„Für die Musikschule Bochum ist es selbstverständlich, dass alle Menschen ein Recht auf Musikunterricht haben. Daher gehört der Unterricht für Menschen mit Einschränkungen seit vielen Jahrzehnten zum Standardangebot der Musikschule.“ Und: „Bereits seit über 40 Jahren ist es für uns eine Selbstverständlichkeit geworden, dass auch Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit einer körperlichen, geistigen oder anderen Einschränkung das vielfältige Angebot der Musikschule wahrnehmen können.“
Auftritt am Brandenburger Tor
So liest sich das auf der Webseite der Musikschule Bochum. Dahinter verbirgt sich eine intensive inklusive musikalische Arbeit: Bereits seit den 1970er-Jahren hat die Schule hier eine Vorreiter-Funktion. Diverse Ensembles, Bands, Chöre werden angeboten, in denen (auch) Menschen mit Beeinträchtigung mitwirken können. Inklusiv zu arbeiten, das bedeutet, „dass es für alle offen ist, dass es Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen gibt, mit unterschiedlichen musikalischen Fähigkeiten, die in einer Band spielen wollen, unterschiedlichen Alters, mit oder ohne Behinderung. Das spielt erst einmal gar keine Rolle.“ Das erklärt Claudia Schmidt, Lehrkraft an der Musikschule Bochum, die unter anderem als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Entwicklung des „Dortmunder Modells“ an der TU Dortmund mitgearbeitet hat, die seit vielen Jahren inklusive musikalische Bildungsarbeit betreibt und Mitglied des Leitungsteams des VdM-Lehrgangs „Instrumentalspiel für Menschen mit Behinderung an Musikschulen“ ist.
Claudia Schmidt leitet die Band „just fun“, ein Vorzeigeprojekt der Bochumer Musikschule. Es begann 1993 mit einem Angebot für acht Menschen mit Beeinträchtigung, die eine Möglichkeit suchten, in einer Band zu spielen. 1995 übernahm Schmidt diese Formation, spielte mit ihr auf verschiedenen Festivals und konzipierte schließlich einen Workshop, an dem auch nicht-behinderte Menschen teilnehmen konnten. Was als Projekt gedacht war, entwickelte sich zu einer festen Band. Bereits 1998 waren es 18 Musikerinnen und Musiker mit und ohne Behinderung. Das Besondere: Hier wurde Inklusion umgedreht und nichtbehinderte Musiker mischten sich unter das Ensemble. Die Besetzung änderte sich immer wieder. Auch Mundharmonika oder Akkordeon sind – neben der klassischen Big Band-Besetzung – dabei. Irgendwann kam ein Keyboarder dazu, dann ein Rapper und eine Tänzerin.
Inzwischen ist „just fun“ eine gefragte Band, die mit ihrer Begeisterung, aber auch mit ihrer Professionalität und musikalischen Qualität überzeugt. Bei verschiedenen Bundespräsidenten war sie schon zu Gast – anlässlich von Sommer- oder Kinderfesten. Das Bundespräsidialamt hatte seinerzeit beim VdM nach einer Empfehlung für das Sommerfest von Johannes Rau gefragt. So reiste die Band erstmals nach Berlin, kam dort in Kontakt mit Peter Maffay, der sie gleich zu einem Benefiz-Konzert einlud und mit ihr zusammen musizierte.
Special Olympics
Die Special Olympics World Games, die weltweit größte inklusive Sportveranstaltung, in der tausende Athlet*innen mit geistiger und mehrfacher Behinderung miteinander antreten, fanden in diesem Jahr in Berlin statt. Die Stadt Bochum war eine der deutschen „Host-Towns“, in denen sich die Delegationen aus unterschiedlichen Ländern vorbereiten und „akklimatisieren“ konnten. Zu Gast in Bochum war die finnische Delegation, und auch hier war die Musikschule bereits beteiligt – mit ihrer inklusiven „Chaos-Band“ unter der Leitung von Annette Bettmann. Sie trat im Rahmen des Begleitprogramms für die Sportlerinnen und Sportler auf.
„just fun“ hingegen wurde zur Abschlussveranstaltung in Berlin eingeladen und nahm diese Einladung gerne an. „Es war eine besondere Reise“, berichtet Claudia Schmidt. Schon allein, weil die Bochumer vor mehr als 21.000 Zuhörerinnen und Zuhörern spielte – auf einer Bühne direkt am Brandenburger Tor. Trotz der schon vorhandenen Festival-Erfahrung war dies ein Höhepunkt in der Geschichte von „just fun“. Schmidt erzählt: „Die Reise war turbulent, weil wir mit vielen Menschen unterwegs waren, die unterschiedliche Bedürfnisse hatten. Es war sehr heiß. Das Drumherum war wie immer abenteuerlich. Es gab aufgeheizte Zelte, es gab keine Wiese im Backstage-Bereich, es gab keine Kühlung. Also haben wir uns in Gruppen aufgeteilt, um diese fünf Stunden Hitze und Warten zu überstehen. Wir hatten ein gutes Team dabei; das braucht man auch auf einer solchen Reise.“
Um 10 Uhr morgens gab es einen Soundcheck, um 18.30 Uhr folgte der Auftritt. „Es war eine großartige Bühne, ein unglaubliches Gefühl, am Brandenburger Tor, an einer so historischen Stätte zu spielen“ so Schmidt. „Für die Musiker*innen war es sehr aufregend, weil sie das Beste geben wollten. Das haben sie auch getan.“ Das sei in so einer inklusiven Band erfahrungsgemäß immer noch schöner als in einer nicht-inklusiven Band. „Wir haben einige Menschen mit Down-Syndrom dabei, die einfach ihre Emotionen und ihre Begeisterungsfähigkeit zeigen und die anderen anstecken.“ Interessant war auch der besondere Anlass der „Special Olympics“: Es bedeutete, dass auch die Zuschauer*innen sehr gemischt waren. Wenn jemand mit Down-Syndrom auftrat und rappte oder tanzte, gab es immer einen Sonder-Applaus. Da erwachte im Publikum das Gefühl: „Das ist einer von uns.“
„Es war ein sehr krasses Gefühl“, berichteten später zwei Mitglieder von „just fun“ in einer Sendung von Radio Bochum. Und zu ihrer Motivation, in der Band zu spielen, erklären sie: „Es ist innerhalb der Band völlig egal, was man außerhalb der Band macht. Es macht einfach Spaß.“ „Just fun“ eben.
Verein „Gesamtkunstwerk“
Claudia Schmidt ist auch Mitgründerin des Vereins „Gesamtkunstwerk“, dessen Vereinsziel die gleichberechtigte Beteiligung von allen Menschen am kulturellen Leben der Gesellschaft und die Zusammenarbeit von Musikern und Musikerinnen mit und ohne Behinderung ist. Zu den Aktivitäten und Angeboten des Vereins gehören die Organisation kultureller Veranstaltungen, eine professionelle musikalische Ausbildung für Menschen mit Behinderung, die Betreuung gemischter Bands sowie die Organisation des „Dortmunder inklusiven Soundfestivals“.
Der Verein wurde gegründet, um inklusiven Bands Festival-Auftritte zu ermöglichen und um die musikalische Arbeit zu professionalisieren. Claudia Schmidt: „Es gibt durchaus hochtalentierte Menschen mit einer Beeinträchtigung, die aber vielleicht nur ein Instrument spielen können und die nicht an einer Hochschule studieren könnten, weil die Theorie zu schwierig wäre. Aber sie können die Theorie umsetzen und fantastisch spielen, wenn sie gut gefördert werden.“ Immer wieder habe sie sich gefragt, was die Musikschule diesen Menschen anbieten könne und deshalb den Verein mitgegründet. Die Musikschule Bochum hat die Arbeit des Vereins unterstützt; sie macht für diese Zielgruppe Angebote, die weiterführen als der normale Unterricht.
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