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Perspektiven und Gelingensbedingungen

Untertitel
Studie über ein Projekt mit Geflüchteten aus der Ukraine in Schleswig-Holstein
Vorspann / Teaser

Von März bis Dezember 2022 stellte das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Schleswig-Holstein öffentlichen Musikschulen im Land insgesamt rund 33.000 Euro zur Umsetzung von musikalischen Bildungsangeboten für Geflüchtete aus der Ukraine zur Verfügung. Pro Musikschule konnten in der Regel 1.500 Euro ausgeschüttet werden.

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Diese Projekte sollten folgende Ziele haben:

  1. Musikschuleinzelunterricht für Geflüchtete aus der Ukraine
  2. Instrumentenleihe für Geflüchtete aus der Ukraine
  3. sonstige Maßnahmen (etwa Beschäftigung von Lehrkräften aus der Ukraine, Gruppenunterricht mit Geflüchteten, Raummiete).

Der Landeverband der Musikschulen in Schleswig-Holstein wurde mit der Begleitung und Evaluation dieser Projektdurchführungen beauftragt, wobei sich die Begleitstudie an folgenden Leitfragen orientieren sollte:

  1. Welche Inhalte, Formate und Unterrichtsformen sind von Interesse?
  2. Wer ist die vornehmliche Zielgruppe, und wie wird diese erreicht?
  3. Welche Vorerfahrungen haben ukrainische Geflüchtete, und was sind ihre Erwartungen?
  4. Welche Aufgaben erwartet die Musikschulen hinsichtlich Kommunikation, Verwaltung, Musikpädagogik etc.?

Die Studie setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Im ersten Teil der Studie „Best Practice Beispiele für außerschulische Bildungsangebote ukrainischer Geflüchteter an öffentlichen Musikschulen in Schleswig-Holstein“ werden insbesondere die bildungsbio-grafischen Hintergründe Geflüchteter beleuchtet, deren persönliche Situation und Zukunftsperspektiven sowie deren deutsch-ukrainisch geprägter Alltag in den Fokus genommen. Biografisch angelegte Leitfadeninterviews wurden dazu vor Ort in den Flüchtlingsunterkünften geführt. Der zweite Teil der Begleitstudie analysierte und evaluierte die Gelingensbedingungen von den in 2022 durchgeführten musikpädagogischen Bildungsangeboten für Geflüchtete aus der Ukraine an öffentlichen Musikschulen. An der hierzu geführten Umfrage nahmen 20 der 22 Musikschulen teil. An 15 Musikschulen wurden Bildungsangebote im Rahmen der Projektförderung durchgeführt.

Erster Teil der Studie.

Befragung Geflüchteter

Hier wurden Geflüchtete zu unterschiedlichen Themenbereichen befragt: dem bildungsbiografischen Hintergrund und der persönlichen Situation und Zukunftsperspektive (Deutschland als Aufenthalts- oder Bleibeort?). Gefragt wurde nach dem Alltag in der jeweiligen Aufnahmestation, insbesondere nach Räumlichkeiten für das Musizieren, nach den Möglichkeiten für Freizeitangebote und nach Bildungsangeboten. Es wurde ferner gefragt, welche Rolle Musik im Alltag in der Ukraine spielte sowie nach gewünschten Rahmenbedingungen für musikalische Angebote.

In der Ukraine, das ergaben die Antworten, haben Kinder einmal pro Woche Musikunterricht in der regulären Schule. Dieser richtet sich insbesondere auf die Vorbereitung von Festtagen, es werden ukrainische Nationallieder gesungen, aber auch Grundlagen der Musiktheorie gelehrt. Kinder, die an einer Musikschule unterrichtet werden, sind hier einem recht strikten Reglement mit 2 mal wöchentlichen Instrumentalunterricht, Ensemblespiel und Musiktheorie unterworfen. Viele von diesen Kindern bereiten sich auf eine Karriere als Berufsmusiker*in vor. Darauf richten sich auch viele Wünsche der Befragten hinsichtlich eines Angebots in Deutschland. Interessant ist, dass die befragten Erwachsenen großes Interesse für das musikalische Angebot in Bezug auf ihre Kinder, weniger in Bezug auf sich selbst zeigten. Es wurde auch deutlich, dass die meisten Befragten vorhaben, langfristig in Deutschland zu bleiben, andere sind hier noch unsicher.

Zweiter Teil der Studie: Gelingensbedingungen

Der zweite Teil der Studie stellt dar, welche Angebote an den öffentlichen Musikschulen im Jahr 2022 tatsächlich stattgefunden haben und welche Resonanz sie erfuhren. Weiterhin wurden Erfolgsfaktoren und Erfolgshemmnisse analysiert. Insbesondere geht es darum, ob eine Passung von Bedarfen und Angeboten hergestellt werden konnte, geeignete Kommunikationswege genutzt und die Kernkompetenzen der Musikschulen eingesetzt wurden. In der Befragung der Musikschulen wurde sowohl eine quantitative als auch eine qualitative Erfassung der in Anspruch genommenen Maßnahmen für Geflüchtete aus der Ukraine vorgenommen.

Insgesamt wurden mit den Projekten im Jahr 2022 153 Schüler*innen erreicht, dabei vor allem Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 14 Jahren. Am meisten wurde mit weitem Abstand instrumentaler und vokaler Einzelunterricht in Anspruch genommen (hier wiederum mit großem Abstand Klavierunterricht), es folgen Gruppenangebote speziell für Geflüchtete im Bereich Elementare Musikpädagogik. Seltener wurden elementare Unterrichtsfächer, noch seltener Musiklehre oder Ensembleunterricht wahrgenommen.

Gesprochen wurde im Rahmen der Angebote meistens ein Sprachenmix aus Deutsch, Ukrainisch, Russisch oder auch Englisch. Die Sprachbarrieren konnten sich aber durchaus als hinderlich für das Gelingen des Unterrichts erweisen. Wichtig war die Unterstützung der Geflüchteten durch Bereitstellung von Überäumen und Instrumenten. Finanziert wurden die Angebote der Musikschulen durch die Landesmittel aus den Ukraine-Hilfen und durch weitere Fördermittel, Stiftungen oder private Spenden.

Die qualifizierte Befragung ergab unter anderem das Problem, dass viele Kinder und Jugendliche parallel zum Unterricht an einer deutschen Musikschule auch weiterhin im Online-Kontakt durch ihre Lehrkräfte in der Ukraine unterrichtet wurden. Hier wünschen sich deutsche Lehrkräfte vor allem eine größere Transparenz und einen pädagogischen Austausch mit den „Erst-Unterrichtenden“.

Als Gelingensbedingungen weist die Studie folgende Punkte aus:

  • Freiwilligkeit: Das Angebot sollte am Bedarf ausgerichtet werden. Der Unterricht hat eine größere Wahrscheinlichkeit erfolgreich zu verlaufen, wenn die Teilnehmenden ihn aus inhaltlichem Interesse heraus wahrnehmen und nicht, weil sie zufällig Teil einer Organisationseinheit (z.B. DAZ-Klasse) sind. Eine solche Gruppe sollte in den Entscheidungsprozess einbezogen sein und sich mehrheitlich dafür entscheiden.
  • Einbeziehung weiterer Akteure der Flüchtlingshilfe: Flüchtlinge haben auf ihrem Weg mit vielen fremdem Menschen und Situationen zu tun. Wenn es eine Möglichkeit gibt, einen vertrauten Kommunikationskontext und Verbindungspersonen zu nutzen, baut man Hürden ab. Die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren der Flüchtlingshilfe entlastet die Musikschulen und begünstigt die Kommunikation.
  • Organisation aus dem Inneren der Zielgruppe heraus: Die stärkste Kommunikation haben Geflüchtete untereinander. Kann man in dieser Gruppe jemanden für sich gewinnen, der Ideen transportiert und bereit ist, in der Organisation mitzuwirken, erreicht man besonders viele Menschen. Vermutlich erzielt man auch eine höhere Verbindlichkeit bei der Kommunikation innerhalb einer Gemeinschaft.

Weitere Punkte, die – unter anderen – zu beachten sind:

  • Die Rolle von Musikschulen und Musikunterricht im Herkunftsland bestimmt deutlich die Erwartungshaltung und Bedarfe, die Geflüchtete im Zielland an die Musikschulen richten. Im Fall der Ukraine bedeutet dies eine vergleichsweise leistungs- und berufsbezogene Ausrichtung für Jugendliche, die sich Kontinuität in ihrer musikalischen Bildungsbiografie wünschen.
  • Der Einsatz von Personal, das sprachlich, sozial und musikalisch ähnlich sozialisiert ist, erleichtert das Umsetzen von Angeboten sowohl im Bereich von Verwaltung/Organisation als auch im Unterricht selbst.
  • Eine finanzielle Förderung von Angeboten ist für Geflüchtete meist eine Voraussetzung zur Teilnahme. Förderprogramme sollten nicht auf kurze Zeiträume begrenzt sein, denn trotz Beginn der Flüchtlingswelle im März 2022 kam es vielfach erst in der zweiten Jahreshälfte oder gar in den letzten Monaten des Jahres zur Durchführung von Angeboten der Musikschulen, die dann zum Teil wegen ungeklärter Finanzierung im Jahr 2023 nach kurzer Zeit wieder pausieren mussten.
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