Unter der Regie von Kordula Lobeck de Fabris, Wuppertal, bekannt durch ihr Frauentheaternetzwerk „Unter Wasser fliegen“ und zahlreiche multiethnische Jugendtheaterprojekte, entstand in der Akademie Remscheid eine moderne Fassung des Dramas „Bernarda Albas Haus“ von Garcia Lorca, die exemplarisch aufzeigt, wie der Einsatz von Musik und Bewegung in der Theaterpädagogik zu facettenreichen Inszenierungen führen kann.
Das Thema ist rasch umrissen: Was machen fünf junge Frauen, deren Vater gestorben ist und die acht Jahre lang das Haus nicht verlassen, keinen Mann zu Gesicht bekommen dürfen? Eine strenge Mutter und die alles kontrollierende Dorfgemeinschaft wachen über Anstand und Moral.
Der spanische Autor Federico Garcia Lorca schrieb das Stück über eine Witwe und ihre fünf heiratsfähigen Töchter vor mehr als 80 Jahren. Es gibt eine Vielzahl von inszenatorischen Interpretationen. Der Autor selbst beschreibt das Stück als andalusisches poetisches Drama ohne Verse, als fotografische Dokumentation einer Familie, als den Versuch, in einem universellen Theaterstück den Konflikt des Individuums mit der Gesellschaft auszudrücken.
Die aktuelle Inszenierung der Akademie Remscheid fiel vor allem durch die Interdisziplinarität und den Facettenreichtum auf: Bei Lorca gibt es keine Männerrollen, in der aktuellen Inszenierung aber spielten zwei Männer mit. Die Schauspieler/-innen standen im Mittelpunkt dieser Theaterarbeit. Sie spielten – anders als im traditionellen Sprechtheater – alle Rollen, wechselten in rasanten Tempi die Kostüme, tanzten und sangen. So zogen sie die Zuschauer/-innen in einen Bann aus Bewegung, Bildern, Gesang und Stille.
Begleitet wurden die angehenden Theaterpädagogen/-innen von einem multiprofessionellen Regieteam. Neben Kordula Lohbeck de Fabris bestand es aus Brigitte Cirla, Leiterin von Voix Polyphonique (Marseille), bekannt durch ihre polyphonen Chorprojekte und Konzertinszenierungen, die für Stimmbildung und Gesang zuständig war, Francisco Mamani, Schauspieler aus Peru, derzeit in Wuppertal lebend, zuständig für das Körpertraining, und der Akademiedozentin Gitta Martens, verantwortlich für Dramaturgie und Theaterpädagogik.
In zweimal zehn Tagen entstand in diesem Theaterprojekt ein neues Stück zur Vorlage, dessen Inszenierungsweg auch auf die Bedingungen theaterpädagogischer Praxis übertragbar ist. Die Schauspieler/-innen haben deshalb ihre Arbeit in einer theaterpädagogischen Vor- und Nachbereitung für interessierte Schulklassen vorgestellt. Sie gingen in die Schulen, die Klassen kamen zur Aufführung in die Akademie Remscheid und tauschten sich im Anschluss auch mit dem Regieteam aus.
Das anspruchsvolle Konzept der Integration von Rhythmus, Musik und Bewegung in die theaterpädagogische Arbeit hat Tradition in der Akademie Remscheid: So entwickeln zukünftige Theaterpädagogen/-innen z.B. in der bundesweit einmaligen berufsbegleitenden Fortbildung „Rhythmik–Text–Theater“ differenzierte rhythmisch-musikalische Kompetenzen für die Theaterarbeit. Im Kern geht es in dieser Fortbildung um die Frage, wie aus einer dramatischen Textvorlage mit den Mitteln des postdramatischen Theaters eine prägnante Inszenierung wird, mit der sich jugendliche Spieler/-innen wirkungsvoll ausdrücken.
Auf der Grundlage eines Theatertextes werden die Techniken der Verfremdung, die Gestaltung durch Bewegung und der kreative Einsatz von Sprache und Text, sowie weitere performative Formen des Spiels mit Wirklichkeiten erlernt.
Improvisationen bilden das Ausgangsmaterial, an dem für eine handwerklich präzise Inszenierung gearbeitet wird. Roter Faden durch alle Kursphasen ist die Auseinandersetzung mit Rhythmus, Tempo, Dynamik und Artikulation – immer ausgehend vom Text. Die Reflexion der Methoden im Hinblick auf den Einsatz in verschiedenen Feldern theaterpädagogischer Arbeit führt zum Transfer in die berufliche Praxis der angehenden Theaterpädagogen/-innen. Dieser Prozess wird mit Praxisaufgaben und Supervision durch die Kursleiterinnen begleitet.
Die so erworbenen Kompetenzen bilden die Grundlage für Inszenierungsprojekte wie der aktuellen Interpretation von „Bernarda Albas Haus“. Die langjährige Erfahrung vieler Generationen von Theaterpädagogen/-innen, die ihre Qualifikation in der Akademie Remscheid erworben haben, zeigt, dass dieses anspruchsvolle interdisziplinäre Modell sehr gut in die theaterpädagogische Praxis mit Kindern und Jugendlichen übertragbar ist – und ihnen ermöglicht, besonders vielschichtige ästhetische Erfahrungen zu machen.
Die nächste Fortbildung „Rhythmik –Text – Theater“ beginnt am 11.11.2013. Leitung: Barbara Schultze, Dozentin für Rhythmik, und Gitta Martens, Dozentin für Theaterpädagogik.