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Parameter für die Musikschule der Zukunft

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Ein Interview mit dem Ehrenvorsitzenden des VdM, Reinhart von Gutzeit
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„Musikschule – Bildung mit Zukunft“ ist der Musikschulkongress 2011 in Koblenz (20. bis 22. Mai) übertitelt. Eröffnungsredner ist Reinhart von Gutzeit, Rektor der Universität Mozarteum Salzburg. Die nmz sprach mit ihm über Musikschulen heute und morgen und über die Zukunft der musikalischen Bildung.

neue musikzeitung: In Ihrem Vortrag anlässlich des Bayerischen Musikschultages sagen Sie, dass sich die Ziele des Musikschulunterrichts nicht innerhalb von wenigen Jahren ändern: „Das Thema ist nicht: ‚Guter Musikschulunterricht heute‘, sondern ‚Guter Musikschulunterricht‘.“ Betrifft das auch die Musikschule von morgen? Was wird sich verändern? Was bleibt? Welches sind die Parameter der Musikschule der Zukunft?

Reinhart von Gutzeit: Die wesentlichen Merkmale eines guten Musikschulunterrichts können kontinuierlich beschrieben werden und ändern sich nicht von heute auf morgen. Die Rahmenbedingungen allerdings verändern sich. Kinder sind in einer bestimmten Weise geprägt. Ein Beispiel ist die „Häppchenkultur“, die von den alles dominierenden Medien massiv unterstützt wird. Wir beobachten an den Kindern (und an uns selbst!) zunehmende Unfähigkeit, größere Spannungsbögen auszuhalten. Nach drei Minuten Hören entsteht das Bedürfnis nach etwas Neuem oder nach Entspannung. Auf diese Weise kann man aber keine Kunstwerke erleben. Hier muss die Musikschule gegensteuern.

nmz: „Musikschule – Bildung mit Zukunft“ ist der Titel des VdM-Kongresses 2011. Wenn in der Politik von Bildung die Rede ist, entsteht oft genug das Gefühl, dass der Begriff gar nicht klar definiert ist oder zumindest stark differiert. Welches ist Ihr Bildungsbegriff?

von Gutzeit: Unterweisung in handwerklichen oder technischen Fähigkeiten, auch in den „Kulturtechniken“ wie Lesen und Schreiben ist jedenfalls noch keine Bildung. Aber es ist eine wichtige Voraussetzung, wenn es um Bildung geht. Die Schule hat sich durch die ständige Forderung, „fit for the job“ zu machen, in eine sehr bescheidene Rolle drängen lassen. Was diagnostiziert der Pisa-Test? Bildung spielt dabei doch eine marginale Rolle.

Ein wesentlicher Aspekt der Bildung ist für mich, dass Menschen ein Koordinatensystem erwerben, welches ihnen die Einordnung von Informationen ermöglicht: Kann das, was mir vermittelt wird, überhaupt stimmen? Passt es mit anderem zusammen, das ich schon weiß? Was verrät mir die Sprache über die Absicht des Autors – werde ich informiert oder umworben? Was ist für mich wesentlich, was überflüssig, was schädlich?

Wenn wir dieses Koordinatensystem nicht bräuchten, könnten wir ja wirklich sagen: Wozu noch Unterricht? Es ist doch alles, auch jedes Wissen, überall verfügbar. Aber gerade im Zeitalter des Informationsüberflusses brauchen wir ein Orientierungssystem, um nicht zu ersaufen. So verstehe ich Bildung als ein Koordinatensystem, das aus vertieftem Wissen, aber auch aus Wertvorstellungen zusammengefügt ist. Solche Systeme muss Schule vermitteln, auch die Musikschule, die ja auch eine Form von Schule ist, wenn auch in unseren Augen eine viel sympathischere. Musikschullehrer müssen sich bewusst sein, dass dieses „Schule sein“ bestimmte Forderungen stellt.

nmz: Wie könnte man das beschriebene Koordinatensystem konkret auf die musikalische Bildung übertragen?

von Gutzeit: Grundgedanke ist, dass man die Sprache der Musik erlernt. Ich glaube nicht an den oft zitierten Satz: „Musik kennt keine Grenzen“. Musik ist eine Sprache wie andere Sprachen auch – nicht eine so präzise Sprache, aber deswegen wiederum dazu geeignet, besondere Wahrnehmungen und Ausdrucksmöglichkeiten anzubieten. Zu einer Sprache gehört, dass ich sie gut sprechen kann, dass ich die Grammatik beherrsche, dass ich – um es musikalisch zu sagen – die Intonation treffe. Das nächste Stadium ist, dass ich auch zwischen den Zeilen lesen kann. Dazu muss ich schon sehr viel in dieser Sprache gehört und gesprochen habe. Erst dann kann ich zwischen den Zeilen lesen, und erst dann kann ich Kunstwerke verstehen, kann feinere Botschaften erkennen: Ironie zum Beispiel oder Humor.

Der Erwerb der musikalischen Sprache und eine weiterführende musikalische Ausbildung gehen Hand in Hand. Diese kann und muss lustbetont, aber auch seriös und gründlich sein. Daraus erwächst mit dem Verstehen verschiedener Arten von Musik wiederum ein Wertesystem – ein musikalisches Wertesystem. Darin sehe ich letztlich die Aufgabe der Musikschulen. Es geht eben nicht nur um den Spaß, den Kinder haben, wenn sie in die Musikschule gehen.

nmz: Wenn man sich neue Modelle in den Musikschulen anschaut wie „JeKi“ in diversen Ausführungen: Sind das Instrumente, um musikalische Bildung, wie Sie sie beschreiben, zu entwickeln?

von Gutzeit: Im Grundsatz: ja. Viele Ansätze können dahin führen. Ich halte es für nahezu unverzichtbar, dass Singen im Mittelpunkt steht – aber auch andere Wege der „Musikalisierung“ sind hochwirksam – etwa die regional geprägte Blasmusik, die bei uns in Österreich eine wesentliche Rolle spielt.

Es muss allerdings eine zielgerichtete Methodik zu Grunde liegen. Ohne die Modelle wirklich zu kennen, bin ich nach allem, was ich darüber höre, eher skeptisch. Viele dieser Ansätze scheinen mir vordergründig strukturell begründet zu sein. Aber die großen Konzepte, die wir historisch vor Augen haben – ob Kodaly, Orff, Suzuki oder andere – sind immer von Pädagogen ausgegangen, die zunächst eine klingende Vorstellung im Kopf hatten und dann ein umfassendes Konzept liebevoll und sorgfältig ausgearbeitet haben. Darum herum wurden dann Strukturen errichtet, um eine Verwendung in der (Musik-) Schule zu ermöglichen.

Das Pferd von der anderen Seite her aufzuzäumen erscheint mir unmöglich. Ideen wie die von Kodaly, Orff oder Suzuki haben viele Musikschullehrer/-innen fasziniert und ziehen sie bis heute als Kometenschweif hinter sich her. Ein rechter „Jekianer“ ist mir noch nicht begegnet. Noch einmal: Ich bin kein Insider und kann mich täuschen. Aber es fällt auf, dass Kollegen, die über Jeki und seine Ableger diskutieren, ständig über Strukturen und Rahmenbedingungen sprechen und kaum über Inhaltliches.

nmz: Wäre es vielleicht eine Aufgabe für die Musikschule der Zukunft, ein neues, zeitgemäßes, langfristig gedachtes pädagogisches Modell zu entwickeln?

von Gutzeit: Institutionen können schwer etwas entwickeln. Sie müssen nach kreativen Köpfen und interessanten Modellen in ihren Reihen Ausschau halten und beides unterstützen und womöglich verbreiten. So hat es der VdM übrigens immer gehalten. Allerdings fehlen nach meinem Eindruck gegenwärtig charismatische Persönlichkeiten der elementaren Musikerziehung wie etwa der legendäre Karl Lorenz. Unsere Zeit ist wohl auch kein günstiges Biotop für deren Entfaltung...  Kurz gefasst: Ja, es ist eine Aufgabe der Musikschulen, aber man braucht dafür nicht nur eine Gruppe, die etwas entwickeln will, sondern Künstler-Pädagogen, die es vermögen. Solange man die nicht hat, wäre die Empfehlung, sich eher an den historischen Modellen zu orientieren.  ¢

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