Hauptbild
Die Präsenz von ver.di auf dem Musikschulkongress. Viele Plakate, Fyler, ein Stehtisch und Menschen.

ver.di Musik auf dem VdM-Kongress 2023 im Kongress-Palais Kassel.

Banner Full-Size

Dickes Brett erfordert vereinte Kräfte

Untertitel
„Mehr Musik!“ und die Arbeitsbedingungen von Musikschullehrkräften
Vorspann / Teaser

Sowohl in seinem Fazit vor Ort als auch in der Kongress-Nachlese zum VdM-Kongress 2023 (nmz 6/2023) berichtete der Vorsitzende des Verbands deutscher Musikschulen e.V., Friedrich-Koh Dolge, welche Aufbruchsstimmung auf dem Musikschulkongress in Kassel zu spüren war.

Publikationsdatum
Paragraphs
Text

Eine wahre Freude war es deshalb auch für uns in ver.di aktive Musikschullehrkräfte, in diesem Jahr wieder mit einem ver.di-Stand im Ausstellungsbereich ansprechbar zu sein. Beinahe überflüssig erscheint es zu erwähnen, wie sehr ver.di als Vertretung der Musikschullehrkräfte die Kasseler Erklärung des VdM begrüßt (nachzulesen auf der offiziellen Webpräsenz des Verbands unter https://www.musikschulen.de).

Aufbruchsstimmung bei VdM, KSV, VKA und Hochschulen

Ein Wermutstropfen blieb dabei, dass ver.di erneut nicht die Stimme der Musikschullehrkräfte und Freischaffenden offiziell auf einem Podium vertreten konnte. Dass dies in der momentanen Situation der Musikschulen und so kurz nach den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst nicht nachvollziehbar ist, zeigte auch ein Zwischenruf aus dem Plenum während einer Podiumsdiskussion zum Thema „Arbeitsplatz Musikschule“ am Kongress-Samstag: „Warum sitzt ver.di nicht auf dem Podium?!“ erscholl es laut, nachdem spektakulärerweise Ulrich Mädge (Präsident a.D. der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände) und Jörg Freese (Beigeordneter des Deutschen Landkreistags) den anwesenden Musikschullehrkräften in mehreren ihrer Wortbeiträge zum Eintritt in die tarifverhandelnde Gewerkschaft rieten. Beide Vertreter der kommunalen Arbeitgeber machten deutlich, zwischen welchen Verhandlungspartnern die Tarifarbeit stattfindet, jüngst zu beobachten am Beispiel der Tarifverhandlungen für den TVöD (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst) – nämlich zwischen Gewerkschaft und Arbeitgebern. Auch wurde laut gesagt, dass die Mitgliederzahl bei den Musikschullehrkräften steigen müsse, um bei anderen, besser organisierten Berufsgruppen Gehör zu finden und die eigenen Forderungen auf den Verhandlungstisch bringen zu können.

Wie kommt es, dass die Vertreter von Arbeitgeberverbänden in Kassel mehrfach und deutlich auf einem Podium die Beschäftigten zur Vertretung ihrer Interessen aufriefen? Die Analyse fällt nicht schwer und wurde auch vom VdM mittlerweile zum Thema mit Priorität erhoben: der Fachkräftemangel im Musikschulbereich hat seine Gründe nicht in einer letzthin vielzitierten „Gen-Z“-Mentalität, sondern die Arbeitsbedingungen an Musikschulen sind seit Langem und zum überwiegenden Anteil prekär, sie grenzen, wie ebenfalls Ulrich Mädge feststellte, an Ausbeutung.

Höchst erfreulich also, dass so viele unserer Positionen auf dem Podium zur Sprache kamen. Doch um auf den Zwischenruf zurückzukommen: macht dies die Mitwirkung von ver.di an einer solchen Podiums-Veranstaltung obsolet? Im Gegenteil!

Sicher – in der Musikschullandschaft sind die Rollenverteilungen diffizil und entsprechen nicht dem klaren schwarz-weiß aus der freien Wirtschaft. Mit Blick auf die vergangenen Jahre und Jahrzehnte mochte man daher als Lehrkraft, deren Woche nicht selten an 4-10 unterschiedlichen Schul-Orten stattfindet (weitgehend ohne Sozialversicherung durch den Arbeitgeber!), den Verbänden zu ihren Positionen ab und an wie in der Laienchorprobe zurufen: „zu wenig, zu leise, zu langsam!“. Aber auch unter den Lehrkräften selbst (sowohl an Musik-, als auch an Hochschulen) stirbt das weit verbreitete Vogel-Strauß-Exemplar leider nicht aus, das in künstlerischem Tun und verdienstvollem Lehren gänzlich aufgeht, sich aber den wirtschaftlichen Realitäten scheint‘s gar nicht – oder erst im Rentenalter – stellt. Aus dieser Gemengelage heraus bleibt zur Bündelung unserer Kräfte viel zu tun. Ermutigend klang da die vom VdM-Vorsitzenden Friedrich-Koh Dolge signalisierte Bereitschaft zum Austausch. In seiner Nachlese bekräftigte er: „Mit unserer Initiative zu einer stärkeren politischen Lobbyarbeit sind wir auf dem richtigen Weg und wir werden unser Netzwerk für die musikalische Bildung noch weiter ausbauen müssen.“ Mag sich der vor Ort genannte Vernetzungsgedanke auch zunächst auf die Bildungsinstitutionen, unter anderem auf dem genannten Podium vertreten durch Dr. Susanne Rode-Breymann (Vorsitzende Rektorenkonferenz dt. Musikhochschulen), bezogen haben, so muss dieses Netzwerk die Musikschullehrkräfte dringend mit enthalten. Gerade aufgrund unserer Sondersituation in der Musikschulbranche sollten wir, wie Dr. Teresa Pickavé (LVdM NRW) es auf die Arbeitsbedingungen für die Musikschul-Fachkräfte bezogen ausführte, beginnen, uns gegenseitig besser zuzuhören.  

Aufbruchsstimmung bei Musikschulleitungen

Was trieb nun diejenigen um, die sich an unserem Stand im Ausstellungsbereich des Musikschulkongresses eingefunden hatten? Die Aufbruchsstimmung war auch an dieser Stelle deutlich spürbar, wie unsere Gespräche mit den Kongress-Teilnehmenden zeigten. Noch nie wandten sich neben den Lehrkräften so zahlreich Leiterinnen und Leiter von Musikschulen ratsuchend an den ver.di-Stand. Dass die Erkenntnis darüber, dass Leitende und Unterrichtende gemeinsam an einem Strang ziehen müssen, genauso in der Realität angekommen ist, wie die kritikwürdigen Bedingungen an Musikschulen, gibt Hoffnung für die Zukunftsfähigkeit des Arbeitsplatzes Musikschule. In unserem Kongress-Bericht aus ver.di-Perspektive sind weitere Themen zu nennen, die sich in den Fragen an uns häufig wiederholten. Viele Kolleginnen und Kollegen wollten wissen, wann die Verhandlungsergebnisse der Tarifabschlüsse 2023 für den TVöD in ihre an den TVöD angelehnten Haustarifverträge Eingang finden.

Die Antwort darauf ist ernüchternd und sollte zur Handlung motivieren: einen Anspruch gibt es nicht, selbst dann nicht, wenn bisher einzelne Erhöhungen freiwillig mitgegangen wurden. Automatisch passiert hier leider in den seltensten Fällen etwas, jedenfalls sollte man darauf keinesfalls warten. Es ist erneut an den Beschäftigten in den einzelnen Musikschulen, sich zusammenzutun, die eigenen Forderungen stichhaltig zu formulieren und die Kommune vor Ort zu Verhandlungen über die Angleichung aufzufordern. Noch ein Punkt übrigens, den auch viele der Musikschulleitungen verstanden hatten: Die Beschäftigten können der öffentlichen Hand gegenüber Missstände deutlicher und angstfreier benennen als die Leitungen selber. Das verwundert nicht, da Musikschulleitungen Fundraiser:in, Entertainer:in, Kummerkasten, Logis­tiker:in, Vertriebler:in, und ja, manchmal auch Repräsentant:in sind. Gleichzeitig sind sie fast immer von einem Haushalt abhängig, über den sie nicht entscheiden können. Überdies sind sie in den allermeisten Bundesländern durch die hohe Anzahl an Honorarkräften vielen ihrer Lehrkräfte gegenüber nicht einmal weisungsbefugt. Sieht so die klassische Arbeitgeberrolle aus?

Bild
Ein weiteres Bild vom gleichen Stand.
Text

Kasseler Erklärung:

„Beschäftigungsverhältnisse von Lehrkräften an Musikschulen verbessern!“

Wir als ver.di-Aktive aus den Musikschulen freuen uns daher, dass der VdM sich entscheidende Schritte nach vorne gewagt hat. Fokussiert er in seiner Kasseler Erklärung doch haargenau die entscheidende Stellschraube, an der die Arbeitsbedingungen tatsächlich verändert und verbessert werden – die Tarifarbeit. Vielen ist es nicht bewusst (und nicht alle wollen es zugeben), aber die dadurch bestimmten Entgelte und Arbeitsbedingungen wirken sich wie unsichtbare Richtlinien seit jeher auf die Preisstrukturen, Rechte und Pflichten der gesamten inländischen Musikschullandschaft aus. Ebenso bilden sie ein wieder erstarkendes Bollwerk gegen die vollständige Erosion der Beschäftigungsverhältnisse in Form von prekär bezahlten Honorarverträgen.  

In der Kasseler Erklärung kritisiert der VdM dankenswerterweise: „Die Tarifmerkmale gehen von Tätigkeiten aus, die vor 35 Jahren Gültigkeit hatten und das Berufsbild heute nicht mehr angemessen abbilden. Sie gehen von Studiengängen und Abschlüssen aus, die es heute so nicht mehr gibt […]“. Explizit wird daher auf die notwendige Verbesserung der Tarifmerkmale Bezug genommen: „Der VdM bittet die Kommunalen Spitzenverbände und die Kommunalen Arbeitgeberverbände (KAV/VKA) daher eindringlich um die Einsetzung einer Arbeitsgruppe zur Behandlung dieser Thematik.“ Eine höchst begrüßenswerte Forderung für alle Musikschultätigen und erst recht aus der Perspektive ihrer gewerkschaftlichen Arbeitnehmervertretung.

Wer sitzt am Tarif-Verhandlungstisch?

Einzig ein blinder Fleck muss hierbei konstatiert werden: Wird hier die Exekutive aufgerufen, Tarifpolitik für die Beschäftigten zu machen? Gibt es nicht seit dem Betriebsverfassungsgesetz 1952 und den Personalvertretungsgesetzen der Länder längst eine gesetzlich verankerte Grundordnung zur Verhandlung der Arbeitsbedingungen innerhalb von Tarifverträgen? Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ist hierzulande diejenige Tarifpartei, in der sich die Mehrzahl der Musikschulmitarbeitenden organisiert hat. Welche Gefahr niedrige gewerkschaftliche Organisationsgrade (sprich die geringen Mitgliederzahlen vor Ort) in Musikschulen für den Fortbestand selbiger darstellen, sehen wir im Moment bereits am Fachkräftemangel deutlich. Was es für die soziale Sicherung und die Altersarmut eines ganzen Berufsstands bedeutet werden wir in Kürze wahrnehmen.

Aktuelle und konkrete Tarifarbeit im Musikschulbereich

Ein Blick in die derzeitige Tarifarbeit der ver.di-Musikschullehrkräfte zeigt, wie die geforderte Aufwertung unseres Berufsbilds konkret Gestalt annehmen kann. Im Bereich der Tarifgemeinschaft der Länder, also in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen handeln die Musikschullehrkräfte, vertreten durch die Gewerkschaft vor Ort, jeweils ihren eigenen Eingruppierungsvertrag aus. Hamburg ist 2014 mit kämpferischem Beispiel vorangegangen, Berlin folgte. Bremen ist als nächstes am Zug – und die Kolleginnen und Kollegen dort haben verstanden, worum es für sie geht. Mit der Bildung ihrer Tarifkommission und dem Bündeln ihrer Verhandlungsziele haben sie bereits begonnen.  Nun wird eine durchsetzungsstarke Mitgliederanzahl benötigt, um das Ziel einer besseren Eingruppierung auch durchzusetzen.

Damit wird unter anderem ein Umstand von ver.di konkret thematisiert, den auch der VdM in der Kasseler Erklärung beschreibt: „Gleichzeitig haben sich bereits seit vielen Jahren die Anforderungen an den Beruf von Musikschul-Lehrkräften deutlich verändert und sind komplexer geworden: Die Felder Kooperationen mit Schulen und Kindertageseinrichtungen, Großgruppen-Unterrichten, Inklusionsangebote, digitalen Angebote, Programme aufsuchender pädagogischer Arbeit u.v.m. haben sich bisher in den Tarifstrukturen nicht niedergeschlagen.“ Der umfangreichen Tätigkeit an allgemeinbildenden Schulen und weiteren oben genannten Bildungseinrichtungen muss mit einer Höhergruppierung endlich, nach vielen Jahrzehnten, Rechnung getragen werden.

Ein dickes Brett

Jahrzehntelang haben wir uns als mangelverwaltende Musikschulleitende und Lehrkräfte von Pontius zu Pilatus schicken lassen – von der Kommune zum Land, vom Land zum Bund, vom Bund zur Kommune. Leere Kassen und aufgeteilte Finanzierungsmodelle lassen vom Brett, das wir für die Zukunft der Musikschulen bohren wollen, eher auf einen Mammutbaum schließen. Doch vielleicht haben wir uns in der Musikwelt auch zu lange damit beschäftigt, an den volkswirtschaftlichen Realitäten vorbeizusteuern und uns gegenseitig zu beharken. Nicht nur zielführend, sondern geradezu fabelhaft wäre es zwar, wenn die vom VdM geforderte Arbeitsgruppe zu den Tarifen der Musikschullehrkräfte beim Arbeitgeberverband gebildet würde. Dass wir aber letztendlich im operativen musikpädagogischen Feld immer Arbeitnehmer sind, deren gute Arbeitsbedingungen qua Tarifvertrag am Verhandlungstisch (und gegebenenfalls auch im Arbeitskampf, sprich Streik) entstehen und gesichert werden müssen, ist eine Lernaufgabe, zu der uns der VdM mit seiner Kasseler Erklärung neu auffordert. Statt die Gewerkschaft – sei es aus tradierten Milieu-Reflexen heraus oder aufgrund lange zurückliegender Geschehnisse – bei der gemeinsamen Gestaltung der Zukunft außen vor zu lassen, ist es an der Zeit, dass wir gemeinsam unsere Rollen intelligent nutzen. Um sich Ulrich Mädge (Pr.a.D.VKA) und Jörg Freese (LKT) anzuschließen: Wir müssen dringend an die Ressource einer aktiv tarifverhandelnden Gruppierung innerhalb der Musikschulen erinnern! Über die Aufbruchsstimmung und die deutlichen Handlungsaufforderungen vieler Akteure freuen wir uns als aktive ver.di-Musikschullehrkräfte daher, ebenso wie auf das Einander-Zuhören (vielleicht auch mal wieder mit ver.di auf einem Podium?) und das weitere Zusammenwachsen in der Familie der Musikschulinteressenvertretung!

Ort
Print-Rubriken
Unterrubrik