Wie Wolfgang Rihm kürzlich darlegte, ist die Beziehung der jungen Leute zum musikalischen Kunstwerk nie selbstverständlich gewesen (Musiktheorie 17/2002, Heft 2). Er findet es zudem problematisch, den Erfolg von Hochkultur an den weitaus höheren Besucherzahlen der Unterhaltungskultur zu messen. Kurz gesagt, hält Rihm den Wind, der um das Verschwinden des Konzertpublikums gemacht wird, für übertrieben.
Wie Wolfgang Rihm kürzlich darlegte, ist die Beziehung der jungen Leute zum musikalischen Kunstwerk nie selbstverständlich gewesen (Musiktheorie 17/2002, Heft 2). Er findet es zudem problematisch, den Erfolg von Hochkultur an den weitaus höheren Besucherzahlen der Unterhaltungskultur zu messen. Kurz gesagt, hält Rihm den Wind, der um das Verschwinden des Konzertpublikums gemacht wird, für übertrieben. Will man wissenschaftlich fundiert nachweisen, dass es bald kein tragfähiges Publikum für die sogenannte klassische Musik mehr geben wird, kommt man in Erklärungsnot. Empirische Studien zur Publikumsforschung haben meist nur begrenzte Aussagekraft, sie arbeiten mit ausgewählten Publika und spezifischen Erhebungsmethoden, und eine repräsentative Studie über Einstellungen zum klassischen Konzert in der Bundesrepublik gibt es nicht. Trotzdem ist die Forschung an einzelnen Kulturstandorten notwendig und sinnvoll, etwa zu den Fragen: Wie ist der Status quo wirklich? Was sind Interessen, Wünsche, Erwartungen, Abneigungen des Publikums? Was ist zu tun, wo ist zu beginnen?Zu solchen Fragen haben in Frankfurt/Main das Institut für Musikpädagogik der Universität (Prof. Dr. H. G. Bastian) und der Hessische Rundfunk die Studie „Konzertpublikum – quo vadis?“ (korrespondierender Autor: Dr. Gunter Kreutz) durchgeführt. Es wurden Konzertpublika des RSO in Klassik-Abo-Konzerten und der Reihe Forum Neue Musik befragt.
Früheren Untersuchungen zufolge steigt das Interesse an klassischer Musik mit dem Lebensalter, besonders ab 50 Jahren, überproportional stark an. Dass die musikalische Sozialisation in Kindheit und Jugend von entscheidender Bedeutung ist, wird gleichwohl kaum in Frage gestellt. Auch die Frankfurter Ergebnisse, die sich aus den Fragen nach musikalischen und nichtmusikalischen Motivationen, nach musikalischer Bildung und nach Primärerfahrungen mit klassischer Musik ergeben, bestätigen dies eindeutig.
Die Frage ist interessant: An welchen Orten werden Heranwachsende mit europäischer Musikkultur vertraut gemacht, und welches Gewicht haben diese in der musikalischen Sozialisation? Ergänzungen des Frankfurter Publikums zu dem Satz „Ich habe die Musik für mich entdeckt durch...“ lieferten im Rahmen vorgegebener Antwortmöglichkeiten folgende Ergebnisse (von häufiger zu geringer Nennung): Musik im Radio – öffentliche Konzerte – eigenes Musizieren – Schule – musizierende Familienmitglieder – Musik im TV – musikalische Früherziehung – Kindergarten.
Im Folgenden soll der jeweilige Rang von öffentlichem Konzert, eigenem Musizieren und Schule kurz kommentiert werden.
Nahezu alle Befragten (94 Prozent) hatten vor dem 20. Lebensjahr ihr erstes Konzerterlebnis. Dass die überwiegende Zahl der im Abonnementkonzert Befragten bereits bei ihrem ersten Konzerterlebnis klassische Musik hörte, legt den Schluss nahe, dass diese aus eher klassisch-orientierten Elternhäusern kommen und dass eine Anbindung an dieses Musikgenre nach dem 20. Lebensjahr womöglich schwieriger wird. Dies zeigt die Wichtigkeit, frühzeitig Kontakte zur klassischen Musik herzustellen.
Das eigene Musizieren – hier als Ergebnis der Arbeit von Musikschulen aufgefasst – rangiert klar vor dem schulischen Musikunterricht, der im Übrigen retrospektiv nur mit „befriedigend“ bewertet wird. Ein imponierender Anteil von etwa 75 Prozent aller Befragten gab an, ein Musikinstrument erlernt zu haben, und 35Prozent musizieren noch immer aktiv. Das Ergebnis unterstreicht die enorme Wichtigkeit der Arbeit von Musikschulen für das Publikum der Zukunft.
Der Ansatz vieler Ensembles, dem Ausbleiben von Publikum mit Veranstaltungen für Heranwachsende zu begegnen, erweist sich gerade vor dem Hintergrund der Frankfurter Ergebnisse als sinnvoll. Dabei geht es weniger darum, möglichst bunte und bewegende Veranstaltungen mit Musik durchzuführen, als darum, tatsächlich zur Musik hinzuführen. In diesem Sinne gilt es möglichst viele an der Förderung von Musikkultur Beteiligte vor Ort einzubeziehen: Schulen und Musikpädagogen (vielleicht Konzertpädagogen), Jugendämter, Eltern und andere. Besonders wichtig scheint es aber zu sein, die Musikschulen und somit auch die jungen Musizierenden als die vielleicht besten Vermittler von Musik mit im Boot zu haben, um gleichaltrige (Noch-)Nichtmusiker von der Schönheit auch klassischer Musik zu überzeugen.
Die Frankfurter Studie mahnt eine optimale Abstimmung aller Sozialisationsfaktoren an. Es geht darum, Kräfte zu verbinden, Synergie-Effekte zu nutzen und keinen der Grundpfeiler von Musikkultur zu vernachlässigen, insbesondere nicht die Arbeit der Musikschulen.
Eine ausführliche Darstellung der Ergebnisse der Frankfurter Studie „Konzertpublikum – Quo vadis?“ ist beim DMR zur Veröffentlichung im MUSIKFORUM geplant.