Seit 1981 findet an der Akademie der kulturellen Bildung in Remscheid die Weiterbildung BLIMBAM statt. Vor zwei Jahren sollte dann das Jubiläum groß gefeiert werden, aber Corona sorgte dafür, dass es erst jetzt Ende Januar stattfand. Eingeladen hatte der VDM zu einem abendlichen Jubiläumsfest, das diese Fortbildung in ganz besonderer Weise ehren sollte. Robert Wagner, Lehrgangsleiter, begrüßte und führte gewohnt gekonnt durch den Abend.
Und natürlich war die Musik der Hauptakteur des Festes. Die Fürther Band Vollgas connected spielte mit verschiedenen Gästen bekannte Titel aus Pop, Jazz und Globalmusic. Weitere musikalische Beiträge waren von Musiker*innen aus dem Projekt Studio 13 aus Dortmund und Bochum zu hören. Die Musikbeiträge waren so überragend, dass sich die Frage, ob es sich um inklusive Ensembles handelte, nicht stellte. Zwischen den Konzertteilen gab es einen authentischen Einblick in die Anfänge der Fortbildung, auch mittels Originalfotos, durch Irmgard Merkt. Und Susanne Keuchel, die Leiterin der Akademie, formulierte quasi den Ritterschlag für diese Fortbildung, die sie zu den wichtigsten in Deutschland zählte. Mehr Lob für die drei Hauptdozenten Robert Wagner, Claudia Schmidt, Otto Kondzialka und viele weitere war nicht möglich. Und über allem schwebt Werner Probst, der Initiator des Bochumer Modells und der Fortbildung BLIMBAM. Sein Geist beflügelt nach wie vor einen Großteil der deutschen Musiklandschaft, die sich für eine inklusive Entwicklung entschieden hat. Und so war es auch nicht verwunderlich, dass zum Ende des Jubiläumsfest das ganze Auditorium tanzend diesen Geist und seine großartigen Ergebnisse feierte.
Das Gespräch führte Rainer Buschmann
Blimbam – ein Erfahrungsbericht
Heinrich Link ist seit 2018 Schlagzeuglehrer an der Musikschule Fanny Hensel in Berlin Mitte und Fachgruppenleiter für Schlaginstrumente, Gesang, Chor und Inklusion. Ab Januar 2019 nahm er an Blimbam teil, dem berufsbegleitenden Lehrgang Instrumentalspiel für Menschen mit Behinderung an Musikschulen. Link ist auch – gemeinsam mit Katja Höllein von der Musikschule Pankow – Landesfachsprecher Berlin für Inklusion im VdM-Netzwerk Inklusion. Im nmz-Gespräch berichtet er über seine Erfahrungen mit der Fortbildung und die Umsetzung in der Praxis.
neue musikzeitung: Was hat Sie veranlasst, sich in diesem Bereich zu engagieren?
Heinrich Link: Ich habe als Zivildienstleistender und über den Zivildienst hinaus Menschen mit Behinderung betreut. Diese Arbeit in der Behindertenhilfe hat mir immer etwas bedeutet. An der Schule wurde dann jemand gesucht, der sich des Themas annimmt, Strukturen aufbaut, Angebote entwickelt, sich mit anderen Schulen vernetzt. Da hat sich für mich ein Kreis geschlossen.
nmz: Sie haben den Blimbam-Lehrgang absolviert. Was haben Sie gelernt, was erlebt?
Link: Der Lehrgang gliedert sich in fünf Kompaktphasen, von denen vier jeweils über fünf Tage gehen, die letzte über zwei Tage. Die erste Phase ist eine Orientierungsphase. Man kann nur diese eine Phase belegen, hat dann schon neue Ideen für den Unterricht und Werte und Haltungen in Bezug auf inklusive Themen mitgenommen und kann damit arbeiten. Dann kann man mit den weiteren Bausteinen weitermachen und nach der fünften Phase den zweijährigen Lehrgang abschließen. Zwischen den Phasen hospitiert man in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung. Über diese Hospitationen schreibt man einen umfangreichen Bericht. Diese Berichte werden dann in den Präsenzzeiten besprochen und in der Gruppe reflektiert. Die Bausteine nach der Orientierungsphase bauen aufeinander auf – bis zur Abschlussprüfung, die zum Zertifikat führt.
nmz: Wie viele Teilnehmer hat eine solche Gruppe?
Link: In der Orientierungsphase waren wir etwa 20 Personen. 12 haben anschließend den ganzen Lehrgang absolviert. Man kann aber auch pausieren und in einem anderen Jahr weitermachen, allerdings kann man keine Phasen überspringen.
nmz: Hat Ihre Musikschule Ihre Teilnahme unterstützt?
Link: Blimbam ist die einzige Ausbildung für unseren Berufsstand in diesem Bereich, die einzige mit einem so langfristigen und umfangreichen Konzept. Deshalb wurde ich dort sofort hingeschickt und mit mir ein weiterer Kollege. Das ist sinnvoll, denn Inklusion bedeutet immer, etwas gemeinsam zu tun. Insgesamt sind wir an unserer Schule jetzt vier Personen, die mindes-tens Teile der Ausbildung bereits absolviert haben.
nmz: Geht es im Lehrgang sowohl um körperlich als auch um geistig behinderte Menschen?
Link: Im Titel der Fortbildung werden zwar Menschen mit Behinderung explizit genannt. Aber es geht um viel mehr: Es geht um alle Menschen, die da sind, weil sie geboren sind. Im Wirkungskreis unserer Musikschule schauen wir also: Wen haben wir hier? Wer interessiert sich für Musik? Welche Angebote können wir machen? Ideal wäre es, wenn eine Musikschule das Abbild der Bevölkerung in ihrem Wirkungskreis ist.
nmz: Wen haben Sie da konkret im Blick?
Link: Es sind oft bestimmte Gruppen, die strukturell benachteiligt sind, die vielleicht auch nicht auf die Idee kommen, eine Musikschule zu besuchen, zum Beispiel Menschen mit Behinderung, die oft in Wohngruppen betreut werden oder in Einrichtungen für sich wohnen. Das gleiche gilt auch für Senioren und Seniorinnen, die in Senioreneinrichtungen leben und dort gar nicht rauskommen. Inklusive Musikschularbeit richtet sich nicht nur an Menschen mit Behinderung, es geht zum Beispiel auch um Menschen, die Sprachbarrieren haben, um Kinder, die in ihren Schulen keine musikalischen Angebote bekommen oder in ihrer Lebens-umgebung keinen Zugang dazu haben. Es geht immer um den Abbau von Barrieren.
nmz: Und es geht vermutlich auch um Menschen mit Migrationshintergrund?
Link: Ja, es geht darum, kulturelle Vielfalt an der Musikschule anzubieten, eine Diversität im Kollegium zu schaffen, zum Beispiel einen Oud-Lehrer zu finden, der aus dem Kulturkreis kommt. Wir wollen auch in der Kollegenschaft den Blick dafür schärfen, dass vieles, was wir tun, inklusiv ist. In dem Moment, in dem ich es im Unterricht schaffe, auf jedes Individuum einzugehen, ist das ein inklusiver Arbeitsansatz. Die Ausbildung schafft es, das alles zu verdeutlichen. Wir sind in der gesamten Ausbildung ein Modell für eine inklusive Gruppe. Wir werden alle dort abgeholt, wo wir stehen, mitgenommen und zu einer Gruppe gemacht, die zusammen funktioniert. Da kommt die Max-Einfach-Methode von Robert Wagner ins Spiel, die immer davon ausgeht, dass jeder Mensch etwas kann. Werner Probst, der den Lehrgang ins Leben gerufen hat, hat gesagt, dass jeder Mensch von sich aus musikalisch sei. Wir müssen als Pädagogen in die Lage versetzt werden herauszufinden, was das Können jedes Einzelnen ist.
nmz: Wie haben Sie persönlich diese Ausbildung erlebt? Wie hat sie Sie vielleicht auch verändert?
Link: Man braucht diese zwei Jahre, um eine Veränderung zuzulassen, um zu lernen und zu verstehen, Methoden sacken zu lassen, anzuwednen, auszuprobieren. Man beginnt, das Ganze im Unterricht anzuwenden – gar nicht unbedingt mit Menschen mit Behinderung – und merkt, dass die Methode funktioniert.
nmz: Wie wirkt sich das auf Ihre praktische Arbeit an der Musikschule aus, auf Ihre Funktion als Fachgruppenleiter und Landesfachsprecher?
Link: Wir machen zusammen mit der Musikschule Pankow ein Modellprojekt, das von der Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport in Zusammenhang mit den Special Olympic World Games gefördert wird. Wir gehen dabei unterschiedliche Wege, um uns danach über unsere Erfahrungen auszutauschen. In diesem Zusammenhang haben wir hier in Mitte mit Lehrkräften aus meiner Schule Schnupperveranstaltungen für Menschen mit Behinderung angeboten und das mit einem flankierenden Workshop vorbereitet, in dem wir unter anderem die Max-Einfach-Methode vorgestellt haben. Wir haben mittlerweile auch ein Ensemble Inklusiv, in dem Menschen mit und ohne Behinderung zusammen Musik machen und einen Auftritt im Rahmen der Special Olympics haben. Wir arbeiten dabei stets im Team, um Situationen besser einzuschätzen und voneinander zu lernen.
nmz: Sie tragen also diese Idee, inklusiv zu arbeiten, auch in Ihr Kollegium hinein?
Link: Berlin hat eine spezielle Situation. Zwischen 75 und 80 Prozent des Unterrichts wird hier von freien Mitarbeitenden geleistet. Da gibt es noch viel Grundlegendes zu verbessern, um gute Gelingensbedingungen zu schaffen. Aber in jeder neuen Ausschreibung für Festanstellungen wird an unserer Schule jetzt Unterrichtstätigkeit in Schulkooperationen und im Bereich Inklusion festgeschrieben. Jeder Mensch, der sich bei uns bewirbt, weiß, dass eine solche Mitarbeit auf ihn zukommt. Mein Ziel und Wunsch ist es, viele Mitarbeitende zumindest zur ersten Phase Blimbam zu schicken, denn dann wissen wir alle, worum es geht.
nmz: Entsteht im Rahmen dieser Ausbildung auch ein deutschlandweites Netzwerk?
Link: Man ist auf jeden Fall Teil eines großen Netzwerkes über die Lehrgangsdozent*innen und die Lehrgangsleitung, also das Team mit Robert Wagner, Claudia Schmidt und Otto Gondzialka. Die Türen sind immer offen, man kann sich dort immer Rat holen und in den Austausch gehen.
Bemerkenswert im Lehrgang ist, dass man immer zusammenarbeitet. Es gibt kaum eine Aufgabe, die man alleine löst. Das entspricht dem Gedanken, dass man, wenn man inklusiv arbeitet, dies am besten gemeinsam tut. Man lernt, wie eine Gruppe zusammenwächst und -arbeitet. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir zusammen richtig viel können. Alle haben einen Platz, eine Aufgabe, und es entsteht etwas daraus. Deshalb ist dieser Lehrgang auch so empfehlenswert. Wenn man als Musikschulteam dorthin geht, kommt man als genau diese Gruppe an seine Musikschule zurück und kann nach dem Grundsatz arbeiten, dass jeder das beiträgt, was er kann. Wenn man das in einer Gruppe zufällig zusammengewürfelter Menschen erlebt, dann müsste das auch gut an der eigenen Musikschule funktionieren. Das macht Mut für inklusive Strukturen.