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Bewusstsein für die Bedeutung von Musik stärken

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Das Herbstsymposium des Verbands deutscher Musikschulen in Trossingen
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Traditionell im November findet – alle zwei Jahre – das Herbstsymposium des Verbands deutscher Musikschulen in Trossingen statt. Hier haben Bundesvorstand, Erweiterter Bundesvorstand und Gäste, die ihr Expertenwissen einbringen, die Möglichkeit, inten­siv über aktuelle Themen zu diskutie­ren, weiterzudenken und Herausforde­rungen anzugehen „Musikschulen und Nachwuchs“ lautete 2022 das übergeordnete Thema, wobei es um den Nachwuchs an Lehrkräften ebenso gehen sollte wie um den an Leitungskräften – und auch an Studierenden.

Denn der derzeit immer stärker sich bemerkbar machende Fachkräftemangel an den Musikschulen geht einher mit einem Rückgang an Studierenden im Fach Musik und insbesondere in den Fächern Instrumental- und Gesangspädagogik (IGP) sowie Elementare Musikpädagogik (EMP). Das belegte der VdM-Bundesvorsitzende Friedrich-Koh Dolge mit einer Reihe von Zahlen, die er zu seinem Eingangsimpuls mitgebracht hatte. Es stelle sich die Frage, so Dolge, „weshalb junge Menschen, die in Deutschland aufwachsen, hier zur Schule gehen und die musikalische Ausbildung an einer Musikschule, als Vorstudent*in in einer Musikhochschule oder im Privaten erhalten, nicht mehr Musik als ihre Berufung begreifen, Musik nicht mehr als Beruf ergreifen wollen, obwohl sie eigentlich dazu in der Lage wären.“ Dolge weiter: „Sicherlich hat es etwas mit dem Berufsbild des/r Musiker*in zu tun, das in unserer Gesellschaft in den letzten Jahren verblasst und verschwommen ist, auch Schaden genommen hat. Die Diskussionen um Zusammenlegungen und Schließungen von Orchestern, Schließungsdiskussionen von Musikschulen oder der Versuch von Einsparungen unter dem Deckmantel des Wunsches nach Neustrukturierungen von Musikhochschulen und deren Ausrichtungen, wie auch zuletzt die monatelangen Schließungen von Konzertsälen, haben gerade nicht zu einem positiven Bild des Musiklebens beitragen. Das Berufsbild Musiker*in leidet!“

Insbesondere das Berufsbild des/der Musikpädagog*in scheine nicht mehr stimmig zu sein: „Honorarbeschäftigungsverhältnisse, geringe bis keine Aufstiegschancen (…), eine über 35 Jahre alte Einstufung, zunächst im BAT und jetzt im TVöD, in dem sich in der Entwicklung nichts geändert hat und im Vergleich zu anderen Lehrberufen sowie anderen deutschsprachigen europäischen Ländern schlechteren Bezahlung, Aufgabenverdichtung durch einen inhaltlich komplexeren Arbeitsplatz, Arbeitszeitverlängerung bei gleichem Gehalt (Ferienüberhang) und, und, und, machen den Beruf des Musikpädagogen nicht gerade attraktiv.“ Dem aber müssen und werden öffentliche Musikschulen etwas entgegensetzen, erklärte der Verbandsvorsitzende, um dann – nach diesem eher düs­teren Bild – Chancen und Ideen anzubieten. Sowohl die künstlerische als auch die pädagogische Exzellenz müsse bereits an der Musikschule gefördert werden. Die studienvorbereitende Ausbildung, die etwa 50 Prozent der Musikschulen anbieten, könnten hier eine Reihe von Angeboten machen, wie sich Musikschulschüler*innen bereits vor dem Studium auch im Bereich der Pädagogik ausprobieren und fortbilden können. Hier will der VdM angreifen. Auch die Zusammenarbeit zwischen Musikschule und Hochschule könne ein Schlüssel zum Erfolg sein, um mehr Studierende für das Fach zu motivieren. Dolge erwähnt hier auch die Frage der Eignungsprüfungen, in denen bereits abgefragt oder „erspürt“ werden könnte, ob Interesse und Talent für pädagogische Berufe vorhanden ist. Mit einigen Fakten und Erkenntnissen über die Generationen „Z“ und „Alpha“ schloss Dolge seine Einführung. Dazu gehört unter anderem, dass diese „digital natives“ – natürlich – technisch versiert, dass sie umweltbewusst sind und im Schnitt über einen höheren Bildungsgrad verfügen als vorhergehende Generationen. „Ich bin der Überzeugung, dass wir gerade deshalb für die Generationen Z und Alpha wieder ein stärkeres Bewusstsein für die Wichtigkeit von Kunst, Kultur und Musik für und in unserer Gesellschaft entwickeln müssen. Wir benötigen ein stärkeres, aufgewertetes Bewusstsein für die Musik in unserer gesamten Gesellschaft und vor allem eine größere Wertschätzung für die Musikpädagogik, für die musikalische Bildung“, erklärte er und gab seiner Zuversicht Ausdruck, dass mit einem engen Zusammenwirken aller „Player“ eine Zukunft gestaltet werden könne, die der Musik und Musikpädagogik (wieder) mehr Auftrieb gibt.

In seinem „Szenario“ zum Thema vermittelte auch Volker Gerland, Stellvertretender Bundesvorsitzender, kein ungetrübtes Bild der Nachwuchssituation. Dabei plädierte er dafür, keinesfalls die künstlerisch-pädagogische Ausbildung in der Qualität zu schmälern. Gleichzeitig müsse man einer Schrumpfung der Musikschulen entgegenwirken. Als erste Ideen nannte Gerland die Möglichkeit, über Stadtgrenzen hinaus zu kooperieren, ein Peer-to-peer-Learning zu verstärken und ältere Menschen als Übe-Partner zu gewinnen.

Wolfgang Lessing, Professor für Musikpädagogik an der Hochschule für Musik Freiburg, sprach aus Sicht der Hochschulen über die Nachwuchsfrage. Die Situation an den Hochschulen stelle sich so dar: Grundständige IGP-Studiengänge bildeten zwar umfassend aus, wiesen aber zu geringe Kapazitäten auf, während EMP-Kapazitäten an vielen Häusern bereitständen, es aber oft zu wenig Bewerber*innen gebe. Y-Modelle an den Hochschulen laufen, so Lessing, Gefahr, dass pädagogisch befähigte Studieninteressent*innen nicht erreicht werden. Eine Lösung könnte sein, die Durchlässigkeit während des Studiums zu fördern, um einen Wechsel ins pädagogische Fach in allen Studien­abschnitten zu ermöglichen. Lessing machte sich auch für eine verstärkte Werbung für musikpädagogische Studiengänge in den SVA’s als gemeinsame Initiative der musikpädagogischen Verbände stark.

Als hochschulexterne Probleme nannte er den „Teufelskreis zwischen Berufsfeld und Hochschulen“:
Hoch­schulen „liefern“ zu wenige Pä­dagog*innen; Musikschulen verzichten (dann) auf dezidiert musikpädagogische Qualifikationen und erschweren dadurch die interne Weiterentwicklung der Hochschulen. Ein weiteres Problem sei, dass musikpädagogische Master-Absolvent*innen tariflich genauso eingruppiert würden wie Bewerber*innen ohne musikpädagogischen Abschluss. Lessing präsentierte verschiedene Weiterbildungsmodelle, um dann nächste gemeinsame Schritte zu skizzieren: den Entwurf einer gemeinsamen Weiterbildungsstrategie für Musikpädagog*innen von VdM, Akademien und Hochschulen auf der Grundlage der geltenden gesetzlichen Verordnungen sowie Initiierung von Pilotprogrammen.

Im Anschluss sprach auch Michael Dartsch, Professor für AEMP an der Musikhochschule Saar, über den Nachwuchs an Musikschulen aus der Perspektive der Musikhochschulen. Dartsch stellt die Frage, ob eine größere Attraktivität des Berufsbildes etwas an der Nachwuchslage verändern würde. Hier müsste die Forschung ansetzen mit Untersuchungen zur Motivation von EMP-Studierenden und zur Zufriedenheit von EMP-Lehrkräften. Eine solche Forschung, so Dartsch, könne gerne in Zusammenarbeit mit dem VdM umgesetzt werden. Das Klischee, Studierende seien nur am künstlerischen Aspekt ihres Studiums, nicht aber am pädagogischen interessiert, habe eine Alumni-Studie widerlegt. Allerdings bezieht sich das pädagogische Interesse insbesondere auf das eigene Instrument. Eine weitere Frage sei, so Dartsch, ob mehr Studierende am Fach EMP interessiert wären, wenn es nicht ein vollständiges zweites Studium wäre. Fragen, mit denen sich Hochschulen wie Musikschulen auseinandersetzen sollten.

In verschiedenen Arbeitsgruppen sowie einer Fishbowl-Diskussion beschäftigten sich die Teilnehmenden anschließend mit einzelnen Fragen des Themas „Nachwuchs“. Das Symposium mündete in einer Reihe von konkreten Verabredungen und Maßnahmen. Wieder einmal zeigte sich das Engagement, auch die Kompetenz derjenigen, die an den Musikschulen und in den Landesverbänden wirken. Zum Schluss gab es eine Vielfalt von Ideen, die nun gebündelt, strukturiert und umgesetzt werden müssen, außerdem einige konkrete Verabredungen für die Weiterarbeit. Das Fazit: Das Thema „Nachwuchs“ ist nicht nur ernst, sondern auch dringend – aber es gibt, vor allem im Zusammenspiel aller Beteilig­ten, auch Lösungen. Oder, wie Friedrich-Koh Dolge am Schluss seines Vortrags mit den Worten Che Guevaras forderte: „Seien wir Realisten und wagen wir gemeinsam das Unmögliche!“ 

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