Hauptbild
„Wir wollen zusammen Musik machen“: Das Kooperationsprojekt „Pesta-Bläser“ der Musikschule Friedrichshafen und der Pestalozzischule. Foto: Gunthild Schulte-Hoppe
„Wir wollen zusammen Musik machen“: Das Kooperationsprojekt „Pesta-Bläser“ der Musikschule Friedrichshafen und der Pestalozzischule. Foto: Gunthild Schulte-Hoppe
Banner Full-Size

Ton für Ton auf dem Weg zu einem starken Ich

Untertitel
Das Kooperationsprojekt „Pesta-Bläser“ der Musikschule Friedrichshafen
Publikationsdatum
Body

Neue Tendenzen im Ganztagesunterricht lassen aufhorchen. „Pesta-Bläser“ nennt sich ein Projekt, das bereits im zweiten Jahr eine Brücke zwischen der Musikschule Friedrichshafen und der Pestalozzischule schlägt. In diesem Schuljahr haben sich zwölf Schülerinnen und Schüler der fünften Klassen für den Orchester-Unterricht gemeldet. Trotz lauter Töne steht die Musik für Musikschulleiter Rainer Rudisch im Hintergrund. Er hat ein Projekt ins Leben gerufen, das die Sozialkompetenz der Schüler stärken und sie in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit unterstützen soll.

Im Anton-Elflein-Saal der Musikschule Friedrichshafen sitzen zwölf junge Schülerinnen und Schüler, die sich erstmals mit Instrumenten vertraut machen. Während die Blechbläser ihren Mundstücken auf Anhieb erste Töne entlocken können, haben es die Holzbläser schwerer.

Mit rotem Kopf sitzt der kleine Daniel auf seinem Stuhl und versucht vergeblich, dem Mundstück der Klarinette einen Ton abzuringen. Doch dann – plötzlich hat’s geklappt. Die Gesichtszüge entspannen sich, ein Lächeln huscht über Daniels Gesicht. Ein Lächeln voller Stolz und Zufriedenheit. Denn nach unzähligen Versuchen hat der Fünftklässler jetzt den Dreh raus, weiß, wie er die Lippen formen und mit dem richtigen Zungenanstoß in das Mundstück hineinblasen muss. Seine Geduld ist belohnt worden.

„Beim Musizieren merken die Kinder selbst, ob sie etwas richtig machen oder nicht“, sagt Rainer Rudisch, Leiter der Musikschule Friedrichshafen und Initiator des Projektes an der benachbarten Pestalozzischule. In Fachkreisen spricht man von „intrinsischer Motivation“. Anders als in anderen Fächern – da bekommen die Schülerinnen und Schüler eine Rückmeldung vom Lehrer oder der Lehrerin – merken die Kinder sofort, ob sie richtig liegen. Das spornt an und stärkt das Selbstvertrauen.

Der Gruppen-Bläserunterricht wird in der Pestalozzischule als Wahlpflichtfach angeboten, die „Pesta-Bläser“ gehören also zum normalen Schulunterricht. Das Lernziel: ein spielfähiges Orchester, das bereits nach wenigen Monaten sein erstes Konzert geben kann. „Hier geht es nicht darum, so schnell wie möglich ein Instrument spielen zu können“, stellt Rainer Rudisch klar. Deutschlandweit, so schätzt er, gehen (später) 90 Prozent aller Musikschüler aufs Gymnasium. Deshalb ist es für den Musikschulleiter wichtig, „Schülern aller Schularten einen niederschwelligen Zugang zur Musik zu ermöglichen und mit einer anderen Lernkultur die Kinder individuell zu fördern.“ Zudem sind die „Pesta-Bläser“ als eine wichtige Stütze für Kinder aus sozialen Brennpunkten und schwierigen Verhältnissen gedacht. Das Instrument soll helfen, eine Persönlichkeit zu entwickeln. Ein Ziel, dem man sich nur in kleinen Schritten nähern kann.

Andrea Stohr, Musik- und Deutschlehrerin an der Pestalozzischule, stößt ins gleiche Horn: „Für uns Lehrer ist die Musik eine gute Methode, die Schüler zu motivieren.“ Im Vordergrund stehe für sie etwas ganz anderes. „Das Bläser-Projekt bietet einen Raum, in dem die Schüler soziale Fähigkeiten entwickeln können, also Teamfähigkeit, Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft und Konzentrationsfähigkeit.“ Weil hinter dem Projekt „Pesta-Bläser“ ein pädagogisches Konzept steht, betonen Andrea Stohr und Rainer Rudisch im Unterricht immer wieder: „Wir wollen zusammen Musik machen“.

Drei Wochen später. Auch wenn die Kinder erst drei Noten gelernt haben, klingen die Töne schon warm und melodisch. Zunächst spielen die Jungen und Mädchen nacheinander das kurze Musikstück für sich allein. Die anderen hören brav zu, wippen im Takt mit den Füßen. So friedlich geht es nicht immer zu. Oft zappelt jemand, ein anderer schwätzt oder bläst ohne Aufforderung in sein Instrument. „Aber wenn’s wirklich gilt, dann sitzen die Schüler mucksmäuschenstill auf der Bühne“, hat Rainer Rudisch gemerkt. „Mir gefällt der Brückenschlag zwischen Musikschule und Schule“, steht Oberbürgermeister Josef Büchelmeier hinter dem Projekt, „ich sehe in solchen Kooperationsmodellen die richtige Form, wie man Kindern und Jugendlichen, die nicht von vornherein alle Bildungschancen haben, neue Möglichkeiten eröffnet.“

Andrea Stohr ist sich sicher, dass das gemeinsame Musizieren die Jugendlichen weiterbringt. „Ob sich die Kinder auch im normalen Unterricht besser konzentrieren, ist sehr schwer messbar“, gibt sie zu. Aber das Selbstbewusstsein werde auf jeden Fall gestärkt: „Die Schüler sind sicherer im Vortragen geworden und viel weniger nervös als noch zu Beginn.“ Auch Rektor Josef Brugger ist von dem Projekt begeistert. „Nach dem neuen Bildungsplan sind wir verpflichtet, überfachliche Kompetenzen zu schulen. Dafür ist die Musik eine wunderbare Plattform. Sie hilft zum Beispiel, das Durchhaltevermögen der Schüler zu stärken.“

Mittlerweile sind aus dem großen Musikschul-Saal die Klänge von „Jingle Bells“ zu hören. Gespielt von Jungen und Mädchen, die vor drei Monaten noch nicht wussten, wie sie ihr Instrument halten sollen. Musikschuldirektor Rainer Rudisch ist überzeugt: „Wenn die „Pesta-Bläser“ am 20. Dezember erstmals öffentlich auftreten, ist nicht nur das musikalische Lernziel erreicht.“

Print-Rubriken
Unterrubrik