Musizieren fördert den Menschen. Aber es fordert ihn auch. Deshalb haben die Stiftung Schloss Kapfenburg und das Freiburger Institut für Musikermedizin 2009 das Projekt „gesunde musikschule®“ ins Leben gerufen. Es ermöglicht Schülern zertifizierter Musikschulen, von Anfang an das notwendige Wissen im Bereich Musikergesundheit zu erwerben.
Schloss Kapfenburg bei Lauchheim, ein schöner Herbsttag vor mittlerweile 15 Jahren. Ein Nachwuchsorchester ist zu Gast in der Internationalen Musikschulakademie, die jungen Musiker bereiten sich auf ein Konzert vor. „Wenn du noch keine Sehnenscheidenentzündung hattest, hast du nicht richtig geübt!“, sagt die eine Violinistin in der Mittagspause zur anderen, keine der beiden ist älter als 16 Jahre. Akademiedirektor Erich W. Hacker, der den Satz im Vorbeigehen hört, stockt. Er musste das Klarinettenspiel wegen eines „Klarinettendaumens“ aufgeben, im Gegensatz zu der jungen Musikerin hat er es jedoch nicht darauf angelegt. Die Aussage des jungen Mädchens bringt ihn ins Grübeln, vor allem die Unwissenheit, die dahinter steckt.
Hacker zögert daher nicht lange und nutzt die guten Kontakte, die die Stiftung hat. Im Jahr 2005 wurde daraufhin eine empirische Studie durchgeführt, 705 junge Musikerinnen und Musiker und Musikschülerinnen und Musikschüler nahmen teil. Auf einem standardisierten Fragebogen machten sie Angaben zu Punkten wie psychische Gesamtbelastung, Gesundheitszustand, Praktiken des Übens und Gesundheitsbeschwerden. Das Ergebnis der Studie war ernüchternd. So gaben beispielsweise 24 Prozent der Teilnehmer an, Beschwerden nach dem Spiel zu haben, bei 30 Prozent traten diese während und nach dem Spiel auf. Maßnahmen wurden meist erst nach Eintritt gesundheitlicher Probleme ergriffen. Zudem gaben die jungen Musiker an, Informations- und Wissensdefizite bezüglich Entspannungs- und Stressbewältigungstechniken zu haben – signalisierten jedoch ein großes Interesse, die Methoden in den Musikunterricht und die Probe einzubauen. Diese Ergebnisse führten zu der Idee für das Projekt „gesunde musikschule®“. Die Erkenntnisse der Musikermedizin und Musikphysiologie sollten möglichst alltagstauglich und praxisnah in den Musikschulunterricht integriert werden. Die Nachwuchsmusiker erlernen an der Musikschule nicht nur ihr Instrument, sondern erwerben auch ein solides Grundwissen über Stressbewältigungstechniken, physiologische Haltung am Instrument und andere Bewegungserfahrungen in Ergänzung zum Instrumentalspiel. So kann Haltungsschäden und Überlastungen, aber auch mentalen Problemen, wie zum Beispiel Auftrittsängsten, vorgebeugt werden.
Von der Idee bis zur Durchführung des Modellprojekts vergingen vier Jahre, 2009 ließen schließlich die ersten acht Musikschulen Mentoren ausbilden. In mehreren vom Freiburger Instititut für Musikermedizin konzipierten Modulen wurden Inhalte wie Körperwahrnehmung und Somagogik, physiologische Grundlagen und psychologische Aspekte des Musizierens vermittelt. Da die Mentoren die Inhalte später an ihrer Musikschule umsetzen sollten, wurde ein weiterer Ausbildungsschwerpunkt auf die schülerorientierte Anwendung der Lerninhalte in der Unterrichtspraxis gelegt.
Nach Abschluss der Weiterbildung und der Implementierung der Inhalte an der Musikschule erhielten die ersten Musikschulen das Zertifikat „gesunde musikschule®“. Dazu gehörten unter anderem die Musikschule Tettnang oder die Musikschule Ebermannstadt, die seitdem ihr Zertifikat alle zwei Jahre erneuert haben. Mit der Musikschule Hamburg ließ sich in diesem Jahr Deutschlands größte Musikschule zertifizieren, mittlerweile haben Schüler in bundesweit 40 Städten die Möglichkeit, eine „gesunde musikschule®“ zu besuchen und eine gesundheitsbewusste Ausbildung am Instrument zu erhalten.
Und nicht nur die Musikschüler profitieren vom Status „gesunde musikschule®“, auch die Musikschulen selbst tun dies. Denn mit dem Zertifikat haben sie ein Alleinstellungsmerkmal, mit dem sie sich deutlich von anderen Musikschulen abheben. Dies bietet auch neue Chancen auf fruchtbare Kooperationen mit musisch-kulturellen, gesundheitlichen, sozialen und bildungspolitisch engagierten Vereinigungen. Sie nehmen damit eine aktive Vorreiterrolle in der aktuellen Bildungslandschaft ein und sind die ersten Einrichtungen, die den Trend erkannt haben, der in wenigen Jahren eine Selbstverständlichkeit sein wird – die Integration von Gesundheit in den Lebensalltag. Während andere später nur reagieren können, agieren sie bereits jetzt und haben die Möglichkeit, die Zukunft mitzugestalten.
Die Bedeutung einer gesundheitlichen Ausbildung von Kindesbeinen an ist auch den Krankenkassen bewusst. Allen voran nimmt die Techniker Krankenkasse (TK) als Partner der Stiftung Schloss Kapfenburg im Projekt eine Vorreiterrolle ein und unterstützt das Projekt „gesunde musikschule®“ auch finanziell.
Die nächste Mentorenausbildung beginnt 2019 auf Schloss Kapfenburg. Weitere Informationen zum Projekt „gesunde musikschule®“ auf www.fit-mit-musik.de. Die Studie zur Musikergesundheit kann bei der Stiftung Schloss Kapfenburg bestellt werden.