Vom 17. bis 19. Mai findet der große Bundeskongress des VdM in Berlin statt. Den Abschluss der Veranstaltung mit Fortbildungen, Diskussionspanels, Gelegenheit zum Austausch mit Kollegen und Musikdarbietungen bildet das Konzert des Kinderopernorchesters der Staatsoper Unter den Linden am 19. Mai um 14 Uhr. Das Orchester ist ein Projekt der Staatsoper in enger Zusammenarbeit mit den Berliner Musikschulen. Julia Spinola porträtiert das Ensemble, das am Ostersamstag 2019 sein erstes Konzert gab.
Der kleine Junge an der Pauke ist kaum größer als sein Instrument. Gemeinsam mit seinem jungen Kollegen am Schlagwerk zählt er die Anzahl der Pausentakte hochkonzentriert an den Fingern ab. Die Anspannung steht den beiden Kindern ins Gesicht geschrieben: Jetzt bloß nicht verrechnen. Dirigent Max Renne blickt herüber und gibt einen Impuls. Der Kinderchor der Staatsoper setzt ein. Alles funktioniert prächtig. Der „Abendsegen“ aus Engelbert Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“ klingt an diesem Nachmittag zwar keineswegs lupenrein im Zusammenspiel des jüngsten Orchesters von Berlin. Dafür füllt ein ungewohnt direktes, lustvolles Musizieren den Orchesterprobensaal der Berliner Staatsoper Unter den Linden. Am Tag vor der Generalprobe des Debütkonzerts im großen Saal des international renommierten Opernhauses ist die Stimmung im Probensaal aufgekratzt. Unzählige kleine Arme und Streicherbögen schnellen am Ende der Probe in die Höhe, weil es noch so viel zu fragen gibt. Wann müssen wir aufstehen, wann sollen wir uns hinsetzen? Müssen wir uns verbeugen? Wird Daniel Barenboim die Instrumentengruppen der einzelnen Charaktere aus Sergej Prokofjews „Peter und der Wolf“ einzeln vorstellen wollen? Nicht alles lässt sich hundertprozentig vorhersehen und einstudieren.
Seit September 2018 arbeiten die knapp 90 Kinder des Opernkinderorchesters auf den großen Auftritt bei den Festtagen der Staatsoper hin. Das Debüt könnte kaum prominenter besetzt sein. Startenor Rolando Villazón ist als Sänger, Erzähler und Moderator ebenso dabei wie die junge Sopranistin Serena Sáenz. Am Pult stehen abwechselnd der künstlerische Leiter des Kinderorchesters Max Renne und, beim Debütkonzert, Staatsopern-GMD Daniel Barenboim. Der Maestro sei zwar viel strenger als Max Renne, erzählen die Kinder nach der Probe. Aber das sei schon in Ordnung, denn es komme auch viel dabei heraus. Das Programm ist in der Tat kein Kinderspiel, sondern sehr anspruchsvoll für eine orchesterun-
erfahrene Horde von Sieben- bis Dreizehnjährigen: Außer Prokofjew und Ausschnitten aus „Hänsel und Gretel“ waren auch zwei Duette aus der „Zauberflöte“ und die Ouvertüre zu Mozarts „Apollo et Hyacinthus“ zu hören.
Das Orchester war ein Herzenswunsch von Matthias Schulz, dem Intendanten der Staatsoper, der es vor zwei Jahren initiiert hat. Schon als Leiter des Mozarteums in Salzburg hatte er ein Kinderorchester ins Leben gerufen. Wie in Salzburg, wo eine Kooperation mit der kommunalen Musikschule entstand, so war Schulz auch bei dem Berliner Projekt wichtig, eine enge Zusammenarbeit mit den zwölf bezirklichen und drei privaten Musikschulen des Landes Berlin zu etablieren. Seine Idee war es nicht, den Musikschulen auf dem Felde der Musikpädagogik Konkurrenz zu machen, er wollte ihr Angebot vielmehr sinnvoll ergänzen. Die Musikschulen, erzählt Schulz, böten den Kindern zwar auch die Möglichkeit, sich im Ensemblespiel zu erproben. Um ganze Kinderorchester auf die Beine zu stellen, fehlten ihnen aber schlicht die Mittel. Die Mitglieder der Landesjugendorches-ter wiederum sind deutlich älter. Dabei könne man mit dem Orchesterspiel, meint Matthias Schulz, selber Pianist und Vater von vier Kindern, gar nicht früh genug anfangen. Jede Stimmgruppe wird von zwei Mentoren gecoacht: von einem Musiker der Staatskapelle und von einem Musikschullehrer. Mit ihren Mentoren finden sich die einzelnen Orchestergruppen dann zu den Tutti-Proben im Orchesterprobensaal der Staatskapelle zusammen, wo Max Renne die herausfordernde Aufgabe wahrnimmt, den Kindern das Orchesterspiel beizubringen.
Ähnlich wie im Berliner Musikkindergarten, den Daniel Barenboim initiiert hat, geht es beim Kinderopernorchester nicht primär um eine Förderung von Höchstbegabten. Die Staatsoper pickt sich nicht einfach in Bewerbungsvorspielen die begabtesten Kinder der Berliner Musikschulen heraus. Vielmehr ist ein wichtiger Aspekt des Projektes, dass die Musikschulen selber die Kinder vorschlagen. Die Vorspiele dienten dann hauptsächlich einem ersten beiderseitigen Kennenlernen, erzählt Matthias Schulz. Und tatsächlich seien weitgehend alle der vorgeschlagenen Musikeleven ins Orchester aufgenommen worden. Im Gespräch mit den Kindern bestätigt sich der Eindruck, dass dieses Orches-ter nicht nur Wettbewerbssiegern und Wunderkindern offensteht. Zwar haben die Kinder naturgemäß früh mit ihrem Instrumentalunterricht begonnen. Bei aller Begeisterung für das Opernorchester, in dem sie hoffen, noch viele weitere Jahre zu spielen, berichten die Kinder jedoch auch von anderen Aktivitäten, die für sie zum Teil gleichberechtigt neben der Musik Platz haben.
Die Erfahrung, in einem professionellen Zusammenhang an das Orches-terspiel herangeführt zu werden, wird sie dennoch ein Leben lang begleiten. Sie ist von unschätzbarem Wert. In den zehn Monaten, in denen sie regelmäßig im Opernhaus zusammenkommen, lernen die kleinen Orchestermitglieder, als Teil einer großen Gruppe Verantwortung für das Ganze zu übernehmen. Sie lernen, zugleich auf die eigene und auf die Stimme der anderen zu hören. Sie erfahren ebenso ihre Grenzen wie die Möglichkeit, über diese hinauszuwachsen. Schließlich, und das ist wohl das Kostbarste an allem, tauchen sie ein in das Geheimnis der großen Werke und des musikalischen Ausdrucks. Und ganz nebenbei ist so ein Opernhaus natürlich auch ein großes Abenteuer.
- Weitere Konzerte finden unter der Leitung von Max Renne am 5.,6. und 19. Mai (im Rahmen des VdM-Kongresses) statt.