„Die Idee ist ganz einfach, es musste nur einer darauf kommen“, befand bereits 2006, nach dem ersten Konzert von „Bachs Erben“, ein Redakteur der Mitteldeutschen Zeitung. Einerseits traf er damit den Nagel auf den Kopf. Andererseits: Wie tragfähig eine Idee ist, zeigt sich nur über eine längere Zeit. Und, mal ehrlich, ein Jugendbarockorchester, am Beginn des dritten Jahrtausends?
Inzwischen ist das Experiment fünf Jahre her; es ist längst kein Experiment mehr, aber es ist nach wie vor alles andere als Routine. Eine solche würde auch sicher keinen der jungen Leute im Alter zwischen 14 und 22 Jahren aus ganz Deutschland in den Harz nach Michaelstein locken – mehrmals im Jahr, zu Probenphasen von meist zwischen drei und zehn Tagen, morgens Registerproben, nachmittags Tutti, abends Kammermusik, immer abgeschlossen von mindestens einem öffentlichen Konzert. Was aber ist es dann?
Dass Barockmusik eine spannende Geschichte sein kann, wenn man sie richtig spielt, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Dass auch das Standardrepertoire des 19. Jahrhunderts überzeugender klingt, wenn man sich seiner Interpretation mit dem Wissen um Klangvorstellungen älterer Epochen nähert, diese Erkenntnis beginnt sich durchzusetzen. Jedoch: Der Weg ist lang, und offenbar unterscheiden sich die Wegstrecken kaum. Von den ersten Schritten auf einem Instrument bis auf die Konzertpodien der Welt ist es bekanntermaßen weit. Aber ebenso hart und steinig scheint der Weg von Spiel- und Herangehensweisen, die bei vielen Spitzeninterpreten mittlerweile selbstverständlich sind, zurück in die Studierstuben zu sein.
…ein Glücksumstand, dass sich seinerzeit die Intentionen der Akademie für Alte Musik Berlin, etwas für den musikalischen Nachwuchs zu tun, mit eben diesem Satzungsauftrag und den Möglichkeiten der Stiftung Kloster Michaelstein und der Ständigen Konferenz Mitteldeutsche Barockmusik e.V. trafen. Der Gedanke dahinter: die Spezialisierung auf die Alte Musik vom Musikstudium zu verlagern in eine Zeit, in der junge Musiker die Anfangshürden des Instrumentalspiels genommen haben und bereit und in der Lage sind, musikalische Strukturen bis hin zu ihrer historischen Determination zu erfassen und ihre Interpretation danach auszurichten. Anders ausgedrückt: So, wie man eine Sprache um so leichter und besser lernt, je eher man damit beginnt, so sollte auch möglichst früh auf der Basis von Wissen ein Gefühl für die Musiksprache des Barock hervorgerufen werden und in Fleisch und Blut übergehen.
Gesagt, getan. Ein Jugendbarockorchester wurde ins Leben gerufen, und dessen Alltag sieht nun aber fernab der theoretischen Hintergründe sehr viel praktischer aus. „Spiel doch mal: ‚Ich bin die Gertrud‘!“ – stellte eine solche Aufforderung der Dozenten um Raphael Alpermann die allermeisten der jungen Musiker zu Beginn noch vor Probleme, so entlockt sie ihnen heute nurmehr ein nostalgisch eingefärbtes Lächeln. „Die wissen einfach, wie man TÖNE macht!“, schwärmte im letzten November der niederländische Dirigent und Komponist Hans Rotman, der mit „Bachs Erben“ im Rahmen des Festivals „Impuls“ zusammenarbeitete und mit ihnen ein kreatives Konzertprojekt „Alte und Neue Musik im Dialog“ in die Tat umsetzte. Überhaupt – Neues: Für „Bachs Erben“ ist Barockmusik nichts, was man mit einem weihevollen Gesichtsausdruck spielt und, um mit Telemann zu sprechen, „eben so steiff…, wie vielleicht sein Großvater gethan“. Und so geht eben die Rosinante in Telemanns „Don-Quichotte-Suite“ mit einem wahrhaft schauerlichen Ächzen in die Knie… glucksendes Lachen im Publikum, schelmisches Lächeln im Orchester: Es hat wieder einmal funktioniert.
Dass es funktioniert, haben inzwischen auch andere bemerkt. Der MDR Figaro war bereits zwei Mal zu Gast, Reisen nach China und nach Bulgarien stehen in der Vita des Ensembles, und die Liste der Konzertorte würde den Umfang dieses Artikels sprengen. Die nächste Herausforderung wartet schon: eine Einladung zu den Händel-Festspielen nach Halle, verbunden mit, tatsächlich, einer Händel-Uraufführung, und zwar der überlieferten Fragmente aus der Oper „Genserico“. Die ursprünglich „einfache“ Idee – sie trägt, ganz real.
Nähere Informationen zu Probespielen, Projekten und Konzertterminen: www.bachs-erben.de