Eine Tendenz der Musikgeragogik – also der musikalischen Bildung und Vermittlung im Alter – bildete unmittelbar nach ihrer fachlichen Gründung eine weitreichende inhaltliche wie methodische Ausdifferenzierung. Diese Eigendynamik kennzeichnet, rückblickend betrachtet, letztlich jede Disziplin, die sich im Zuge ihrer Konsolidierung innerhalb des Fächerkanons behaupten konnte. Die Musikgeragogik ist vor diesem Hintergrund eine der jüngeren Ansätze im Bezugsfeld der Musikpädagogik, wenn man die Habilitationsschrift Theo Hartoghs aus dem Jahre 2005 („Musikgeragogik – ein bildungstheoretischer Entwurf“) als ihre Gründungsschrift bezeichnen möchte – wofür es gute Gründe gibt.
Ein Blick etwa auf die Arbeitskreise der im Jahr 2009 initiierten Deutschen Gesellschaft für Musikgeragogik, die als Indikatoren jener fachinternen Differenzierung dienen kann, spiegelt exemplarisch Themenfelder wie Streicher-, Tischharfen- oder Kirchenmusikgeragogik wider. Seit einigen Jahren kursiert im Rahmen des Diskurses auch der Begriff Rhythmikgeragogik, der seitens ihrer Vertreter*innen dahingehend definiert wird, eine umfassende Arbeitsweise im Wechselbezug von Musik, Bewegung und Sprache speziell für Ältere zu offerieren. In der Ausschreibung eines aktuell laufenden, mehrphasigen Lehrgangs zur Rhythmikgeragogik an der Landesmusikakademie NRW liest man, dass sie sich an „Menschen in der 3. und 4. Lebensphase“ richtet und einen umfänglichen Katalog an Zielsetzungen verfolgt, der von der Förderung des Kontaktaufbaus, der Erweiterung verbaler und nonverbaler Ausdrucksmöglichkeiten, der Sensibilisierung der Wahrnehmungsfähigkeit, der Unterstützung von Mobilität bis zur allgemeinen Steigerung der Lebensqualität im Alter reicht.
Theorie und Praxis
Sucht man nach möglichen Verbindungslinien zu den Anfängen der Disziplin Rhythmik, allen voran zu ihrem Begründer Emile Jaques-Dalcroze (1865–1950), so lässt sich zunächst festhalten, dass weder die Berücksichtigung von Menschen jeder Lebensphase, noch die Gesundheits- und Zufriedenheitsprämisse genuine Bestandteile des Ansatzes bildeten. Jaques-Dalcroze ging es mit dem, was er anfänglich als „rhythmische Gymnastik“ bezeichnete, zunächst um die Zielgruppe seiner eigenen Musikstudierenden und erst in einem weiteren Schritt um eine Anwendung im Kontext der musikalischen Jugendbildung beziehungsweise -erziehung. Auch standen damals vorrangig künstlerisch-ästhetische Vermittlungs- und Aneignungsprozesse im Vordergrund, die mittels einer synergetischen Verbindung von Musik, Bewegung, Rhythmus und Raum angestrebt wurden. Erst die Fortentwicklung des Ansatzes, unter anderem im Kontext ihrer zunehmend stärkeren Verortung als Wissenschafts- und Studiendisziplin, führte zu der skizzierten Ausweitung der Rhythmik im Sinne eines inhaltlich wie methodisch ganzheitlichen Ansatzes.
Der fachgeschichtliche Abriss verweist letztlich auch auf die Herkunft des oben genannten Lehrgangs zur Rhythmikgeragogik, der erstmalig im September 2019 an der Landesmusikakademie NRW mit 19 Teilnehmenden unter der Leitung von Mag. Monika Mayr (Wien) startete. Zu den Inhalten zählte neben der Vermittlung theoretischer Grundlagen vor allem die rhythmische Praxis etwa in ihrem Bezug zu Themen wie Improvisation, Validation, Intergeneration, Sensorik, dementieller Veränderung oder der Stimme im Alter. Einen festen Bestandteil des Lehrgangs bildete zudem die Hospitation in einer Senioreneinrichtung, um die in den Phasen erfahrenen Inhalte/Methoden direkt mit der Zielgruppe in praxi umzusetzen. Schnell galt es jedoch nach den ersten beiden erfolgreich durchgeführten Präsenzphasen auf die massiven Einschränkungen durch die Corona-Pandemie zu reagieren.
Die Situation erlaubte spätestens seit Frühjahr 2020 keinen persönlichen Kontakt zwischen den Beteiligten, so dass die Hospitationen ausfallen beziehungsweise verschoben werden mussten. Erst eine kurzzeitige Entspannung der Inzidenzwerte ermöglichte es, im Juli 2021 wieder in einen von allen Seiten herbeigesehnten Präsenzkontakt zu treten, der mit einem Nachmittagskonzert für die Bewohner*innen der Senioreneinrichtung zelebriert wurde. Im kommenden Dezember wird schließlich die finale Phase und damit der erste Lehrgang seiner Art abgeschlossen sein – vorausgesetzt natürlich, die pandemischen Umstände erlauben dies …
Abschlussarbeiten
Ein wichtiges Teilresultat des Lehrgangs bildeten die von den Teilnehmer*innen verfassten Abschluss-arbeiten, die unter der Herausgeberschaft der Lehrgangsleiterin Monika Mayr in eine für das kommende Jahr angesetzte Publikation im Waxmann-Verlag münden werden. Mit der avisierten Veröffentlichung wird der Disziplin Rhythmikgeragogik somit auch im Punkt ihrer theoretischen, ästhetischen und methodologischen Durchdringung Rechnung getragen. Dieser Beitrag erscheint umso begrüßenswerter, als man innerhalb der Literatur zur Musikgeragogik eher selten auf Publikationen stößt, die sich dem Thema Musik und Bewegung speziell aus der Rhythmik-Perspektive annehmen. Dabei reichen die Artikel von konkreten Stundenbildern mit Senior*innen (mit und ohne dementieller Veränderung) bis zu allgemein gesellschaftlichen Einordnungen der Disziplin und zeigen damit ein breites Spektrum an Reflexionen auf. Man wird daher auf die anstehende Veröffentlichung gespannt sein dürfen!
Für das Jahr 2022 ist eine Neuauflage des Lehrgangs mit fünf Präsenzphasen sowie drei Online-Einheiten geplant. Weiterführende Informationen hierzu sowie die Möglichkeit zur Anmeldung sind unter www.lma-nrw.de zu finden.