In der ehemaligen DDR gab es im „Volksmund“ einen Spruch zu den vielen ungelösten Problemen und dem Handeln der staatlichen und politischen Gremien aller Ebenen: „Es gibt viel zu tun, fangt schon mal an!“ Leider ist dies keine „War-heit“ einer „Es-war-einmal“-Vergangenheit“, sondern eine „Wahrheit“ der Gegenwart, wenn man das aktuelle Beispiel der Berliner Musikschulen und der nicht mehr akzeptablen Arbeitsbedingungen ihrer Lehrerinnen und Lehrer betrachtet. Am 19. März 2015 fand dazu im Sendesaal des rbb eine Podiumsdiskussion unter der Moderation von Sandra Maischberger statt (s. Bericht in der nmz 5-15).
Eigentlich sollte die Hauptstadt auch im Bereich der Musikschulen Vorbildcharakter haben oder sich wenigstens am Durchschnitt der Bundesrepublik orientieren, in vielen Bereichen hinkt sie allerdings als Schlusslicht hinterher. Bundesweit haben die Probleme der Musikschulen damit zu tun, dass sie zwar als Bildungseinrichtungen für alle Altersgruppen und Bevölkerungsschichten anerkannt sind, jedoch nach wie vor nicht als Pflichtaufgabe, sondern als so genannte freiwillige Leis-tung eingestuft werden.
Zurzeit sind in Berlin 91 Prozent aller Lehrkräfte freie Mitarbeiter, also nicht unbedingt an Lehrpläne oder Weisungen gebunden oder zur Zusammenarbeit oder zum Erscheinen zu Mitarbeiterberatungen verpflichtet. Bezogen auf den reinen Unterricht sind dies sogar 95 Prozent, denn ein Teil der Angestelltengehälter wird für hauptamtliche Leitungsaufgaben gebraucht. Dass trotzdem so manch gute Leistungen aus den Musikschulen entstehen und sich viele Politiker damit in Veranstaltungen schmücken, ist der aufopferungsvollen Arbeit unter zum Teil unwürdigen Bedingungen dieser Lehrerinnen und Lehrer zu verdanken, die „sich selbst-ausbeutende Überzeugungstäter sind“. Was muss sich ändern?
Hauptamtlichkeit wäre anzustreben und damit – Abschluss des entsprechenden Hochschulstudiums vorausgesetzt – gleiche Bezahlung wie in vergleichbaren anderen pädagogischen Berufen. Denn die Ausbildung ist zwar speziell für Musikschulen ausgerichtet, aber mit gleichwertigen anderen Hochschulabschlüssen nach gleichen Wertigkeitsprinzipien gleichzusetzen. Zur Hauptamtlichkeit gehört auch, dass kein Musikschullehrer nur Einzelunterricht am Instrument leistet, sondern vielseitiger eingesetzt wird, neben dem Einzelunterricht also auch für das Gruppenmusizieren, den Klassenunterricht, für vielseitige öffentliche Veranstaltungen oder Wettbewerbe wie „Jugend musiziert“.
Ulrich Mahlert (Professor für Musikpädagogik in Berlin) mahnt in diesem Zusammenhang auch die Berufsstandsicherung des Musikschullehrers an. Von jährlich circa 25 Berliner Neustudenten – das ergab kürzlich eine Nachfrage, – geht nach dem Examen eine erschreckende Zahl von nur 2 Studierenden an die Musikschule. So gering ist derzeitig das Ansehen dieses Berufes unter den jungen Leuten. Dabei wird die Arbeit des Musikschullehrers durch die neue Aufgabe der Inklusion vielseitiger, ist sie doch heute als eine Verbindung von Musikpädagogik und Sozialpädagogik zu sehen.
Mangelhafte Raum- und Sachmittelausstattung ist in Berlin außerordentlich relevant. Manche Musikschulen unterrichten in bis zu 50 verschiedenen Schulen oder anderen Fremdräumen. Mangels zu weniger geeigneter größerer Musikschulgebäude ist das Gemeinschaftsmusizieren zum Teil eingeschränkt. „Musikschulen entfernen sich immer mehr vom Begriff ‚Haus der Musik‘, in dem musikalisch gemeinsam gedacht, geprobt und beraten wird.“ So hieß es in der eingangs erwähnten Podiumsdiskussion des rbb.
Eltern zahlen in Berlin zurzeit mehr als 50 Prozent der Kosten dieser „Pflichtaufgabe“. Zwar gibt es in bestimmtem Rahmen Ermäßigungen; Tatsache ist aber, dass sich viele Eltern beispielsweise nur 30 Minuten Gruppenunterricht leisten können. In der DDR trug der Staat 87 Prozent der Kosten, die Eltern also nur 13 Prozent. Nicht die Zahl der Unterrichtsstunden bestimmte damals den Preis, vielmehr war dieser, unabhängig vom Inhalt und Umfang des Unterrichtes, für alle gleich niedrig, wie es sich für eine Schule für alle (nicht nur für die Reichen) gehört. Dieses Modell hatte gegenüber dem heutigen Gebührensys-tem viele Vorteile – aber diese Sicht ist heute wohl kaum mehr umsetzbar.
Ein großes Problem in der Zusammenarbeit des Senates und der Bezirke ist die Hoheit der Berliner Bezirke (einmalig in der BRD). Nur eins der daraus resultierenden Probleme: Berlin mit seinen im Jahr 1990 noch 23, seit der Gebietsreform 2002 nur noch 12 Musikschulen, trat im Januar 2001 aus dem VdM aus, um die Mitgliedsbeitragskos-ten zu sparen.
Für eine Großstadt von der Größe und Bedeutung Berlins lächerlich! Inzwischen ist die Hauptstadt zwar wieder Mitglied, doch der damals noch existierende Landesverband Berlin wurde zerschlagen. Eine Wiedergründung, heißt es, sei aus verbandsrechtlichen Gründen nicht möglich, da es rechtlich nur eine Berliner Musikschule gibt und die könne keinen Verband gründen. Eine daraufhin im Januar 2002 gegründete Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Berliner Musikschulleiterinnen und -leiter, angegliedert an den Landesmusikrat, versuchte bis September 2014 (inzwischen ist sie aufgelöst) diese Lücke zu füllen, was aber nicht gelang. Nun gibt es überhaupt kein, einem Landesverband annähernd ähnliches, von Fachkräften geprägtes Gremium in Berlin.
Tatsache ist, dass die Bezirke hoheitlich mit ihren Bezirksverordnetenversammlungen so viel Macht über die Verteilung der vom Senat zugewiesenen Finanzen und Inhalte haben, dass die Musikschulen praktisch selbständige Einrichtungen der Bezirke sind und einen Landesverband mit entsprechendem verbandspolitischem Einfluss bilden könnten. Dieses Problem müsste baldigst zu einer für alle Seiten akzeptablen Lösung geführt werden.
Geld fehlt nicht nur für Hauptamtlichkeit der Lehrer und für die Raum- und Sachmittelausstattung, sondern auch für die Erhöhung der Unterrichtskapazität und damit Aufarbeitung der tausende Namen tragenden Aufnahmewartelisten. Dazu kommt, dass Berlin eine wachsende Stadt ist; jährlich verzeichnet sie zwischen 40.000 bis 50.000 Zuwanderer, was dem Umgang einer mittleren Stadt entspricht. Das erfordert die Erhöhung der Unterrichtskapazität neben der Verbesserung der Unterrichtsqualität.
Unbedingt muss die spezielle Berliner Leistungs- und Kostenrechnung (LKR) an Schulen und Musikschulen abgeschafft werden, weil Bildung nicht nur als Kostenfaktor gesehen werden darf. Sie kann nur mit unmessbaren, aber umso wertvolleren Investitionen in die Schlüsselqualifikationen der Persönlichkeitsbildung (egal welchen Alters, welcher Begabung, welcher Herkunft) verglichen werden. Auch deshalb ein Aufruf zu besten äußeren Bedingungen und zur Steigerung der Qualitätsstandards.
Dies sind nur die wichtigsten Probleme, die einer Lösung bedürfen. Um auf den eingangs erwähnten Gedanken zurückzukommen, gilt den Berliner, aber auch den bundesweiten Gremien: „Es gibt noch viel zu tun, packen wir’s endlich gemeinsam an!“
Ulrich Marckardt
Der Autor war fast 25 Jahre lang Leiter der Musikschule „Leo Spies“ im Ostberliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg. Er war Anfang 1990 Mitbegründer des Musikschulverbandes der DDR und dessen Vorsitzender. Als treibende Kraft war er an der Vereinigung der Verbände Ost und West beteiligt und wurde zum Stellvertretenden Vorsitzenden des neuen Gesamtverbandes gewählt. Auch heute, als „Unruheständler“, engagiert er sich noch für die Musikschularbeit.