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Der i-chor der Rheinischen Musikschule in Zeiten von Corona. Collage: Andrea Becker
Der i-chor der Rheinischen Musikschule in Zeiten von Corona. Collage: Andrea Becker
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Es gibt Anlass zu Optimismus

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Barbara Haack im Gespräch mit Tilman Fischer, Leiter der Rheinischen Musikschule Köln
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Die Rheinische Musikschule Köln darf in diesem Jahr ihren 175. Geburtstag feiern. Zum Geburtstag ist eine umfangreiche Publikation („Erbe und Auftrag 2.0. 175 Jahre Rheinische Musikschule Köln“) erschienen, die sich ausführlich mit der wechselvollen Geschichte der Schule, aber auch mit Gegenwart und Zukunft beschäftigt. Mit dem Leiter der Musikschule, Tilman Fischer, sprach für die nmz Barbara Haack.

neue musikzeitung: Sie selbst haben in der Publikation über die Geschichte der Musikschule geschrieben. Welche Meilensteine sind für Sie in dieser Geschichte herausragend?

Tilman Fischer: Was ich an der Geschichte der Rheinischen Musikschule besonders interessant finde, ist, dass sie auch die Geschichte der musikalischen Bildung – also vom Beginn des Bürgertums und der Industrialisierung bis heute – widerspiegelt. Gegründet wurde die Musikschule, als sich das bürgerliche Musikleben in Köln konstituiert hat. Ziel war es, die Hausmusik auszurüsten. Damals gab es ja die musikalische Profi-Szene im bürgerlichen Leben noch nicht. Aber eine hochqualitative Hausmusikszene ermöglichte zum Beispiel die nieder-rheinischen Musikfeste, die schon in den 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts weit über Köln hinaus bekannt waren. Die Musiker waren fast ausschließlich Laien. Dann wurde umgestellt auf das „Konservatorium“ und damit auf den professionellen Nachwuchs. Dann gab es 1925 die Trennung in die Staatliche Musikhochschule und die Städtische Musikschule. In der Nachkriegszeit will man sich dann als Konservatorium und Fachhochschule wieder neu formieren. Erst 1962 hat Hugo Wolfram Schmidt die Rheinische Musikschule fast so, wie sie heute ist, wiedergegründet, als städtische Musikschule für – anfangs noch – begabte Jugendliche, als vorgeschaltete Stelle für die Musikhochschule, aus der dann in den 1980er-Jahren die große Breitenförderung wurde. 

Was sich durchzieht: Wir sehen uns seit Jahrzehnten mit einer sehr langen Warteliste konfrontiert. Allein mein Vorgänger Michael Kobold hat die Schülerzahlen verdoppelt – und trotzdem! Wenn Sie andere Städte in Nordrhein-Westfalen angucken, kommen Sie immer auf eine Schülerquote bezogen auf die Bevölkerungszahl, die deutlich zwischen ein und zwei Prozent liegt. Der VdM nennt 1,7 Prozent. In Köln sind wir deutlich unter einem Prozent. Solange die Musikschule als Konservatorium geführt wurde, gab es eine klassische exkludierende Musikpädagogik. Diese Zeiten sind natürlich vorbei, aber die Musikschule ist ursprünglich nicht für den heutigen Bedarf ausgelegt.

Nicht zu vergessen ist bei der Frage nach Meilensteinen der Einfluss von Gewaltherrschaft und Rassismus während der Nazizeit, für die gerade die Rheinische Musikschule eine breite Bühne abgab.

nmz: Gleichzeitig hatten Sie immer mit der Gebäudefrage zu kämpfen – bis heute.

Fischer: Das ist richtig. Die Stadt Köln ist ja prinzipiell damit nicht gesegnet. Mein Vorgänger hat mit allem, was ihm zur Verfügung stand, gekämpft, um die Situation zu verbessern. Das war bei der Amtsübergabe auch die erste Frage an mich: Wie geht es da weiter? Aber Köln hat ja sogar den Schulnotstand ausgerufen. Es fehlen Schulen und zwar im gut zweistelligen Bereich. Die müssen erst einmal gebaut werden. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass es da nicht nur um eine Lässlichkeit gegenüber der musikalischen Bildung geht, sondern um ein Strukturproblem in Köln.

nmz: Eine Besonderheit in der Geschichte der Rheinischen Musikschule ist die enge Verbindung zum Gürzenich-Orchester.

Fischer: Ich versuche gerade, diese Verbindung wieder zu stärken. Gegründet wurde die Rheinische Musikschule von dem Kapellmeister, der auch das städtische Orchester geleitet hat. Bis 1945 waren unsere Direktoren auch Gürzenich-Kapellmeister. Die ganzen großen Musikeinrichtungen, die Orchester und Konzerthäuser – und da spielen wir ja in Köln nun wirklich in der ersten Bundesliga – kümmern sich heute alle um das Thema Musikvermittlung und musikalische Bildung. Es war für mich ganz klar, dass wir das von Anfang an nicht gegeneinander, nicht nebeneinander, sondern miteinander gestalten sollten.

nmz: Wie konkret und mit welchem Ziel?

Fischer: Es geht nicht nur darum, dass Musikschulen und musikalische Bildung wahrgenommen werden, sondern auch, dass sie ernst genommen werden. Musikschulen sind nicht nur „Juniorpartner“ in unserem Kulturleben. Ihre Bedeutung für die kulturelle Bildung ebenso wie für das „audience development“ ist nicht zu unterschätzen. So verbindet uns seit Jahren eine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Gürzenich Orchester. Wir veranstalten jedes Jahr ein Kooperationskonzert mit dem Jugendsinfonieorchester der Musikschule und dem Gürzenich-Orchester. Außerdem wollen wir gemeinsam unsere Kooperationen in den Kindertagesstätten ausbauen. Wenn die Kinder mal die Möglichkeit haben, eine Orchesterprobe oder ein Konzerthaus zu sehen, zu erleben – gerade wenn sie aus den Randbezirken Kölns kommen, wo die Kulturaffinität nicht besonders groß ist –, dann kann man schon Erstaunliches bewirken.

nmz: Jetzt sind wir schon in der Zukunft angelangt. Sie haben vor einiger Zeit eine Zukunftswerkstatt gestartet. Welche Erkenntnisse und Ergebnisse sind daraus entstanden?

Fischer: Ins Leben gerufen hat die Zukunftswerkstatt die seinerzeitige Dezernentin für Schule, Jugend und Sport, Agnes Klein. Hintergrund waren die Turbulenzen um die gewerkschaftlich organisierte Diskussion über das Thema freiberufliche Mitarbeiter an Musikschulen. Im Zuge dessen gab es wirksame Protestaktionen, die dazu geführt haben, dass der Rheinischen Musikschule am Ende 19 Planstellen zugesprochen wurden. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion während dieser Auseinandersetzung hat Frau Klein spontan gesagt: „Dann wird es höchste Zeit, dass wir eine ,Zukunftswerkstatt‘ Rheinische Musikschule‘ ins Leben rufen! Herr Fischer, kümmern Sie sich darum.“ Wir haben dann verschiedene Themen abgearbeitet. Eines der Themen, die uns strategisch beschäftigen, ist das Thema Bildungsgerechtigkeit. Wir haben erkannt, dass wir in zwei Stadtbezirken gar nicht vertreten sind. Das sind genau die beiden Stadtbezirke, in denen das Durchschnittseinkommen unterdurchschnittlich ist oder der Anteil der Bezieher von Transferleistungen des Sozialgesetzbuches überdurchschnittlich hoch ist. Um diese Lücken zu schließen, haben wir das Outreach-Konzept in Angriff genommen. Wir gehen in diese Bezirke und versuchen, dort eine Repräsentanz aufzubauen. Natürlich erhoffen wir uns, dass sich das irgendwann nachhaltig in weitere Regionalschulen niederschlägt. Ein weiterer Punkt ist die schon genannte Schulbau-Misere.

Eines unserer Ziele ist jetzt, eine Vorlage für den Rat zu schreiben, damit im nächsten Haushalt Mittel zur Verfügung stehen für einen von einem externen Beratungs- oder Strategie-Büro erstellten Musikschulentwicklungsplan, der die Situation in Köln professionell unter die Lupe nimmt und Empfehlungen für den Stadtrat für die Zukunft ausspricht.

nmz: Um welche Fragestellungen wird es da konkret gehen?

Fischer: Stimmen die Zahlen, die wir zugrunde legen? Wie ist es bei Mitanbietern? Welchen Bedarf gibt es? Sind unsere Zahlen vielleicht sogar noch zu klein? Schließlich erhebt ja Köln auch den Anspruch, eine Musikstadt zu sein. Da gibt es eine Menge Gründe, Externe darauf schauen zu lassen, die auch den Ratsmitgliedern klare Empfehlungen aussprechen: Wo ist Nachholbedarf? Wo ist Handlungsbedarf? Wie sieht der aus?

nmz: Vielleicht auch ein Modell für andere Musikschulen?

Fischer: Ja, scheinbar gibt es dafür noch keine Vorbilder.

nmz: Zu den Spezifika der Rheinischen Musikschule, die sich aus der Historie ergeben, gehört die Beschäftigung sowohl mit Neuer als auch mit Alter Musik.

Fischer: Wir wollen unseren Schülerinnen und Schülern auch Bereiche der Musik nahebringen, die nicht unbedingt Alltag sind. Das ist die Neue Musik, das ist die Alte Musik und das ist auch die außereuropäische Musik. Im Bereich der außereuropäischen Musik haben die Musikschulen einen großen Nachholbedarf, das würde ich auch in den Musikschulentwicklungsplan gerne einbringen. Aufgrund unserer Tradition, aber auch aufgrund des Engagements des entsprechenden Kollegen im Haus bemühen wir uns, die zeitgenössische Musik zu vermitteln. Wir haben ein eigenes Festival für zeitgenössische Musik von Kindern für Kinder, das „Zett Emm“.

Wir bemühen uns auch um Kooperationen, zum Beispiel mit dem WDR oder der Musikfabrik NRW, durch Exkursionen den jungen Menschen möglichst früh beizubringen, dass Musik nicht nur das ist, was man von zu Hause kennt. Dasselbe gilt für Alte Musik.

nmz: Zum Jubiläum gab es diverse Veranstaltungen, die vermutlich alle ins Corona-Wasser gefallen sind?

Fischer: Das ist alles im Spülwasser von Corona gelandet. Umso wichtiger ist nun die Festschrift.

nmz: Sehen Sie auch die Gefahr, einer schlechteren Finanzierung, durch die Rezession, die uns bevorsteht?

Fischer: Man muss schon ziemlich naiv sein, wenn man davon ausgeht, dass es nicht irgendwelche Konsequenzen für die kommunalen Musikschulen hat. Vor allem weil wir ja immer noch den Status als freiwillige kommunale Leistung haben. Aber auch hier gibt uns ein Blick auf die Geschichte der Rheinischen Musikschule Anlass zu Optimismus: Denn 1923, in einem Jahr, in dem Hunger und bittere Not den Alltag der Menschen in Deutschland bestimmten, entschied die Stadt Köln, die Rheinische Musikschule als kommunale Einrichtung weiterzuführen und so das Überleben der musikalischen Bildung, aber auch vieler Kolleginnen und Kollegen zu sichern. Eine Entscheidung, der heute Vorbildcharakter zukommt. Von daher ist die wichtigste Arbeit jetzt, dass man die musikalische Bildung ernst nimmt. Das ist auch ein Teil unserer Zukunftswerkstatt. Als es damit losging, kursierten gerade die großen Diskussionen zum Thema Künstliche Intelligenz. Wir denken: In allem, wo der Mensch in Konkurrenz mit dem Computer tritt, wird er mittelfristig verlieren. Wir sollten uns auf die Fächer konzentrieren, in denen der Computer uns nicht einholen kann. Und da sind wir gleich beim Kreativen und Empathischen, zum Beispiel bei der Kunst und beim Sport. Wir waren uns einig, dass der musikalischen Bildung eine wesentlich größere Rolle zukommen wird und zukommen muss. Wir kommunizieren das auch an die Stadt und in die Politik hinein: Der musikalischen Bildung gehört die Zukunft!

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