Die See war ruhig, die Black Pearl wurde nicht gesichtet, das Konzert konnte beginnen. In Rostock verwandelte sich die Halle 207, eine ehemalige Schiffbauhalle, (quasi) in einen Festsaal, als die jungen Musikerinnen und Musiker der Deutschen Streicherphilharmonie (DSP) mit der nur wenig älteren Solistin Noa Wildschut die Violinkonzerte a-Moll und E-Dur von Johann Sebastian Bach zelebrierten. Chefdirigent Wolfgang Hentrich legte den Taktstock zur Seite und feierte vom Besuchersessel aus mit, denn „sein“ Orchester und der holländische Shootingstar bezauberten nicht nur ihn, sondern das erwartungsvolle Konzertpublikum der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern mit ihrer einzigartigen musikalischen Symbiose. Wen nimmt es da Wunder, dass sich Jack Sparrow am Ende der Feier doch noch Zugang zum Saal verschaffte.
Zuvor aber hatte das junge Spitzenensemble der Musikschulen Gelegenheit, seinen Gastgebern mit ihrer neuerlichen Einladung zur (zweifachen) Mitwirkung bei den renommierten Festspielen recht zu geben. Sowohl in der Stadthalle Greifswald als auch in der Halle 207 in Rostock präsentierte die Deutsche Streicherphilharmonie in diesem Sommer neben den Violinkonzerten von Bach (ein Glücksfall am Cembalo: Sabine Erdmann) mit der Suite (1877) von Leoš Janáček, den Rumänischen Volkstänzern von Béla Bartók sowie der Streicherserenade von Antonín Dvor˘ák eindrucksvoll die hohe Qualität der musikalischen Ausbildung, die die 11- bis 20-jährigen Orchestermitglieder an den öffentlichen Musikschulen und den Musikgymnasien sowie durch das langjährige Dozententeam des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin (RSB, das Patenorchester der DSP) erhalten. Mit diesen fünf Dozentinnen und Dozenten war traditionell die diesjährige Sommertournee eröffnet worden.
Die gemeinsame, intensive Probenzeit der RSB-Profis mit ihren potenziellen künftigen Kolleginnen und Kollegen (die Mehrzahl der DSP-Mitglieder strebt eine Orchesterlaufbahn an) in der Musikakademie Schloss Weikersheim fand mit einer öffentlichen Generalprobe in der dortigen TauberPhilharmonie ihren gelungenen Abschluss. Entgegen der landläufigen Meinung, bei der eine holperige Generalprobe quasi Voraussetzung für den Erfolg des darauffolgenden Konzertes ist, geriet bereits der Auftakt der sich nun anschließenden Gastspielreise zu einer kleinen Sensation. Im angesichts der Urlaubszeit erstaunlich gut besuchten Dresdner Kulturpalast jubelte das Publikum insbesondere über „einen Dvorák, den es in dieser Qualität selbst von Profiorchestern kaum jemals gehört hatte“ (Besucher-O-Ton). Schlag auf Schlag ging es dann weiter: Die Tournee führte zu so renommierten Festivals wie den Brandenburgischen Sommerkonzerten (Konzert in der Wittenberger Stadtkirche), den schon erwähnten Festspielen Mecklenburg-Vorpommern (das Konzert in Rostock wurde vom NDR mitgeschnitten und wird am 2. Oktober bei NDR Kultur gesendet), dem MDR Musiksommer (Konzert im Bachsaal Köthen) und fand ihren fulminanten Abschluss im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins. Während sich einige der Älteren unter den jungen Musikerinnen und Musikern bereits wie „alte Hasen“ in dem ehrwürdigen Gebäude bewegten – war das Orchester doch in diesem Sommer bereits zum vierten Mal von dem engagierten Konzertveranstalter Vienna Classic hierhin eingeladen worden –, war es für den holländischen Shootingstar an der Violine der erste Auftritt im Musikverein. Aus den ursprünglich geplanten zwei gemeinsamen Konzerten bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern war eine gemeinsame, fast zweiwöchige Tournee einer ebenso großartigen wie unprätentiösen Noa Wildschut und der Deutschen Streicherphilharmonie unter Leitung von Chefdirigent Wolfgang Hentrich geworden, die neben den beeindruckenden musikalischen Erfolgen von einem besonderen Zauber geprägt war.
Zum Abschied in Wien war vom Bonner Standort aus (der Bundesgeschäftsstelle des Verbands deutscher Musikschulen als Träger des Orchesters) für Noa ein Pullover mit DSP-Logo nebst obligatorischer Beigabe in Form der berühmten Bonner Gummibärchen auf den Weg gebracht worden. Aber die Post tat das Ihre dazu, den gegenseitigen Wunsch nach einem Wiedersehen zu bekräftigen, indem sie auf eine pünktliche Zustellung verzichtete. Die persönliche Übergabe des DSP-Pullis – dann natürlich in der Jubiläumsedition anlässlich des 50. Geburtstags des Orchesters im kommenden Jahr – im Rahmen einer neuerlichen Zusammenarbeit ist nun eigentlich gesetzt. Ob es dann auch eine neuerliche Begegnung mit Jack Sparrow geben wird, ist fraglich. Sprüht doch Chefdirigent Wolfgang Hentrich voller Ideen, wie er am Ende eines Konzertes das Publikum mit spritzigen Zugaben und der ansteckenden jugendlichen Begeisterung der Deutschen Streicherphilharmonie beschwingt in den Alltag entlässt. Der „Fluch der Karibik“ war ein Volltreffer.