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Wir müssen immer wieder Gründer sein

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Hauptarbeitstagung des Verbands deutscher Musikschulen in Regensburg
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Das immer drängendere Problem des Fachkräftemangels und die Frage nach Strategien der Nachwuchsgewinnung standen bei der Hauptarbeitstagung im 70. Jubiläumsjahr des Verbands deutscher Musikschulen im Fokus. Als roter Faden zog sich das Thema der gesellschaftlichen Relevanz durch die Konferenz. Es ging um höhere Gehälter und bessere Arbeitsverhältnisse für Musikschullehrkräfte sowie um die Herausforderungen, Chancen und Ziele innerhalb der Themen Inklusion und Diversität.

Im Herzen von Regensburg, im Ensemble aus Theater und Sing- und Musikschule, fand am 13. und 14. Mai die Hauptarbeitstagung des Verbands deutscher Musikschulen statt. Sie wurde mit Unterstützung der Stadt und der Sing- und Musikschule Regensburg veranstaltet. Vertre­ter*in­nen der über 930 VdM-Musikschulen waren eingeladen, bei Vorträgen, Podiumsdiskussionen und Workshops unter der Überschrift „Erbe und Auftrag – Zukunft für und mit Musikschule“ mitein-ander in Austausch zu treten.

Mit den Worten „Nur den Status Quo zu verwalten, hieße Musikschulen aufzugeben“, betonte der scheidende Bundesvorsitzende Ulrich Rademacher bei seiner Begrüßung, dass es wichtig sei, genau wie vor 70 Jahren „immer wieder Gründer zu sein“ und bei der Musikschularbeit fortwährend neue Impulse zu setzen.

Nach einem Grußwort der Regensburger Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer gratulierte Bundesfamilienministerin Lisa Paus dem Verband per Videobotschaft zu seinem 70-jährigen Bestehen. Paus stellte den wichtigen gesellschaftlichen Beitrag der öffentlichen Musikschulen heraus und würdigte das vielfältige Bildungsangebot.

In seinem Vortrag zum Thema „Musikschulen als Resonanzorte gesellschaftlicher Entwicklungen“ ging Ulrich Mahlert, Professor für Musikpädagogik in Berlin a.D., näher auf die Schlagworte „Erbe“ und „Auftrag“ ein. „Das Erbe der Musikschule steht nicht fest, es besteht vielmehr in einer Aufgabe“. Ihr Auftrag im Sinne des öffentlichen Bildungsauftrages müsse hingegen immer wieder neu befragt sowie kritisch infrage gestellt werden.

Am darauffolgenden Podiumsgespräch nahmen neben Ulrich Mahlert der Generalsekretär des Deutschen Musikrats Christian Höppner, Michaela Stoffels vom Deutschen Städtetag und Ulrich Rademacher teil. Als Moderator zog Reinhart von Gutzeit, Ehrenvorsitzender des VdM, mit den Podiumsteilnehmer*innen eine gemeinsame Bilanz der 70-jährigen Verbandsarbeit. Es sei gelungen, die Musikschule durch den Aufbau gemeinsamer Strukturen als Marke zu etablieren und mit dem VdM ein Podium zu schaffen, um voneinander zu lernen. Reinhart von Gutzeit betonte die Rolle des Verbands als Heimat für viele Musikschullehrkräfte. Bei einem Beruf, der allein durch das Gehalt nicht genug wertgeschätzt werde, sei dieser Aspekt von besonderer Bedeutung.

Der Weg zu einer Höhergruppierung im Tarifvertrag gleiche einem Marathon, sagte Michaela Stoffels. Sie forderte den Verband auf, Lobbyarbeit auf breiter Ebene zu betreiben und bei Schülereltern um Verständnis und Unterstützung zu werben. Gleichzeitig solle auf politischer Ebene ein Faktenpapier erstellt werden, welches das Ausmaß des Fachkräftemangels an den Musikschulen evaluiere. Chris-tian Höppner appellierte an den VdM, mit seinen Forderungen noch lauter zu werden. „Am Ende haben wir schöne Gebäude, aber die Hülle ist von innen leer“, sagte er im direkten Zusammenhang mit dem Problem des Nachwuchsmangels.

Nach der Eröffnung des zweiten Konferenztages am 14. Mai durch den frischgewählten Bundesvorsitzenden Friedrich Koh-Dolge, widmete sich die Podiumsrunde mit Vertreter*innen der Hochschulen, Musikschulen und der kommunalen Kulturpolitik der Frage, wie Lernende und vor allem Lehrende für Musikschulen zu gewinnen seien. Einig war man sich über die Notwendigkeit einer besseren Bezahlung, aber darüber hinaus auch attraktiver Rahmenbedingungen. „Es ist die Aufgabe der Musikschulen, die künstlerische Tätigkeit der Lehrer zu unterstützen“, sagte dazu Gabriele Rüll, Leiterin der Nürnberger Musikschule, und plädierte für Möglichkeiten der Freistellung von Lehrkräften, die auch konzertierend tätig seien. Im Vordergrund stand auch die gesellschaftliche Relevanz des Ins-trumental- und Gesangslehrer-Berufs, die vermittelt werden müsse. Wolfgang Lessing, Professor an der Musikhochschule Freiburg, betonte: „Die besten Werbenden sind die, die an Musikschulen arbeiten“. Er sprach sich für eine noch weitergehende Verzahnung von Musikschulen und Hochschulen, beispielsweise durch längere Praktika, aus. Darüber hinaus erklärte Friedrich Koh-Dolge, dass es wichtig sei, sich mit zukunftsgerichteten Konzepten gesellschaftlich relevant zu zeigen. Dazu gehörten etwa gelebte Inklusion und die Einbeziehung verschiedener Stilrichtungen.

Dieser Gedanke setzte sich kurze Zeit später im Workshop „Musikschule inklusiv – Unsere Zukunft ist divers! Zur Verantwortung der Musikschulen in einer bunten, demokratischen Gesellschaft“ fort. Vier Workshops, bei denen die Tagungsteilnehmer*innen in einen intensiven Austausch traten, fanden am Samstag parallel zueinander statt. „Es gibt nicht die eine normale Gruppe, in die Andere inkludiert werden müssen. Vielfalt ist normal!“, sagte der Leiter des Inklusionsworkshops Robert Wagner. Die Ziele von Inklusion als Haltung und Selbstverständnis seien Teilhabe-Möglichkeit und Zugehörigkeit: „Die inklusive Musikschule sorgt dafür, dass viele mitmachen wollen und alle, die wollen, mitmachen können.“ Als Strategien zur Umsetzung des Konzepts wurden unter anderem die Barrierefreiheit durch einfache Sprache, beispielsweise bei den Anmelde-Unterlagen, besprochen, ebenso wie der Abbau von Berührungs-ängsten bei Lehrkräften. Als Ziel wurde auch genannt, weniger bildungs­elitär zu werden; es gebe noch immer so gut wie keine Hauptschüler*innen an den Musikschulen. Abschließend hielten die Teilnehmer*innen fest, dass jede Musikschule sich individuell fragen müsse, wo sie ansetzen könne, um inklusiver und diverser zu werden. Dabei müsse kein Anspruch auf eine komplette Umwälzung bestehen. Vielmehr sei wichtig, sich auf den Weg zu machen.

Abermals um die Thematik des Fachkräftemangels ging es derweil im Workshop „Wanted: Pädagogische Talente gesucht. Zentrale Aspekte der Nachwuchsgewinnung für Musikschulen“. Besprochen wurde die Bedeutung von pädagogischen Früherfahrungen und Peer-Learning, die Kinder in einer Musikschule sammeln können. Auch über die Berufsberatung in verschiedenen Kontexten soll Kindern und jungen Erwachsenen der künstlerisch-pädagogische Weg nähergebracht werden. Neben mehr Kooperationen mit Schulen schlug Ulrich Rademacher Beratungs-angebote im Rahmen von „Jugend musiziert“ vor. Wolfgang Lessing forderte außerdem fluidere Modelle bei der Hochschulausbildung und die Möglichkeit, die Entscheidung für den pädagogischen oder künstlerischen Fokus auf einen späteren Zeitpunkt innerhalb des Studiums zu verlagern. Auch die Nachbildung von freien Musikerinnen und Musikern, die ihr Interesse für das Unterrichten erst spät entdeckten, müsse einfacher möglich sein. Es zeigte sich bei einer lebendigen Debatte unter den Workshop-Teilnehmer*innen großer Gesprächsbedarf und der Wunsch nach einer Fortsetzung.

„Wir haben viel gelernt“, resümierte der Bundesvorsitzende Friedrich Koh-Dolge am Ende der Tagung in seinem Schlusswort. Er appellierte an die Tagungsteilnehmer*innen, noch mehr Kollegen und Kolleginnen zur Verbandsarbeit zu motivieren. Mehr Mitglieder bei Tagungen machten den VdM  öffentlichkeitswirksamer; „Gestalten und formen Sie mit uns!“. Die nächste Bundesversammlung des VdM findet am 27. April 2023 in Kassel statt.

 

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