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Neugier auf Neues

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Jugendliche Akteure beim „Lichtklang“ im Schloss Engers
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„Für uns ist das schon normal“, sagt Eva, Schülerin der elften Klasse am Leininger Gymnasium im pfälzischen Grünstadt. „Mit der AG für Neue Musik haben wir ganz viele Auftritte. Aber wenn ich das meinen Freunden an anderen Schulen erklären will, wird es schwierig. Dann sage ich einfach: Kommt und schaut’s Euch an!“

Zum Schauen und Staunen gab es wahrlich genug, als die AG für Neue Musik und ein Heer weiterer jugendlicher Akteure von Schloss Engers in Neuwied Besitz ergriff. Am 3. September wurde das Barockschloss am Rheinufer – sonst Sitz der Landesstiftung Villa Musica Rheinland-Pfalz und ihrer Akademie für Kammermusik – zur Bühne für ein Licht- und Klangspektakel, das mühelos die Brücke vom Barock in die Gegenwart schlug. Da durften trotz aller Gegenwartsbezüge barocke Gestalten an den Fenstern erscheinen, schemenhaft eingebettet in ein Meer aus Farben, die vom Lichtdesigner Philipp Schwarze auf die Fassaden des Schlosses projiziert wurden. Da durften sogar Streicherklänge von Heinrich Ignaz Franz Biber auf Barockgeigen ertönen, um den Schlosshof in die geheimnisvolle Stimmung einer „Fête champètre“ zu tauchen. Denn was die AG für Neue Musik aus Grünstadt in der Pfalz an diesem Abend in den Norden des Bundeslandes, an den Rhein, transportierte, war nichts weniger als eine klingende und leuchtende Geschichte des Schlosses Engers.

Alles begann im Rheinstrom, mit vorwagnerischem Wellenklang und wogenden Lichtreflexen. Immer wieder durften die 500 Zuschauer auf dem Schlosshof in den Strom eintauchen, um sich anschließend der nächsten Episode der Schlossgeschichte zuzuwenden: von den Lustbarkeiten des Barock bis hin zu Krieg und Leid des 20. Jahrhunderts.

Am Ende desselben, genau im Jahre 1995, hat in Engers nach wechselvoller Geschichte die Musik ihren Einzug gehalten. Mit ihr ist das Schloss zur Ruhe gekommen. Es hat seine Mitte gefunden und wurde selbst zur Mitte einer sich stetig ausbreitenden Musikkultur im Neuwieder Stadtteil Engers. Die Villa Musica expandiert, ebenso die Landesmusikakademie, die im benachbarten Meisterhaus ihre Heimstätte fand. In und um Engers zieht die Musik immer weitere Kreise, wie die Wellen des Rheinstroms auf den Fassadenbildern jenes Sommerabends.

Drahtzieher der ganzjährigen musikalischen Angebote ist die Stiftung Villa Musica. Da kümmert sich Akademieleiter Kai Link persönlich um fast alles, sorgt dafür, dass den Lichtdesignern nicht der Strom ausgeht und die AG für Neue Musik in den prachtvollen Barockräumen ungestört proben kann. Im Musikbetrieb Schloss Engers funktioniert beides reibungslos: Technik und Organisation auf der einen Seite, das ungestörte Proben als Freiraum für Kreativität auf der anderen Seite.

Nur selten allerdings darf sich das Kreative so ungehemmt entfalten wie an diesem Abend, und auch die Akteure sind jünger als sonst bei Villa Musica – nicht 23 oder 24 Jahre alt wie die Studenten in der Akademie für Kammermusik, sondern zwischen 13 und 19 Jahren.

Es sind Schülerinnen und Schüler aus Rheinland-Pfalz, die ein ungewöhnliches Hobby haben: Neue Musik.

Das Zauberwort, das sie begeistert, heißt Aktion. „Kinder einfach mit Musik zuzudröhnen – egal mit welcher Art von Musik – damit kommen Sie nicht weit“, sagt Silke Egeler-Wittmann, die überaus erfahrene und kreative Leiterin der AG für Neue Musik.

„Es ist immer gut, wenn wenigstens ein Anteil dabei ist, wo die Kinder und Jugendlichen selber Musik machen können, egal ob nun klassische oder Neue Musik, Jazz oder Pop.“ Also wird hier musiziert in des Wortes weitester Bedeutung: Die einen tanzen oder agieren als Pantomimen am beleuchteten Fenster, die anderen umkreisen mit klappernden Metronomen das mehr oder weniger irritierte Publikum.

Die Begeisterung der Jugend steckt bekanntlich an, selbst wenn ein klassisches Konzertpublikum durch den sakralen Klang von zwanzig Böhmflöten hindurch eine barocke Stiege erklimmen soll, oder wenn man im Gartensaal des Schlosses urplötzlich auf ganz ernsthafte Neue Musik für Kammerensemble trifft, gespielt vom JugendEnsembleNeueMusik Rheinland-Pfalz/Saarland unter seinem Leiter Walter Reiter. „Lichtklang“ – so der Titel des Abends – bemächtigte sich aller Räume des Schlosses, ja selbst der Fassade – ein wahrhaft barockes Spektakel. Silke Egeler-Wittmann hatte die Idee dazu, das Geld kam vom „Netzwerk Neue Musik“ aus Berlin, einem Förderprojekt der Bundeskulturstiftung, die Koordination übernahm „Spektrum Villa Musica“, das rheinland-pfälzische Projekt unter den 15 Projekten im Netzwerk.

Ein „joint venture“ also, dessen ganz eigene Note darin bestand, dass hier rund 80 Jugendliche und junge Erwachsene nicht auf den Gleisen hermetischer „Neuer Musik“ wandelten, sondern das Publikum wie magisch durchs Licht der Fassade in die Klänge der Innenräume zog – hinein in die eigene Begeisterung fürs Musikmachen.

Mit Gleisen – solchen aus Stahl, nicht ästhetischen – hatte dieser Abend zumindest indirekt zu tun: Eben an jenem 3. September machte „Sounding D“ in Rheinland-Pfalz Station. Der Klangzug des „Netzwerks Neue Musik“ kam auf seinem Weg auf dem Schienennetz der Deutschen Bahn auch an den Rhein. Wieder waren es Schüler, die am Mainzer Hauptbahnhof Robin Minards Klanginstallation stürmten und ihre Ellbogen in die Sitzlehnen eines Waggons drückten, in dem man über die eigenen Knochen Geräusche und Musik hören konnte.

Eines bleibt festzuhalten: Der Neugier der Jugendlichen auf neue Klänge war an diesem Tag keine Grenze gesetzt, und sie rissen so manchen alten Hasen des Konzertlebens mit. 

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