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Am 14. Juni, weltweit der Tag der Musik, wurde demonstriert: Berliner Musikschullehrer auf dem Gendarmenmarkt. Foto: ver.di
Am 14. Juni, weltweit der Tag der Musik, wurde demonstriert: Berliner Musikschullehrer auf dem Gendarmenmarkt. Foto: ver.di
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„Behandelt sie wie Lehrer!“

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Berlins Senat entlässt Musikschullehrkräfte, die nicht noch schlechter arbeiten wollen
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Berlin ist derzeit Schauplatz eines ungeheuerlichen Vorgangs. Eines Vorgangs zudem, den die im Senat führende SPD zu verantworten hat: Mit der Kündigung hunderter Musikschullehrkräfte verraten die Sozial- und Christdemokraten in diesen Tagen Großteile ihres bildungspolitischen Selbstverständnisses. Am 14. Juni versammelten sich deshalb etwa 500 betroffene Lehrer, Eltern, Gewerkschaftler, Politiker und sympathisierende Musiker vor dem Konzerthaus auf dem Gendarmenmarkt zu einer ersten Demonstration.

Den Zeitpunkt, die Kündigungen auszusprechen, wähnten die Verantwortlichen im Senat für klug gewählt: Wenige Tage vor den Sommerferien glaubte man offenbar die Proteste würden kaum lautstark ausfallen. Das werde ein Irrtum sein, versicherten hingegen die Gekündigten auf dem Gendarmenmarkt.

Die Vorgeschichte macht das wahrscheinlich: An Berlins Musikschulen unterrichten hauptsächlich Honorarkräfte, seit nach 1989 die überwiegend festen Arbeitsverhältnisse bis auf einen Stand von acht Prozent abgebaut wurden. Für die 92 Prozent verschlechterten sich die Anstellungsbedingungen im Laufe der Jahre auf Präkariatsniveau. Anstatt nun aber die Musikschullehrerinnen und Musikschullehrer wie jeden Lehrenden an einer kommunalen Bildungseinrichtung weiter  zu beschäftigen, überarbeitete der Senat die Verträge, um dem Vorwurf der Deutschen Rentenversicherung zuvorzukommen, die Bildungsträger würden die Scheinselbstständigkeit fördern. Das Ergebnis kurz gefasst: Mehr Unterricht und damit schlechtere Bezahlung, verzögerte Tarifanpassung, mehr Bürokratie, weiterhin kein Mutter- und Kündigungsschutz. Die monate-, ja, jahrelangen Proteste verhallten, obwohl sich die SPD-Parteitage der Lehrkräfte annahmen. Die Senatsverwaltung antwortete weder auf Briefe noch auf Einladungen zu Verhandlungen. Es begann ein widerliches Geschiebe von Zuständigkeiten zwischen Senat und Bezirken. „Behandelt sie wie Lehrer!“ Die Opposition konnte kopfstehen, Grüne, Linke und Piraten wurden ignoriert.

All das kam am 14. Juni, übrigens weltweit der Tag der Musik, bei der Demonstration zur Sprache, jedoch unter dem Vorzeichen, dass inzwischen bereits hunderten Musikschulkräften gekündigt worden war, weil sie sich weigerten, die neuen Verträge zu unterschreiben. „Der Vorgang ist ungeheuerlich und ohne Beispiel in der Geschichte der deutschen Musikschulen“, rief denn auch Stefan Gretsch, Bundesvorsitzender der ver.di Fachgruppe Musik, über den Platz, der ein Symbol für die Entwicklung des Musikwesens in Deutschland ist. Professor Nordmann, Intendant des dortigen Konzerthauses, verwies in seiner Solidaritätsadresse denn auch auf die Bedeutung des Musikschulunterrichts, ohne den es wohl kaum solch ein Musikleben gäbe, wie es Berlin als Reichtum habe.

Das war auch vor dem Konzerthaus und auf den Stufen hinauf zum Saal zu hören, wenn auch zuerst und abschließend mit einem nervenden, ostinat gesungenen und instrumentierten „E“ der Versammlung, mit Beiträgen der Gruppe „Saxofon Quadrat“ oder den Gitarrenstücken von Patrick Zeoli. Dazwischen sprachen, moderiert von Ulla Weber, die Lehrervertreterin Monika Stockmeier, Heiko Glawe vom DGB, Anno Blissenbach für die Landeslehrervertretung, Eltern und stellvertretend für die Opposition der Abgeordnete der Grünen, Thomas Birk. Auch die Betroffenen redeten von Angst und Wut. Sie sprachen von den bislang 1000 Protesterklärungen an den Senat, der ja 1,5 Milliarden Euro gebunkert habe. Anstatt das Geld in bessere Bildung zu investieren, stecke er sie in Projekte wie den Flughafenausbau in Schönefeld. Man sei meilenweit entfernt von den Versprechen der Politiker, die, als Redebeiträge vom Mischpult aus eingespielt, kabarettistischen Charakter besaßen – und gemessen an der Wirklichkeit zynisch wirkten.

Derzeit werden Ersatzlehrer gesucht, ein Hohn, wie viele meinten, weil Eltern, Schüler und gestandene und jetzt gekündigte Musiklehrer unter Druck gesetzt würden. „Ich schlafe seit zwei Wochen nicht mehr. Wenn ich nicht unterschreibe, kommt die Räumungsklage, weil ich schon zwei Mieten im Rückstand abstottern muss. Die Klassenfahrt meiner Jüngsten kann ich auch knicken“, so eine Kollegin, Gewerkschaftsmitglied, über die Erpressung. Sie wird wohl unterschreiben: „Ich habe zwei schulpflichtige Kinder.“

Sie wird nicht still unterschreiben. In den Ferien wird der Widerstand wachsen und bei Schulbeginn unüberhörbar sein, so das gegenseitige Versprechen am 14. Juni. Berlin darf nicht die Blaupause für solche Vorgänge in der Republik sein. Gut, dass wir die Wahl haben. 

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