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Jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen

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Stellungnahme des LVdM NRW zu den Perspektiven von JeKits
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Die Landesregierung von NRW hat beschlossen, auf „JeKi“ ab dem Schuljahr 2015/2016 „JeKits“ folgen zu lassen. Die neuen Buchstaben stehen für eine inhaltliche Neuausrichtung: Tanzen und Singen sollen als eigenständige Wahlmöglichkeiten hinzukommen. Die Wahl haben aber nur die Grundschulen als Ganzes, nicht die einzelnen Schüler. Das modifizierte Programm überschreitet die Grenzen des Ruhrgebiets, soll aber auch im Endausbau nur an einem Drittel der Grundschulen verfügbar sein, weil der Etat gleich bleibt.

Den Menschen in NRW und den Kommunen, in denen sie leben, ist die musikalische Bildung, wie sie durch die öffentlichen Musikschulen durchgeführt wird, viel Wert. Das zeigt sich nicht nur im lebhaften Zuspruch, sondern auch in nüchternen Zahlen: Bei einem Gesamtetat aller Verbandsmusikschulen in NRW von 194,8 Millionen Euro im Jahr 2013 zahlten die Nutzerinnen und Nutzer der Musikschulen alleine 85,48 Millionen Euro als Entgelte oder Gebühren, die Kommunen und andere öffentliche Träger steuerten für ihre 159 Musikschulen, die zum Teil mehrgliedrig mit über 2.510 Standorten nahezu eine Flächendeckung erreichen, 86,45 Millionen Euro bei.

Der LVdM begrüßt deshalb ausdrücklich, dass die 10,74 Millionen Euro, die das Land bisher bei JeKi im Ruhrgebiet eingesetzt hat, gesichert wurden und nunmehr unter der modifizierten Programmatik JeKits landesweit verwendet werden sollen. Im Ruhrgebiet haben die öffentlichen Träger die oben beschriebene Infrastruktur ihrer Musikschulen gerne in den Dienst von JeKi gestellt, wir gehen davon aus, dass das auch in- und außerhalb des Ruhrgebiets bei JeKits der Fall sein wird. Damit werden Land und Kommunen in gemeinsamer Anstrengung weiterhin wichtigen bildungs- und kulturpolitischen Zielen näher kommen: mehr musikalische Bildung durch praktisches, aktives Musizieren für unsere Kinder, bessere Chancengleichheit für Kinder, die aus Elternhäusern stammen, in denen ihnen diese Perspektive nicht selbstverständlich eröffnet wird oder werden kann. In diesem Zusammenhang begrüßen wir auch ausdrücklich, dass die Bereiche Singen und Tanzen systematisch mit fokussiert werden.

Weiterhin halten wir es für richtig, die Verbindlichkeit der Kooperation zwischen Grundschulen und Musikschulen durch gemeinsame Prozesse bei der Antragstellung zu erhöhen. Der Erhalt des ersten Jahres im Tandem ist ein wichtiger Baustein für die Festigung der Zusammenarbeit und – bei entsprechender weiterer Qualifikation – ein guter Weg unterschiedliche Professionalitäten zum Wohl der Kinder zusammenwirken zu lassen.

Bei aller Turbulenz, die die Transformation JeKi/JeKits im Ruhrgebiet bedeutet, wird der Bestandsschutz eindeutig positiv bewertet. Die Rückmeldungen der Musikschulen in NRW zeigen aber auch, dass eine ganze Reihe von Dingen Sorgen bereiten und deshalb weiter beobachtet werden müssen.

Musikpädagogische Ergebnisse bei einer Verkürzung auf zwei Jahre

Der Schnittstelle zwischen einem vom Land geförderten JeKi-Unterricht und dem im Papier der JeKits-Stiftung „Grundlagen für JeKits“ als Bedingung geforderten nachhaltigen Unterrichtsangebot der kommunalen Musikschulen kommt eine sehr hohe Bedeutung zu. Nur wenn es gelingt, diese Vernetzung als Einheit zu gestalten, kann das Projekt aus musikpädagogischer Sicht wirklich erfolgreich sein. Dieser Erfolg ist allein mit einem zweijährigen JeKits-Angebot schwer zu erzielen.

Erhöhung der durchschnittlichen Gruppenstärke im zweiten Jahr

Hierzu gibt es folgende Einschätzungen: Da es sich um eine Durchschnittszahl handelt, müssen auch noch größere Gruppen gebildet werden, weil an anderen Stellen ohne kleinere Gruppen viele Kinder außen vor bleiben würden. Was kann man dann noch für Lernfortschritte im Instrumentalen erwarten? Ist das dann nur noch ein niederschwelliges Angebot für soziale Brennpunkte? Werden Eltern, die für ihre Kinder mehr wollen, das Programm von vornherein ablehnen? Entsteht dann direkt wieder eine Zweiklassengesellschaft? An kaum einer Grundschule mit durchschnittlicher Größe werden sich sechs Kinder finden, die sich auch für andere Instrumente als die „TOP 5“ interessieren. Wo bleiben dann Viola, Cello, Trompete, Horn, Akkordeon et cetera in unserer Musikkultur?

Wahl eines einzelnen Schwerpunkts

Bei den Grundschulen war nach anfänglicher Freude eine Enttäuschung darüber zu bemerken, dass das Programm so starr und zahlenfixiert angelegt ist, dass die eigentlich gewünschte und sinnvolle Kombination der drei künstlerischen Ausdrucksformen schlicht unmöglich gemacht wird.

Fehlende Flexibilisierung

Auch wenn die begleitenden Erklärungen anders lauten: JeKits ist in punkto Flexibilisierung kein Durchbruch, weil nach wie vor die formale und administrative Struktur führend ist. Dadurch kann das Programm nicht in ausreichendem Maß bei den örtlichen Gegebenheiten sowohl bei den Stärken wie bei den Bedarfen ansetzen. Das gilt gleichermaßen für den schulischen wie außerschulischen Blickwinkel. Wenn aber die Anschlussfähigkeit an die Voraussetzungen vor Ort nicht sichergestellt ist, besteht die Gefahr, dass das Programm, so wie teilweise JeKi, im Kontext der schulischen Bildung und der kommunalen Bildungslandschaft ein Fremdkörper bleibt.

Wünschenswert wäre es, wenn statt starrer Vorgaben ein flexibler Rahmen und klare Ziele vorgegeben würden, die dann durch die Nutzung der örtlichen Stärken und Ressourcen zu weitaus höherer Effektivität beitragen könnten. Dabei würde dann auch die mögliche eher soziale oder musikpädagogische Ausrichtung zu einer echten Stärke werden. Im Ruhrgebiet besteht – nach erheblichen Diskussionen – jetzt die Möglichkeit, im ersten oder zweiten Schuljahr zu beginnen, das ist gut so. Diese Wahlfreiheit, ausgerichtet am Wunsch der Kinder und Eltern, den schulischen Gegebenheiten und musikpädagogischen Aspekten, muss unbedingt auch außerhalb des Ruhrgebiets eingeräumt werden.

Wie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen und insbesondere in der Kultur sollte nicht Uniformität vorgeschrieben, sondern Pluralität und Heterogenität als Hebel zur Lösung von Problemen wertgeschätzt werden. Deshalb denken wir hier zumindest an eine erweiterte Vielfalt programmatischer Ansätze.

Jeder sollte die Möglichkeit haben, Kultur umfassend zu „erschnuppern“. In den meisten Sparten setzt eine echte Bereicherung des Lebens aber erst mit einer gewissen Nachhaltigkeit der Beschäftigung ein. Hier sehen wir die große Gefahr, dass JeKits zwar ohne soziale Schranken zum Schnuppern einlädt, aber nur die Kinder nachhaltig von einer musikalischen Betätigung profitieren können, deren Eltern in der Lage sind, die notwendigen Mittel dafür bereitzustellen. In Bezug auf soziale Gerechtigkeit bleibt JeKits gegenüber JeKi also ein echter Rückschritt, so lange die Kommunen nicht in der Lage sind, die erforderlichen Anschlussangebote zu gleichen sozialen Konditionen anzubieten. Für viele Kommunen, insbesondere im Ruhrgebiet mit flächendeckender JeKi-Struktur, wird das der Fall sein. Hier sind wir der Auffassung, dass unbedingt nachgebessert werden muss.

Für das Gelingen eines landesweiten Programms „JeKits“ scheint es uns unabdingbar, sowohl die fachliche Expertise als auch die Organisationsstrukturen des Landesverbandes der Musikschulen konstitutiv in die Abläufe und in die Gremien von JeKits einzubinden.

JeKits darf nicht auf die Dauer als ein durch fremde Strukturen außengesteuertes Anhängsel der Musikschulen gestaltet sein, sondern muss sich in die reguläre Musikschularbeit integrieren. Gerade bei einer Verkürzung auf zwei Jahre muss es eine vollständige Verzahnung mit dem Gesamtangebot der Musikschule geben. Das erfordert immer einen Blick auf den Gesamtzusammenhang, der durch eine außenstehende Organisation inhaltlich nicht gewährleistet werden kann. 

Es bleibt die Frage: Sind die Musikschulen des LVdM die Erfüllungsgehilfen des Programms, oder ist das Programm ein zu inkludierender Teil unseres Musikschullebens? Und: Welche strukturellen Folgen muss eine Antwort auf diese Frage haben?

Volker Gerland, Vorsitzender des Landesverbands der Musikschulen NRW

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