Die Alte Oper Frankfurt startete am 14. September in die neue Saison. Unter dem Motto „Auftakt 2007” präsentiert sie „Musik unserer Zeit“, „Künstler im Profil“, „Berühmte Orchester und Dirigenten“ und, unter der Überschrift „Jugendliche Musizierfreude“, drei außergewöhnliche Orchester aus Venezuela und Deutschland.
Hierzu gehört auch Deutschlands jüngstes Auswahlorchester, die Deutsche Streicherphilharmonie, die eingeladen wurde, den Anfang zu gestalten. Seit das Deutsche Musikschulorchester diesen neuen Namen trägt, kann es sich vor Einladungen kaum noch retten, sicherlich ein Zeichen des Zeitgeistes, der nach schicker Verpackung verlangt. Denn qualitätsmäßig hat sich nicht gar so viel verändert, einfach, weil es kaum noch besser geht.
Es bleibt ein Verdienst des Verbandes deutscher Musikschulen (VdM), dass er nach der Wende das nationale Jugendorchester der DDR unverändert in seine Trägerschaft übernommen hat. So wird das Orchester nach wie vor aus den sechzig besten Streichern im Alter von 11 bis 19 Jahren an – inzwischen natürlich auch westdeutschen – Musikschulen gebildet und vom Bundesjugendministerium seit 1991 gefördert. Als Dozenten für die einzelnen Stimmgruppen sind von Beginn an Mitglieder des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin (RSB) tätig. Gerade ihnen ist dieser besondere Streicherklang des Ensembles zu verdanken.
Michael Sanderling als Chefdirigent vermittelt den jungen Spielerinnen und Spielern eine spannungsgeladene Musizierfreude, die professionelle Orchester, gehindert durch ihre Routine, nicht mehr aufzubringen imstande sind. Beste Voraussetzungen also, um Bizets Carmen-Suite in einer Bearbeitung von Rodion Schtschedrin zum Erlebnis werden zu lassen. Und es wurde ein Erlebnis! Wenn es in seiner Intensität nicht ganz an die inzwischen legendäre Aufführung im Januar in der Kölner Philharmonie heranreichte, dann war das der Architektur geschuldet, die die Zuhörer stärker vom Orchester trennte, als es in der Kölner Philharmonie der Fall ist.
„ Aqua“ des estnischen Komponisten Erkki-Sven Tüür wurde gespielt von 32 Ehemaligen der Deutschen Streicherphilharmonie, die heute in namhaften Orchestern von Berlin über Wien bis New York spielen. Durch ihren Auftritt machten sie ihre Verbundenheit mit dem heutigen Orchester deutlich und verwiesen eindrucksvoll auf die Kontinuität, für die dieses Ensemble steht.
Bei Tschaikowskys Violinkonzert D-Dur Op. 35 vereinigten sich die Ehemaligen mit den aktiven Orchestermitgliedern und der Violinistin Julia Fischer, Deutschlands jüngster Professorin. Ihr temperamentvolles Spiel begleitete das Orchester mit der ihm eigenen Begeisterung, so dass ein berührender musikalischer Dialog entstand, den das Publikum mit so viel Beifall aufnahm, dass Julia Fischer gleich zwei Zugaben abgefordert wurden, Paganinis Capriccio Nr. 2 und der dritte Satz aus der Sonate Nr. 3 von Johann Sebastian Bach.
Bleibt noch anzumerken, dass bei Tschaikowskys Violinkonzert Bläser der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst die Deutsche Streicherphilharmonie verstärkten und junge Musiker aus der Region Hannover als Schlagzeug-Solisten das Orchester adäquat begleiteten.
Damit ist der Chronistenpflicht Genüge getan; der Bericht wäre aber sehr unvollständig, würde er nicht wenigstens ein Streiflicht auf den kulturpolitischen Hintergrund werfen. Die Deutsche Streicherphilharmonie ist nicht nur eine Sensation als Deutschlands jüngstes Auswahlorchester, sie ist nicht nur ein Aushängeschild für die Kompetenz der im VdM zusammengeschlossenen Musikschulen, sie ist auch eine bildungs- und kulturpolitische Mahnung. Gerade erst hat die jüngste OECD-Studie einmal mehr belegt, dass es in Deutschland mit der Bildung nicht zum Besten steht, dass die Förderung zu sehr Kindern aus begüterten Familien vorbehalten bleibt. Unwillkürlich kommen da die Musikschulgebühren in den Sinn, gerade auch die Kosten für die musikalische Früherziehung, die mit ihrer Vermittlung der für das Lernen so unabdingbar notwendigen Schlüsselqualifikationen (Wahrnehmungsfähigkeit, Fantasie, Konzentration, Durchhaltevermögen et cetera) so wichtig für die menschliche Entwicklung ist. Wäre es denn so aberwitzig, wenn nicht nur die Betreuung (Krippenplätze) sondern auch die musikalische Früherziehung kostenfrei wäre? Immerhin hat die Bundesrepu-blik Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention unterschrieben, mit der jedem Kind ein Recht auf Bildung zuerkannt wird.
Wie segensreich sich eine Förderung von Anfang an auswirken kann, dafür stehen die Mitglieder der Deutschen Streicherphilharmonie. Damit dies auch im öffentlichen Bewusstsein wirkt, müsste das Orchester vielleicht öfter einmal im Deutschen Bundestag spielen, nicht nur zur Eröffnung des Plenarsaals.