Sylvia Schmeck ist nicht der Typ für eine ruhige Zeit als Rentnerin. Seit 1974 beim WDR hat sie hier an verschiedenen Schaltstellen gewirkt, hat sich neben vielem anderen für die WDR-Kulturpartner stark gemacht und die enge Zusammenarbeit beim Medienpreis LEOPOLD begleitet und engagiert umgesetzt. Grund genug für ein nmz-Gespräch mit Barbara Haack im Dezember 2022 über ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beim WDR und darüber hinaus.
neue musikzeitung: Sylvia Schmeck ist beim WDR eine Institution. Viele Menschen, die mit Dir zu tun haben, wissen wahrscheinlich gar nicht, welche Funktionen du ausübst beziehungsweise ausgeübt hast. Wie genau sah deine Rundfunk-Laufbahn aus?
Sylvia Schmeck: Ich blicke auf fast 50 Jahre WDR zurück. 1974 habe ich hier angefangen, zunächst in der Sendeleitung mit der Betreuung der Programme 1, 2 und 3. Mehr gab es damals noch nicht. Ich hatte von Anfang an mit vielen Künstlerinnen und Künstlern zu tun. Das war sofort mein Ding.
nmz: Wolltest du schon immer zum Rundfunkt?
Schmeck: Ich wollte schon immer „irgendwas mit Medien“ machen, wie man heute sagt.
nmz: Wie ging es weiter?
Schmeck: Ich wollte mich weiterentwickeln, bin für acht Jahre in die Bibliothek und die Archive gegangen und habe eine Archiv-Dokumentations-Bibliotheks-Ausbildung zusätzlich gemacht. Ich habe dort gelernt, dass ich nicht alles wissen kann, aber wissen muss, wo ich es nachschlage. Da gab es noch kein Google oder Wikipedia. In dieser Zeit habe ich den „ganzen“ WDR mit den Fernsehkolleg*innen und den Korrespondent*innen kennengelernt. Das war noch einmal eine andere Ebene. Aber es hieß dann immer: Hier ist ein Ort des Schweigens. Das war für mich als rheinische Frohnatur ein echtes Problem. Es gab sogar einen Kollegen, der eine Tür hat einbauen lassen, weil ich zu kommunikativ war. Das hat mich am Ende richtig krank gemacht.
nmz: Du wolltest dort nicht bleiben?
Schmeck: Nein, ich habe mich dann im Programmbereich Musik beworben, damals war Alfred Krings dort Chef. Ich hatte das große Glück, den Zuschlag zu bekommen. 1984 bin ich also dorthin gewechselt. Der Programmbereich Musik betreute damals nicht nur die Musik der Radioprogramme, sondern auch alle Klangkörper: Sinfonieorchester, Funkhausorchester, Big Band und den Chor…
nmz: Hast du damals begonnen, auch Veranstaltungen zu betreuen?
Schmeck: Ich habe erst einmal Weiterbildungen absolviert, unter anderem zur Kultur- und Veranstaltungsmanagerin. Dabei habe ich gemerkt, dass das ganze Prozedere, das Organisieren und Koordinieren von Veranstaltungen mich sehr begeistert hat.
Spannende Veränderungen
Dann starb Krings, Hermann Lang wurde sein Nachfolger. Es folgten viele Organisationsstrukturverän-derungen im WDR, und das Schöne war: Wenn es Veränderungen gab, wurde ich immer gefragt, wohin ich wechseln möchte. Die Klangkörper wurden vom Programm abgespalten, und ich wurde gefragt: Wollen Sie in die Hauptabteilung Orchester und Chor, oder wollen Sie ins Programm? Ich dachte mir, dass mir das Programm näher liegt und ich mich hier mehr entfalten kann. Deshalb habe ich mich fürs Programm entschieden. Das hat sich für mich bis heute als sehr klug erwiesen.
nmz: Wann kam Karl Karst, mit dem Du ja sehr lange zusammengearbeitet hast?
Schmeck: Das war 1999. Hans Friemond leitete die Welle WDR 3; Karl Karst kam im Herbst 1999 zum WDR und wurde am 01. Januar 2000 Programmchef von WDR 3.
Mit ihm kam auch das Thema „Hören“ zum WDR. Er hatte damals schon die „Schule des Hörens“ gegründet und brachte das als eine Art Lebensthema mit in den WDR. 2001 folgte die Gründung der INITIATIVE HÖREN.
nmz: Eine andere Initiative war das Netzwerk der Kulturpartner.
Schmeck: Das war auch Karl Karsts Idee: Eine Partnerschaft mit den Kultureinrichtungen des Landes Nord-rhein-Westfalen und dem Kulturradio des WDR. Beide vereint ein gemeinsames Zielpublikum. Eine Win-Win-Situation, ohne dass Geld fließt.
Impulsgeber
nmz: Das wurde dann auch dein Kind?
Schmeck: Karst war der Impulsgeber. So jemanden braucht man. Dann muss es natürlich Menschen geben, die das aufnehmen und umsetzen. Die Kulturpartnerschaften habe ich bald betreut. Wir haben mit 40 Kulturpartnern angefangen und sind heute bei etwa 120 Einrichtungen in NRW. Wir haben dann auch begonnen, mit den Kulturpartnern gemeinsame Projekte und Veranstaltungen zu entwickeln.
nmz: Beim Kulturpartner VdM war das vor allem der Medienpreis LEOPOLD.
Schmeck: Die erste LEOPOLD-Veranstaltung im WDR hatten wir 2001, im Großen und im Kleinen Sendesaal. Da gab es die großen Aufführungen im Großen Sendesaal, „Ritter Rost“ oder „Little Sweep“. In dieses Veranstaltungsmanagement bin ich hineingewachsen. Das war ein Teil meiner Arbeit. Der andere Teil war die klassische Büroarbeit.
nmz: Wie werden die Kulturpartnerschaften mit Leben gefüllt?
Schmeck: Wir haben dazu eine Rahmenvereinbarung entwickelt, die eine gewisse Orientierung für diese Partnerschaften gibt. Die einfache Formel lautete: Logo gegen Trailer. Ich stehe in ständigem Austausch mit den Kulturpartnern, die mich über alle ihre Aktivitäten und Veranstaltungen informieren. Wir verwerten die Ankündigungen entweder für Trailer oder für Programmbeiträge.
Kulturpolitische Foren
Seit 2003 gibt es außerdem die kulturpolitischen Foren, ein Diskursformat in Richtung Kulturpolitik mit Kulturpartnern, Kultureinrichtungen oder politischen Vertretungen in NRW. Die Diskussionsmitschnitte werden sonntags um 18.04 Uhr auf WDR 3 ausgestrahlt. Im Laufe der Jahre habe ich an die 800 Sendungen betreut.
nmz: Eines der großen Projekte, die du betreust, ist die „Last Night of the Proms“.
Schmeck: Aus dem Netzwerk der Kulturpartner haben wir den Verein der Kulturpartner als unabhängige Rechtsform gegründet, mit etwa 55 Mitgliedern und einem Vorstand. Ich bin dort die ehrenamtliche Geschäftsführerin. Der NDR hat früher immer Teile der BBC „Last Night of the Proms“ ausgestrahlt. Und es stellte sich uns die Frage, warum wir unseren Hörer*innen nicht einmal ein „klassisches“ public viewing anbieten. Der Vorstand war zunächst skeptisch. Mein Vorschlag war, das nicht in einem Konzertsaal, sondern in einer alternativen Veranstaltungsstätte, vielleicht einem Museum zu machen. Da kam die DASA in Spiel. Die Deutsche Arbeitswelt-Ausstellung, DASA, hat eine Industrie-Anmutung und große Räume. Dort haben wir das erste public viewing der BBC „Last Night of the Proms“ veranstaltet. Beim ersten Mal waren über 1.000 Menschen da, es war gigantisch. Das wurde zu einem Dauerbrenner.
Wir haben es sechs Mal in der DASA gemacht, dann im Parktheater Iserlohn. Schließlich sind wir nach Bielefeld in die Rudolf-Oetker-Halle gegangen. Wir mussten auch in Corona-Zeiten nicht aussetzen.
Seit zwei Jahren ist jetzt auch das Fernsehen, 3sat, mit dabei. 3sat schneidet das mit und überträgt es ein bisschen später. Erstaunlicherweise war das letztes Jahr bei 3sat die Veranstaltung mit den höchsten Einschaltquoten im ganzen Jahr. Das fand ich phänomenal. Und es macht immer riesigen Spaß.
nmz: Du warst auch im Personalrat aktiv.
Schmeck: Ich bin Gewerkschafterin und war acht Jahre lang aktives Mitglied im Personalrat, in der Funktion dann auch Vertreterin meiner Gewerkschaft im Rundfunkrat. Da habe ich immer wieder interessante Menschen getroffen.
nmz: Zurück zum LEOPOLD: Wie hast du den Preis über die Jahre, auch in seiner Entwicklung, wahrgenommen?
LEOPOLD und AUDITORIX
Schmeck: Es war immer kontinuierlich gut. Parallel zum LEOPOLD hat die INITIATIVE HÖREN das Qualitätssiegel für Kinderhörbücher, den AUDITORIX, ins Leben gerufen. Der Start des AUDITORIX-Projekts war 2008 mit der Veröffentlichung der AUDITORIX-Hörspielwerkstatt und 2009 folgte das AUDITORIX-Hörbuchsiegel. Damit hatten wir ein ergänzendes Zusammenspiel der Hörbücher und der Musiktonträger für Kinder.
Mit dem LEOPOLD fing es erst einmal „soft“ an, spitzte sich dann aber in der Gestaltung der Veranstaltungen mit dem Kinderteil, mit dem Verlagsteil immer weiter zu. Veranstaltungstechnisch war das schon eine Herausforderung: die Kinderjury, die Führungen, die Organisation der Vormittagsveranstaltung, die Verlagsvertreter am Nachmittag im Kleinen Sendesaal… Es war immer auch ein ganz großes Highlight.
nmz: Insgesamt hast du in den vielen Jahren ein immenses Wissen, immense Erfahrung, viele Erinnerungen angesammelt, die nur schwer weiterzugeben sind.
Schmeck: Jeder ist ersetzbar, aber es gibt eine gewisse Erfahrungsindividualität und natürlich ein Netzwerk, das man aufbaut. Irgendwann kann man die Menschen dann auch zusammenbringen, vieles synchronisieren. Man kann viel lernen, aber es gibt Erfahrungen, die man nicht weitergeben kann.
nmz: Du wurdest dann auch Mitglied der LEOPOLD-Jury.
Schmeck: Das habe ich als große Wertschätzung mir gegenüber empfunden. Ich bin ja keine Musikwissenschaftlerin, habe die CDs aus meinem Empfinden heraus bewertet. Ich habe aber immer ziemlich richtig gelegen. Ich habe tolle Jurysitzungen erlebt.
nmz: Gab es Produktionen, die für dich besondere Highlights waren, die dir besonders im Gedächtnis geblieben sind?
Ritter Rost und Seeigel
Schmeck: Immer dabei war der Ritter Rost mit dem Burgfräulein Bö. Ich kann mich auch gut an besondere Sprecher erinnern, zum Beispiel Eva Mattes, die viel mit Ute Kleeberg von der Edition Seeigel zusammengearbeitet hat. Die Seeigel-CDs waren immer ganz besonders und herausragend, mit viel Feingefühl und Ästhetik.
nmz: Mit dem Ehren-LEOPOLD hast du 2019 eine besondere und einzigartige Auszeichnung bekommen.
Schmeck: Ja, da konnte ich die Tränen kaum zurückhalten. Die Urkunde und die Figurine haben einen Ehrenplatz bei mir.
nmz: Wie bewertest du die Wirkung des LEOPOLD?
Schmeck: Eine bessere Empfehlung für gute Musik für Kinder kann man nicht geben. Allerdings ist es natürlich auf dem breiten öffentlichen Markt schwer, damit Fuß zu fassen. Es ist schade, dass die Produktionen nicht öfter in den Buchhandlungen zu finden sind.
Es geht uns ja mit dem Kulturradio WDR 3 nicht anders; wir bedienen auch eine Minderheit. Aber Ich finde es wichtig, auch den Bildungsauftrag wahrzunehmen. Wir wissen ja, dass Kultur im Schulterschluss mit Bildung steht. Es ist elementar wichtig, dass man nicht aufsteckt, sondern dass man das immer wieder und kontinuierlich aufrechterhält. Steter Tropfen höhlt den Stein.
nmz: Wie geht es mit Dir weiter?
Schmeck: Eigentlich bin ich ja seit dem 1. Mai in Rente. Aber wie das so ist, wenn man gerne weitermacht, dann kann es sich auch ergeben, dass es weitergeht und so war das bei mir der Fall. Aber am 31. Dezember ist erst einmal Finale.
nmz: Der Rückblick auf die lange Zeit beim WDR löst schon Erstaunen aus darüber, was du alles geschafft hast. Du warst Schnittstelle, hast Menschen miteinander vernetzt, hast so viele Dinge angestoßen und umgesetzt.
Schmeck: Das hat auch mit meiner rheinischen Frohnatur zu tun. Andere haben immer viele Hürden und Blockaden im Hirn. Ich gehe aus dem Gefühl, aus dem Bauch heraus. Ich bilde mir ein, immer irgendwie vermittelnd und verantwortungsbewusst zu handeln. Und: Mich kann jeder alles fragen. Ich versuche immer, eine Lösung zu finden oder jemandem den Weg aufzuzeigen, wenn ich nicht direkt helfen kann. Hier im Unternehmen wurde das sehr dankbar angenommen und geschätzt. Ich blicke auf viele Highlights und sage: Was habe ich alles erleben dürfen. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar.
Identifikationsfigur, Katalysator
Matthias Pannes, Bundesgeschäftsführer des VdM, war beim nmz-Gespräch dabei. Er arbeitet mit Sylvia Schmeck schon seit vielen Jahren zusammen und formuliert seine Wertschätzung im Rahmen des Gesprächs so:
„Sylvia war und ist im WDR für Mitglieder des Kulturpartnernetzwerks, eigentlich des gesamten Netzwerks von WDR3, immer Identifikationsfigur und Katalysator. Dadurch ist es gelungen, neue Wirkungsdimensionen zu entfalten, Dinge miteinander in Bewegung zu bringen, die es vorher nicht gab: Sylvia als Schnittstelle zu uns – mit Esprit, mit Geist, mit Gespür, die immer wieder Dinge und Menschen zusammengebracht hat. Sie ist das Zentrum der Kulturpartner, Herz, Hirn und Motor, um das Ganze zu realisieren. Das Gleiche gilt für die Initiative Hören.“
„Wer unter ihr Chef war, war eigentlich egal. Ihre Kompetenz in Verbindung mit ihrer Durchsetzungskraft war schon immens.“
„Ganz besonders war die sehr vertrauensvolle und herzliche Zusammenarbeit zwischen Sylvia Schmeck und Hendrike Rossel, der Projektleiterin des LEOPOLD von Anfang an. Das waren einfach zwei Seiten einer Medaille.“
„Eigentlich wäre die Royal Albert Hall ohne den WDR und ohne Sylvia nur halb so viel wert. Ihre Liebe zur ‚Last Night of the Proms‘ hat auch mit ihrer Liebe zum Veranstaltungsmanagement zu tun. Da hat sie mit dieser Riesenveranstaltung viel bewegt. Auf sie trifft das Sprichwort zu: Alle sagten, es ging nicht. Und dann kam Sylvia und hat es einfach gemacht.“