Im Dezember 2014 veröffentlichte das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport eine Pressemitteilung mit der Überschrift „Lehrkräfte an Musik- und Kunstschulen: Chancen für Unterricht an Brandenburgs öffentlichen Schulen“. In Brandenburg sinkt die Zahl ausgebildeter Musiklehrer an Schulen stetig und hat mittlerweile einen solchen Tiefstand erreicht hat, dass an einigen Schulen der Musikunterricht dauerhaft ausfällt. Also nicht mehr erteilt wird.
Durch diesen Missstand können natürlich auch keine Zeugnisnoten für das Fach Musik erteilt werden. Und so hat sich das Ministerium entschlossen, Musikschullehrkräfte als Schulmusiker einzusetzen. Dies ist auch in anderen Bundesländern längst Praxis und wird von der Politik als großartige Chance gefeiert. Die Musikschullehrkräfte, deren prekäre Situation der Politik übrigens bes-tens bekannt ist, sollten so „eine Chance auf ein besseres Einkommen und eine soziale Absicherung erhalten“ (O-Ton eines Vertreters der KMK bei einer Podiumsdiskussion zum Thema „Musikalische Bildung“ der Stiftung Brandenburger Tor im Oktober 2014). Der Unterricht kann – den unterbeschäftigten Musikschullehrern sei Dank – wieder stattfinden, was auch die Eltern zufrieden stellt.
Allen ist also geholfen. Scheinbar. Die Musikschullehrkräfte werden diese Chance sicher nutzen; in einem Bundesland, in dem es schon vor fünf Jahren keinen einzigen festangestellten Musikschullehrer unter 30 Jahren mehr gab und in dem teils Honorare von 17 Euro pro Unterrichtsstunde gezahlt werden, ist das nicht überraschend. Denn, es lockt eine – wenn auch befristete – sozialversicherungspflichtige Festanstellung. Da macht es den Lehrkräften sicherlich nur wenig aus, dass sie für den Schulmusikunterricht überhaupt nicht ausgebildet sind.
„Chance“ mit fatalen Folgen
Den Beamten im Ministerium macht es auch nichts aus. Immerhin verlangen sie, dass Fortbildungsmöglichkeiten für die Musikschullehrkräfte geschaffen werden, nicht aber etwa, dass diese verpflichtend sind. Interessant ist auch die Auffassung, dass Musikschullehrer in punktuellen Fortbildungen das erlernen könnten, was Schulmusiker in einem neun Semester umfassenden Bachelor- und Masterstudium erlernen.
Im Klartext heißt das, dass es also offenbar völlig egal ist, was im schulischen Musikunterricht passiert und wie es gemacht wird. Wird dem Musikunterricht immer wieder vorgeworfen, er sei aufgrund seiner Zersplitterung in verschiedene und teils auch widersprüchliche musikdidaktische Konzeptionen beliebig, bestätigt die Entscheidung des brandenburger Ministeriums dies nun auch in qualitativer Hinsicht: Hauptsache, irgendwer macht irgendwie irgendwas mit Musik. Das ist, als würde man einen Fachkräftemangel an Chirurgen dadurch beheben, dass fortan Zahnärzte deren Job übernehmen – schließlich haben beide Berufsgruppen irgendwie was mit Medizin zu tun. Für die Musikschulen hat das, was hier als großartige „Chance“ verkauft wird, absehbar fatale Folgen. Bereits jetzt besteht in einigen Regionen ein Fachkräftemangel an Musikschulen. Wer fährt auch für 17 Euro pro Stunde und unbezahlte Ferien in eine der entlegenen Randregionen Brandenburgs? Statt dass jedoch die prekäre Situation durch die politischen Rahmenbedingungen verbessert werden, sollen nun noch Musikschullehrkräfte von ihrer eigentlichen Tätigkeit, für die sie ausgebildet sind, abgezogen werden und nun das übernehmen, was zuvor deutlich teurere Schulmusiker geleistet haben. Und das, obwohl die Nachfrage an Musikunterricht an Musikschulen nicht bedient werden kann. Wahrlich ein gelungener Deal für das Ministerium: Man spart und muss an anderer Stelle nichts tun – egal, wie lang die Wartelisten an Musikschulen schon sind. Vom Musik- und Kunstschulverband des Landes Brandenburg (VdMK) hört man dazu wie meist, wenn wieder einmal neue bildungspolitische Forderungen an die Musikschullehrkräfte gestellt werden: nichts (Der Deutsche Kulturrat ist mit seiner Resolution zur Unverzichtbarkeit der künstlerischen Schulfächer vom März 2015 bereits deutlich weiter). Musikschullehrkräfte des VdM können immer. Alles. Zu jeder Tageszeit. Sogar ohne es gelernt zu haben. Nicht nur Unterricht von Einzel- bis Großgruppenunterricht mit Schülern vom Baby- bis ins Seniorenalter, mit oder ohne Behinderungen, sondern nun auch noch Unterricht mit ganzen Schulklassen in allen Schularten, ohne Kenntnis musikdidaktischer Konzeptionen, Modelle und Methoden, Sozial- und Aktionsformen, ohne Kenntnisse darüber, wie man zusammenhängende Unterrichtseinheiten oder eine Unterrichtsstunde plant, ohne Kenntnisse der Rahmenlehrpläne Musik und ohne Kenntnisse über Verfahren der Leistungsbewertung einschließlich der Konstruktion von Tests. Aber wenn jeder immer alles kann, wozu brauchen wir dann noch unterschiedliche Studiengänge an Musikhochschulen?
Bildungsauftrag: ungenügend
Folgerichtig gibt es bereits erste Überlegungen, die Studiengänge für Musikschullehrer und für das Grundschullehramt Musik zu vereinheitlichen (was die interessante Frage nach sich zieht, ob Musikschullehrer dann je nach ausgeübter Tätigkeit an Musikschulen oder allgemeinbildenden Schulen angestellt sein werden oder sogar als Honorarkräfte schulischen Pflichtunterricht im Fach Musik übernehmen werden).
In Anbetracht der aktuellen Situation, dass es reicht, aktionistisch irgendwo irgendwie irgendwas mit Musik für Kinder und Jugendliche zu veranstalten, das entweder von Musikschullehrkräften, freien Musikpädagogen, Orchestermusikern, Konzertpädagogen, freien Musikern oder Schulmusikern durchgeführt wird, um das dann „musikalische Bildung“ zu nennen, könnte man allerdings Berufsprofile überhaupt aufgeben. Denn wenn der musikalische Bildungsauftrag für Schulen nur noch lautet, „irgendwie irgendwas mit Musik zu machen“, kann das so ziemlich jeder. Lehrpläne könnten dann abgeschafft und auf Curricula kann verzichtet werden. Dann braucht man allerdings auch keine unterschiedlichen Fachverbände mehr. Die Stellen der Mitarbeiter könnte die Landesregierung dann auch gleich noch einsparen.