Es steht schlecht um die Nachwuchsgewinnung im Bereich Musikpädagogik. Insbesondere die Studierendenzahlen in den Lehramtsstudiengängen Musik sind seit längerer Zeit rückläufig. Gleichzeitig können viele Stellen im Fach Musik nicht besetzt werden. Während die Ursachen vielfältig sind, fehlte bisher eine valide Datengrundlage, um sich dem Thema systemisch zu nähern. Im Juni 2024 wurden nun die Ergebnisse der bundesweiten Studie MULEM-EX veröffentlicht, die Ursachen und Handlungsoptionen rund um den Musiklehrkräftemangel aufzeigt. Das Fazit: Es braucht Reflexion und Veränderungsprozesse in der musikpädagogischen Ausbildung.
Wer lehrt in Zukunft noch Musik?
Um die notwendigen Veränderungen anzugehen, müssen Maßnahmen ergriffen werden. Und dies bereits vor der akademischen Ausbildung. Wie der Weg hin zu zeitgemäßen und praxisnahen Ausbildungsformaten im Bereich Musikpädagogik aussehen kann, zeigt die Weiterentwicklung des Projekts „musiktutor-*innen sh“ („mut*sh“) zur Förderung des musikpädagogischen Nachwuchses in Schleswig-Holstein.
Als Teil des Kompetenzzentrums für Musikalische Bildung Schleswig-Holstein (KMB.SH) ermöglichen das Nordkolleg Rendsburg und die Musikhochschule Lübeck seit 2017 jedes Jahr rund 30 Schüler:innen aus dem ganzen Bundesland eine praxisnahe Ausbildung an mehreren Wochenenden auf dem Campus des Nordkollegs. Die Inhalte umfassen neben Unterricht in den Fächern Ensembleleitung instrumental oder vokal bzw. Tontechnik und Beschallung auch Kurse in Musiktheorie, Gehörbildung und Projektmanagement sowie Workshops zu den Themen Kommunikation in Gruppen, Berufsorientierung und Vorbereitung auf eine Aufnahmeprüfung im Fach Musik. Die Ziele des Projekts sind klar formuliert: Teilnehmende sollen die erworbenen Fähigkeiten im Anschluss in Form von assistierenden musikpädagogischen Aufgaben und eigenen Projekten in ihren Schulen und im außerschulischen Amateurmusikbereich praktisch anwenden. Strategisch dient das Projekt aber auch dazu, jungen Menschen einen ersten Einblick in die Rolle als Musikpädagog:in zu ermöglichen und Ausbildungs- und Berufswege aufzuzeigen. Im Idealfall werden sie gezielt bis zur Aufnahme eines Studiums begleitet. Doch wie kann man junge Menschen heute nachhaltig für musikpädagogische Arbeitsfelder begeistern, wenn diese – das zeigt die oben genannte Studie deutlich – oftmals negativ konnotiert sind? Antworten auf diese Frage sucht das Team der Projektleitung von »mut*sh« um Martin Berner und Daniela Bartels durch eine gezielte Weiterentwicklung des Projekts. Im Fokus: praxisrelevante Inhalte, Partizipation, Shared Leadership und Diversität.
Vor dem Hintergrund der sich wandelnden Lebenswirklichkeit junger Menschen legt »mut*sh« einen Schwerpunkt auf Inhalte und Fähigkeiten, die den Teilnehmenden eine hohe Anwendbarkeit ermöglichen. Neben dem klassischen Dirigat stehen daher auch alternative Leitungsformen zur Diskussion. Dass das Bild von Ensembleleiter:innen, die mit klassischem Dirigat unbeholfen eine Pop- oder Rockband dirigieren wollen, nicht nur bei Jugendlichen, sondern auch bei ausgebildeten Musiker:innen und Musikpädagog:innen abwechselnd für Lachen oder Fremdscham sorgt, darf in der heutigen musikpädagogischen Ausbildung bei aller klassischen Tradition nicht verdrängt werden. Das betrifft auch das oftmals schwierige Verhältnis zu Musiktheorie. Fundiertes Wissen ist wichtig, es muss jedoch für junge Menschen in ihrer Welt Relevanz haben.
Letztlich führt dieser Ansatz auch zu mehr Diversität. Im Projekt „mut*sh“ zeigt sich Diversität nicht nur durch die bewusste Zusammensetzung von heterogenen Gruppen. Wichtig ist auch die Einbeziehung unterschiedlicher musikalischer Genres und pädagogischer Praktiken. Die musikalischen und pädagogischen Inhalte sollen die Vielfalt der heutigen Musiklandschaft widerspiegeln. Dies bereitet die Jugendlichen darauf vor, in einem vielfältigen und multikulturellen Umfeld pädagogisch aktiv zu sein – durchaus mit ihrem eigenen Schwerpunkt. So darf der klassische Chorsatz ganz selbstverständlich neben der Hip-Hop-Produktion und der Popband erklingen.
Eine wesentliche Rolle spielt dabei die aktive Beteiligung der Jugendlichen. Die Gestaltung der Kurse ist zwar durch ein Curriculum gegliedert, bietet aber die Offenheit, auf inhaltliche Interessen der Teilnehmenden einzugehen und Lerninhalte zielgerichtet anzubieten. Durch digitale und analoge Umfragen bringen sich die Teilnehmenden aktiv in die Planung und Gestaltung der Aktivitäten ein. Auch innerhalb der Kurse spielt Partizipation eine Rolle. Konzepte wie das klassisch-frontale Leitungssetting werden im Rahmen der Fragestellung, wie Partizipation bei der Leitung von Gruppen gelingen kann, kritisch diskutiert. Genügend Raum für Reflexion ermöglicht den Teilnehmenden, Potenzial und Herausforderungen partizipativer Ansätze realistisch zu beurteilen.
Eine weitere Säule der Weiterentwicklung ist das Konzept von Shared Leadership. Im Projekt „mut*sh“ kommt der geteilten Übernahme von Verantwortung und der Förderung von Teamarbeit ein großer Stellenwert zu. Die Teilnehmenden lernen einerseits, Führungsrollen in einer Gruppe zu übernehmen und gleichzeitig, in flachen Hierarchien Entscheidungen im Team zu treffen. So findet neben der Vermittlung von musikpädagogischen Inhalten auch eine kritische Reflexion von Lehrformaten und Gruppenprozessen statt.
Es wird deutlich, dass es für eine gelingende musikpädagogische Ausbildung, die junge Menschen begeistert, heute mehr braucht als die Reproduktion des ewig Gestrigen und überholter Herangehensweisen. Soll das Bild von Musikpädagog:innen aufgewertet werden, muss sich dies auch in der Ausbildung glaubhaft widerspiegeln. Musikpädagogik kann neu gedacht werden und durch einen starken Bezug zur Gegenwart neue Relevanz erhalten. Nur so können junge Menschen für einen Beruf begeistert werden, in dem sie sich mit Kreativität, Selbstwirksamkeit und Teamfähigkeit für die Vermittlung von Musik einsetzen.
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