Über 30 Jahre lang hat Barbara Schultze den Fachbereich Rhythmik an der Akademie der Kulturellen Bildung geprägt. Sie konzipierte zahlreiche Qualifizierungen und verband darin künstlerische und pädagogische Praxis. Mit fortschrittlichen Ansätzen zu Inklusion und Rezeption war sie immer am Puls der Zeit. Nach 33 Jahren verabschiedet sie sich nun in den Ruhestand. Barbara Schultze im Gespräch über künstlerische Freiräume, gestiegene Anforderungen an Teilnehmer*innen und die großen Herausforderungen für die Rhythmik.
Torsten Schäfer:Was hat Sie ursprünglich an die Akademie geführt?
Barbara Schultze: Mein erster Kontakt mit Remscheid war Ende der Siebziger, als dort jedes Jahr im Herbst internationale Rhythmik-Seminare stattfanden. Diese Seminare waren Treffpunkt und Austausch der Hochschulen. Ich war als Studierende dort und habe eine Solo-Gestaltung aufs Parkett gelegt und war auch später als Lehrbeauftragte mit meinen Studierenden in der Akademie.
Schäfer: Mit welchen Erwartungen sind Sie zur Akademie gekommen?
Schultze: Meine Vorstellungen waren sehr vage. Ich kam aus der Ausbildung, hatte mit Studierenden und freiberuflich in verschiedenen praktischen Feldern gearbeitet. Was auf mich zukam bei Teilnehmer*innen, die schon im Beruf standen, ein ganz anderes pädagogisches Setting und damit auch andere Fragen hatten, konnte ich mir gar nicht richtig vorstellen. Ich sprang ziemlich ins kalte Wasser.
Schäfer: Sie haben verschiedene erfolgreiche Fortbildungsreihen gestaltet. Wie innovativ konnten Sie an der Akademie arbeiten?
Schultze: Ich hatte die absolute Freiheit, in jede Richtung zu experimentieren und zu konzipieren. Und dafür gab es immer Support im Haus. So etwas findet man nicht überall.
Schäfer: Wie sehen Sie die Entwicklung der Rhythmik heute im nationalen und internationalen Diskurs?
Schultze: Die Szene ist nicht groß und sie hat es auch nicht leicht. Momentan wirken die jungen Kolleg*innen stark nach außen. Diese Triebkraft sollte bleiben, aber das Tempo muss sich steigern. Ein großes Problem ist, dass es im Bereich der Musik- und Bewegungspädagogik überall an Lehrkräften fehlt. Dadurch ist die Brücke zur Praxis gefährdet. Zudem müsste an den Hochschulen interdisziplinärer gedacht und agiert werden. Davon könnte die Rhythmik extrem profitieren. Gerade an diesen Schnittstellen hat sie viel zu bieten.
Schäfer: Worauf sind Sie besonders stolz in Ihren 33 Jahren Rhythmik an der Akademie?
Schultze: Wenn ich mir die Historie seit 1958 anschaue, gab es schon sehr früh Seminare, die international bestückt waren mit Mediziner*innen, Wissenschaftler*innen und Rhythmiker*innen. Ich bin stolz darauf, dass ich diese Breite weitertragen konnte. Und ich bin auch stolz, dass wir die herausragende Chance hatten, 1989 den Kongress des Rhythmik-Weltverbandes F.I.E.R., der normalerweise in Genf stattfindet, exklusiv einmal hier zu haben. Aber auch auf Tagungen wie „Die Ausgrenzung hat viele Gesichter“, das „Rhythmik-Festival“ und in diesem Jahr „Spektrum Rhythmik“. Das Wichtigste aber war, das Qualifizierungsprofil des Fachbereichs kontinuierlich zu schärfen. Zusammen mit Herbert Fiedler haben wir ein Alleinstellungsmerkmal für Musik und Bewegung aufgebaut, die „Qualifizierung zur Musik- und Bewegungspädagog*in“. Sie geht modifiziert weiter nach vorne. Das freut mich sehr.
Schäfer: Wie haben sich die Teilnehmer*innen von heute im Vergleich zu 1986 verändert?
Schultze: Ob Biolog*innen, Kulturschaffende, bildende Künstler*innen, Sozialarbeiter*innen oder Erzieher*innen – ich habe eine große Vielfalt an Menschen erlebt. Die Vielfalt ist geblieben. Allerdings ist die Heterogenität der Gruppen, mit denen unsere Teilnehmer*innen arbeiten, größer geworden. Heute stehen viele Teilnehmer*innen zum Teil enorm unter Druck. Sie müssen sich in ganz anderer Art und Weise Zeitfenster und Budgets freischaufeln. Das starke Bedürfnis, an sich zu arbeiten und sich fachlich und qualifiziert gut aufzustellen, ist geblieben oder hat sich sogar verstärkt.
Schäfer: Was waren die größten Herausforderungen?
Schultze: In einer begrenzten Zeit möchte man mit den Teilnehmer*innen so fundiert wie möglich arbeiten. Wohlwissend, dass man all das, was an Handwerkszeug notwendig wäre, schwer unterbringen kann. Dieser Spagat war für mich eine wahnsinnige Herausforderung.
Schäfer: Was bleibt Ihnen aus Ihrem Fachbereich besonders in Erinnerung?
Schultze: Vieles hat mit dem Haus zu tun. Das Potential der Rhythmik konnte ich an der Akademie in die Waagschale werfen. In keiner Institution hätte ich vermutlich die Chance gehabt, mit Kolleg*innen aus der Bildenden Kunst, aus Theater, Tanz, Musik, Literatur, Medien und anderen Disziplinen so gleichberechtigt und innovativ zu arbeiten. Vom Experiment bis zur großen Konzeptreihe. Das ist absolut einzigartig. Einzigartig ist auch, die Menschen so lange und intensiv begleiten zu können. Das ist erfüllend.
Schäfer: Mit welchem Gefühl gehen Sie in den Ruhestand?
Schultze: Ich gehe mit zwei lachenden Augen. Das eine blickt auf das, was gelungen ist. Sowohl mit den Menschen hier im Haus als auch fachlich mit den Teilnehmer*innen. Mich hat geprägt, dass ich an der Akademie neben der Pädagogik auch selbst künstlerisch arbeiten konnte. So konnten sich beide Felder gegenseitig nähren. Mit dem zweiten lachenden Auge freue ich mich auf das, was ab jetzt Neues kommt. Ich wünsche mir, dass ich meine Ressourcen in Musik und Bewegung wieder gestaltend künstlerisch aktivieren kann.