Zurzeit findet in Deutschland ein riesiger bildungspolitischer Reformprozess statt. Dies betrifft sowohl die Kitas (u.a. KiBiz, „Schulreifes Kind“) als auch die Schulen, zum Beispiel in der Umsetzung von jahrgangsgemischtem Unterricht in der Eingangsstufe der Grundschule auf freiwilliger Basis, in ihren Überlegungen zur Gestaltung der (offenen) Ganztagsschule, in der Umstrukturierung der Lehrpläne aufgrund des G8-Abiturs sowie in ihren Überlegungen zur Hochbegabtenförderung. Es betrifft die Musik- und Kunstschulen und andere kulturelle Institutionen mit ihren Kooperationsmodellen und Unterrichtsumstrukturierungen unter anderem für die (offene) Ganztagsschule, aber auch die Hochschulen und Universitäten, hier im Besonderen in der Umstrukturierung der Studiengänge auf Bachelor, Master und Fernstudiengänge.
Gleichzeitig finden neue Überlegungen für den Berufseinstieg (Berufseinstiegsjahr „BEJ“) statt. All diese Maßnahmen sind noch in einem deutlichen Entwicklungsstadium und müssen in den nächsten Jahren gut evaluiert werden. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es ein großes Maß an Verunsicherungen für alle Beteiligten. Die Erzieherinnen und Erzieher wissen noch nicht, wie sie KiBiz umsetzen können, das G8-Abitur bereitet dem Lehrkörper und den Schülerinnen und Schülern Probleme, und die Hochschulen und Universitäten hinterfragen die Qualität der zum Teil noch neu zu entwickelnden Bachelor- und Master-Studiengänge im Vergleich zu ihren vorherigen Standards. So ist die Unruhe allerorts zu spüren und zu hören. Von Seiten der Fort- und Weiterbildungseinrichtungen bedarf es ebenfalls stützender neuer Konzeptionen, die parallel zu den derzeitigen Umbrüchen verlaufen und von daher ebenso permanent in den nächsten Jahren evaluiert, modifiziert und ständig neu angepasst werden müssen.
Was bedeutet dies für die Akademie Remscheid? Hierzu im Folgenden drei Beispiele aus der Praxis.
Kooperation Schule
Im Juni 2008 fand eine Kooperation der Akademie Remscheid mit der Grundschule in Remscheid (Reinshagen) statt. Die Idee der Schule war es, in einer Form von Musical unter dem Thema Kinderbuchfiguren mit allen Schülerinnen und Schülern eine Bühnenpräsentation zu entwickeln. Diese Idee hat das ARS-Team, bestehend aus Barbara Schultze (Fachbereich Rhythmik, ARS), Antje Steenbeck (Musik- und Bewegungspädagogin (ARS, Kiel) und Herbert Fiedler (Fachbereich Musik, ARS), aufgegriffen und vor Ort umgesetzt. Es entstanden zwei Aufführungen der „besonderen Art“ mit jeweils 180 Schülerinnen und Schülern zusammen mit ihren Lehrerinnen.
Im Vorfeld wurden die einzelnen Kinderbücher von den Lehrerinnen mit ihrer jeweiligen Klasse gelesen, und es erfolgten erste Überlegungen, welcher Teil des Buches wie umgesetzt werden kann. Sollte es in Form einer Szene, einer Illustration oder als Singspiel stattfinden, mit Live-Musik oder CD, mit Tänzen oder Bewegungssequenzen? Diese Möglichkeiten wurden durch das ARS-Team beratend aufgegriffen und für die jeweiligen Klassen modifiziert. Die persönliche Begegnung mit den Schulklassen fand anschließend in einer Projektwoche statt, in der von Montag bis Mittwoch jeweils von 8.00 Uhr bis 12.00 Uhr die einzelnen Szenen geprobt wurden. Am Donnerstag kam es nach einer kurzen Probensituation zu einer Generalprobe und am Abend zu zwei Präsentationen. Allein die Kürze der Probenzeit und die Logistik dieses Projektes waren schon spannend für sich. Wie ist es möglich, mit 260 Kindern in dieser Kürze ein Programm zu zaubern, das ohne Brüche und Umbaupausen 65 Minuten durchläuft? Gleichzeitig war es für die Schülerinnen und Schüler und im Besonderen für den Lehrkörper ein neues Phänomen, wenn Tag für Tag prozessorientiert gearbeitet wird und mit dem Zauberwort der „Reduktion“ allmählich alle Szenen in eine Form gegossen werden. Diese sehr gelungene Woche brachte dabei folgende Ergebnisse:
• Der Lehrkörper lernte eine neue Form der prozessorientierten Arbeit kennen und schätzen, eine andere Form des Lernens!
• Die Ideen der Kinder konnten tagtäglich mit aufgegriffen werden.
• Die für alle Beteiligten flexiblen Zei-ten und immer wieder hinterfragten Inhalte wurden in jeder Situation begründet. Dies führte für die Schülerinnen und Schüler zu einem neuen Verständnis und damit zu einer neuen Grundhaltung in den mit sehr viel Ruhe und Konzentration durchgeführten Proben.
• Die Kommunikation zwischen dem Lehrkörper und dem ARS-Team musste sich erst entwickeln. Beginnend waren es zwei Sprachen! Das Lernen beider Sprachen war für alle spannend und ebenfalls ein wichtiger Lernfaktor.
• Das ARS-Team lernte erneut das schulische System kennen und musste sich darauf einstellen.
• Der Lehrkörper lernte außerschulische und „improvisierte“ Arbeitsweisen kennen und schätzen.
• Für Barbara Schultze und Herbert Fiedler war es wichtig, losgelöst aus der sonst üblichen Arbeit mit Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, mit Kindern vor Ort zu arbeiten.
Kooperationsmodelle dieser Art werden zukünftig verstärkt von Seiten der Akademie Remscheid für alle Schulsysteme entwickelt, durchgeführt und betreut. Hierdurch erfolgen nicht nur intensive Begegnungen von schulischen und außerschulischen Institutionen, sondern es findet zugleich ein reflektorisches Lernen in unterschiedlichen Lernsystemen statt.
Musikschulen
Für Instrumentallehrerinnen und -lehrer an Musikschulen gibt es eine große Nachfrage, an allgemein bildenden Schulen musikpraktisch zu unterrichten, sei dies in Form von Jeki, Streicher-, Bläser- oder Singklassen. Damit sie in dieser neuen Arbeitsweise unterstützt werden können, gibt es ab dem Jahr 2009 ein neues Kursangebot an der Akademie Remscheid: Fit für die Schule.
Der Fachbereich allgemeine Musikerziehung beziehungsweise elementare Musikerziehung (u.a. die Musikalische Früherziehung MFE/Grundausbildung MGA) an den Musikschulen wird verstärkt für die Zusammenarbeit mit allgemein bildenden Schulen in Form von Projektarbeit am Nachmittag – (offene) Ganztagsschule –, aber auch für die Durchführung von Gruppenunterrichtsmodellen an der Musikschule selbst angesprochen. Hier gilt es ebenfalls, neue Konzeptionen, die praxisnah und lustvoll umgesetzt werden können, zu entwickeln und ihnen diese unterstützend an die Hand zu geben.
Ein weiteres wichtiges Feld für neue Konzeptionen der Akademie Remscheid nicht nur für Musikschulfachkräfte wird das Thema „musikalische Späterziehung“ beziehungsweise die Arbeit mit Senioren werden.
Schulen – Kitas – Fachschulen – Fachhochschulen
Die neue Konzeption der beiden Fachbereiche Musik und Rhythmik mit dem Abschlusszertifikat zum Musik- und Bewegungspädagogen (ARS) sollte für die zukünftige qualitativ hochwertige Aus- und Fortbildung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in Kitas, Schulen, Musik- und Kunstschulen oder Ausbildungsstätten, die im Fachgebiet Musik und Bewegung tätig sind, ein wesentlicher Baustein sein. Mit Hilfe dieser Zusatzqualifizierung werden ihnen flexible musikpraktische Unterrichtssysteme an die Hand gegeben, die sie „passgenau“ für ihre jeweilige Einrichtung und deren Umstrukturierung modifizieren können.