und Reserveoffizier wurde Marteau nämlich mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges interniert, seines Lehrstuhls enthoben und konnte erst nach eineinhalbjähriger Odyssee durch verschiedene Gefangenenlager in sein Haus nach Lichtenberg zurückkehren, wo er unter Hausarrest stand. Die Villa aus der Zeit, als Marteau weltweit gefeierter Künstler war, blieb auch nach 1918 Lebensmittelpunkt und Basisstation seines Wirkens. Gebrochen von seinem Schicksal in den Kriegsjahren, konnte er in den folgenden knapp zwei Lebensjahrzehnten jedoch nicht mehr an seine künstlerischen Erfolge anknüpfen.
Als Pädagoge genoss er freilich weiterhin einen exzellenten Ruf. Seine begabtesten Schülerinnen und Schüler lud er fortan zu Sommerakademien in sein Landhaus nach Lichtenberg ein. Unterkunft fanden sie in Privathaushalten, so dass der Klang übender Musikstudenten im Sommer in den Gassen des kleinen Städtchens zu hören war. Als Dank für die Gastfreundschaft der Lichtenberger Familien veranstaltete Marteau zum Abschluss seiner Sommerkurse jeweils ein öffentliches Konzert in seinem Haus.
Diese Grundstruktur übernahm Günther Weiß für sein bis heute gültiges Konzept. Seit Herbst 1982 finden in Haus Marteau pro Kursjahr etwa 40 Meisterkurse statt, die meist fünf Tage dauern. Dabei logieren die jungen Musikerinnen und Musiker überwiegend in Privatpensionen und erfreuen die Umgebung zum Abschluss der Kurse wie früher mit öffentlichen Konzerten im Haus. Mittlerweile waren junge Menschen aus allen Kontinenten der Erde zu Kursen in Lichtenberg.
Neben der Pflege und Weiterentwicklung des pädagogischen Erbes von Henri Marteau bemüht sich der Bezirk Oberfranken, den kulturhistorischen Hintergrund von Haus Marteau aufzuarbeiten und der interessierten Öffentlichkeit zu vermitteln. In der Musik-
abteilung der Bayerischen Staatsbibliothek befindet sich der Hauptteil des Nachlasses von Henri Marteau, im Wesentlichen seine Kompositionen und kaum überschaubare Korrespondenz mit den Größen seiner Zeit aus Kultur und Politik. Einzelne seiner Kompositionen wurden inzwischen teilweise mehrfach auf Tonträger eingespielt
und zählen zum Repertoire einiger namhafter Künstler. Marteaus aufregende und von Brüchen gezeichnete Lebensgeschichte hat Günther Weiß 2002 in einer Monographie nachgezeichnet.
Eine Edition des Briefwechsels zwischen Marteau und Max Reger wird demnächst eindrucksvoll dokumentieren, wie wichtig der weltberühmte Interpret zwischen 1904 und 1910 für die Akzeptanz des um Anerkennung ringenden Komponisten Max Reger war. Marteau war der erste Geiger von Weltrang, der das Reger’sche Werk fest in sein Repertoire aufnahm und mit dem hervorragenden Pianisten Reger zahlreiche Konzerte bestritt.
In umfassender Weise pflegt also der Bezirk Oberfranken, finanziell unterstützt von der Oberfrankenstiftung und vom Freistaat Bayern, das Erbe eines bedeutenden Künstlers und Pädagogen, der ein Stück europäischer Musikgeschichte mitgeschrieben hat.
Die großartige Resonanz, die das Kursangebot von Haus Marteau gegenwärtig erfährt, stimmt zuversichtlich, mit dieser Grundidee den Betrieb des Hauses auch in den nächsten Jahren erfolgreich gestalten zu können. So werden in diesem stimmungsvollen Kleinod an der Nahtstelle zwischen Frankenwald und Thüringer Wald noch viele hochbegabte Musikerinnen und Musiker aus aller Welt wichtige Impulse für eine erfolgreiche Karriere bekommen.
Bezirk Oberfranken
Verwaltung der Internationalen Musikbegegnungsstätte Haus Marteau
Ludwigstr. 20, 95444 Bayreuth
Tel. 0921/604 16 08, Fax 0921/604 16 06
E-Mail: info [at] haus-marteau.de (info[at]haus-marteau[dot]de)
Kursprogramm und weitere Infos
unter: www.haus-marteau.de