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Die Visionen von der Realität ausgebremst

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Musikschulkongress der IG Medien Fachgruppe Musik in der Musikhochschule Karlsruhe
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Unter dem Motto „Forum Musikschule – Perspektiven und Visionen“ hatte die Landesfachgruppe Musik der IG Medien am Samstag, 13. November, zum Musikschulkongress in die Musikhochschule nach Karlsruhe eingeladen. In den Arbeitsgruppen und in der abschließenden Podiumsrunde wurde um Visionen gerungen, aber den Teilnehmerinnen und Teilnehmern brannte die Realität doch stark unter den Nägeln.

Die Visionen von der Realität ausgebremst Musikschulkongress der IG Medien Fachgruppe Musik in der Musikhochschule Karlsruhe Baden-Württemberg präsentiert sich gerne als „Musterländle“. Kein anderes Bundesland hat so viele Preisträger beim Wettbewerb “Jugend musiziert“, freut sich der zuständige Referatsleiter im Kultusministerium Dr. Hartmut Brauswetter. Die Lehrkräfte finden die Arbeitsbedingungen an den Musikschulen gar nicht so mustergültig. Nach Jahren der Expansion sind die Musikschulen in diesem zu Ende gehenden Jahrzehnt zunehmend unter Druck geraten. Für die Musikschullehrerinnen und -lehrer an vielen Einrichtungen stieg der Arbeitsdruck und die Bezahlung hinkt hinterher. Keine optimalen Voraussetzungen für zukunftsweisende Visionen. Unter dem Motto „Forum Musikschule – Perspektiven und Visionen“ hatte die Landesfachgruppe Musik der IG Medien am Samstag, 13. November, zum Musikschulkongress in die Musikhochschule nach Karlsruhe eingeladen. In den Arbeitsgruppen und in der abschließenden Podiumsrunde wurde um Visionen gerungen, aber den Teilnehmerinnen und Teilnehmern brannte die Realität doch stark unter den Nägeln. Los ging es damit bereits beim Eröffnungsreferat der Vizepräsidentin der Kulturpolitischen Gesellschaft und Vorsitzenden der Wiesbadener Volkshochschule, Margarethe Goldmann. „Der Staat soll steuern, nicht rudern“, zitierte die ehemalige Wiesbadener Kulturdezernentin einen Slogan, mit „dem insbesondere die Kommunen versuchen, zu neuen Ufern aufzubrechen.“ Von der Suche nach wirtschaftlicher Effizienz und neuer Kundenzufriedenheit sei auch das Kulturressort nicht ausgeschlossen.

Die deutsche Wiedervereinigung 1990 habe nicht nur eine Wende für die Kulturpolitik gebracht, die sich in Haushaltskürzungen ausdrückte, sondern auch eine Revision von „Selbstverständlichkeiten“. Viele, die der Meinung waren, dass es selbstverständlich in den Städten und Landkreisen Musikschulen und Volkshochschulen als Einrichtungen der kulturellen Grundversorgung geben müsse und die öffentliche Hand eine Verantwortung trage, die sie nicht abgeben könne, seien in der Zwischenzeit eines Besseren belehrt worden.

So sei es heute wieder möglich, ohne dass es „dumm und peinlich ist, zu fragen, ob denn das ganze öffentliche Engagement für Kunst und Kultur so sein müsse, ob es denn überhaupt einen öffentlichen Auftrag für die Kulturförderung gebe oder ob das ganze nicht eigentlich das Privatvergnügen einiger meist besser gestellter Menschen sei, die sich das aus dem eigenen Portemonnaie gut leisten können?“

Noch nie in der Geschichte hätten so viele Kinder und Jugendliche Musikschulen, Kunstschulen, Lesenachmittage in Bibliotheken und Tanzstudios besucht. Auch bei Erwachsenen sei zu beobachten, dass Kurse an Volkshochschulen, Unterricht bei freien Künstlerinnen und Künstlern sowie Kreativurlaub hoch im Kurs stehen. „Kultur hat Konjunktur, aber wie ist das mit der Kulturpolitik?“

Der Städtetag formulierte in seiner Magdeburger Erklärung von 1995: „Die flächendeckende Kulturversorgung geht nicht nur an den finanziellen Möglichkeiten der Kommunen vorbei. Aus der „Kultur für alle“ kann nicht ein universeller Beglückungs- und Erziehungsanspruch abgeleitet werden.“ „Kultur für alle“, so Margarethe Goldmann, „stand für eine Politik der Chancengleichheit für alle. Diese kulturpolitische Haltung gilt heute als revisionsbedürftig, manche halten sie für gescheitert.“ Statt auf der unspezifischen Forderung nach „Kultur für alle“ zu verharren, empfiehlt die Referentin „eine plurale Kulturpolitik, die den innergesellschaftlichen Dialog fördert.“

Kapital „Mitarbeiter“

Für Kultureinrichtungen wie Musikschulen bedeute dies: eine Präzisierung des Leitbilds, die Operationalisierung von Zielen, die Konkretisierung von Zielgruppen, die Ausarbeitung eines ästhetischen und pädagogischen Profils und die Begründung für neue Kooperationen im Gemeinwesen.

Die Frage: „Welche Verantwortung hat der Staat künftig?“ beantwortet Margarethe Goldmann so, dass es für eine kooperative Kulturpolitik und ein neues Verständnis der Kulturverwaltung darauf ankomme, „Maßstäbe für Qualitäten und Entwicklungsrichtungen vorzugeben und sicherzustellen.“ Kulturpolitik bekomme eine neue Funktion als „Moderatorin innergesellschaftlicher Kommunikation“.

Die Frage nach wirtschaftlicher Effizienz greife in der kulturpolitischen Zielsetzung zu kurz. Die Kostendiskussion dürfe nicht von einer Qualitätsdiskussion losgelöst werden. Hinzu komme noch die Qualität der Vermittlung. „Die Musikschulen wie alle anderen kulturellen Einrichtungen, Initiativen und Projekte werden immer nur so nachhaltig wirksam sein wie ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Sie sind das eigentliche ‚Kapital‘, das je nach Bedingungen, die die Kulturpolitik schafft, hohe oder niedrige Verzinsung einbringen wird“, gab sie dem Kongress mit auf den Weg.

Nach dem Grundsatzreferat ging es in Arbeitsgruppen weiter. Die Arbeitsgruppe 1 machte sich mit Doris Giebeler vom Landesverband der Musikschulen Baden-Württemberg (im Hauptberuf Leiterin des Badischen Konservatoriums Karlsruhe) auf die Suche nach „Musikschulstrukturen der Zukunft“. Die Suche geriet schwierig, berichtete die Moderatorin Dietlind Uhlig. Die Vision lautete: „Musik selbstverantwortlich zu machen und zu vermitteln“. Mehr als sich darum zu bemühen war angesichts unterschiedlicher Befindlichkeiten nicht zu leisten. An die Kolleginnen und Kollegen wurde appelliert: „Die Entwicklung von Organisationsstrukturen, Veränderungen in Arbeitsstrukturen an der Musikschule können nur gelingen, wenn wir mit den Veränderungen bei uns selbst beginnen, angstfrei offen für Neues sind und politischer werden.“

Effizienz versus Pädagogik

In der Arbeitsgruppe 2 mit der Referentin Petra Schneidewind vom Institut für Kulturmanagement der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und dem IG-Medien-Sekretär Wolfgang Haupt ging es um „Effizienz versus Pädagogik?“. Musikschulen wurden als „System kausaler Abhängigkeiten“ definiert. Für die Leitung einer Musikschule würden daraus aber nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen, woraus sich dann ein „Defizit an Steuerungsmitteln“ ergebe. Die bisher üblichen Sparmethoden wie Budgetdeckelung oder Gruppenunterricht hätten jedenfalls vielfach nicht den gewünschten Einspareffekt gebracht. In der Diskussion zeigte sich, dass die bloße Aufdeckung der Kostenstrukturen mit betriebswirtschaftlicher Methodik zudem sehr zwiespältig sei: Einerseits könne sie die Akzeptanz der Musikschule fördern, andererseits wecke sie bei besonders sparwütigen Kommunen auch Begehrlichkeiten. Die Ausgangsfragestellung wurde daher als nicht korrekt erkannt. Richtiger sei die Formulierung „Effizienz nicht gegen, sondern durch Pädagogik“. Allerdings, wurde in Richtung Kommunen hinzugefügt, sei es problematisch, pädagogische Arbeit messen zu wollen.

Die Arbeitsgruppe 3 mit dem Referenten Prof. Dr. Werner Jank von der Musikhochschule Heidelberg/Mannheim und Nanny Drechsler von der Musikhochschule Karlsruhe setzte sich mit dem Thema „Musikstudium – Widerspruch zwischen Theorie und Praxis?“ auseinander. Hindernisse für die spätere Berufspraxis wurden in der „Zentralstellung des Hauptfachs“ gesehen, die zu einer „Entwertung anderer Ausbildungsinhalte“ führe. Der Studiengang biete eine künstlerische Ausbildung, das Handwerkszeug für Musiklehrer komme zu kurz. Auch die Gremienstrukturen der Hochschule bremsten Innovationen. Die neuen Studiengänge wurden als „Schwächung der Musikpädagogik“ bezeichnet. Das Konzept laufe auf eine „zweisemestrige pädagogische Schnellbleiche“ hinaus. Als wünschenswerte Perspektive wurde eine verstärkte Kooperation der Musikschulen mit den Musikhochschulen aufgezeigt.

Die Arbeitsgruppe 4 diskutierte die soziale Situation der Musiklehrer am „Arbeitsplatz Musikschule“. Unter der Moderation von Angelika Jähn zeigte Gaby Weidner vom Bundesfachgruppenvorstand Musik in ihrer Einführung auf, dass die Anstellungsbedingungen für Beschäftigte an Musikschulen so unterschiedlich wie in sonst kaum einem anderen Beruf sind: „Vollzeit, Teilzeit, geringfügig Beschäftigte, BAT, VKA-Richtlinien, freiberuflich, arbeitnehmerähnlich...“. Der Trend in den letzten Jahren ziele auf einen Abbau des sozialen Schutzes, in dem volle und feste Stellen in freie Arbeitsverhältnisse umgewandelt wurden. Ein Ende dieses Prozesses sei ebenso wie bei den Privatisierungstendenzen noch nicht erkennbar. Dass es große Unterschiede nicht nur bei den Vertragsverhältnissen, sondern auch bei den Arbeitsbedingungen an verschiedenen Musikschulen gibt, wurde in teilweise recht heftigen Diskussionen deutlich.

Die Vorsitzende der Landesfachgruppe Bärbel Libera eröffnete die abschließende Podiumsdiskussion zum Thema „Musikschulen – Privatvergnügen oder Kulturauftrag?“ mit einer eigenen Vision: „Die Politiker begreifen, dass sich ein Land über seine kulturelle Identität definiert“. Das führe dazu, dass Bildungsstätten und kulturelle Einrichtungen entsprechend gefördert werden. Dieser Vision einer heilen Welt setzte sie ihre persönliche Erwartungshaltung entgegen. Die Perspektive Bärbel Liberas lautet: „Von alledem tritt nichts ein. Es wird zwar keine einzige Musikschule zugemacht, aber es wird überall von allem etwas weniger.“

Die Vertreterin des Landesverbands der Musikschulen, Doris Giebeler, empfand diese Perspektive als „zu schwarz“. Für sie „hat die Musikschule Zukunft“, „offen in der Breite und auch die Qualität muss dabei sein“, schließlich könne man „nicht unbegrenzt umstrukturieren.“

Musiklehrer Arnold Sesterheim beglückwünschte Doris Giebeler – nicht ganz ohne Ironie – für die Situation in Karlsruhe. Andernorts könnten sich die Musikschulen ihrer Zukunft durchaus nicht so sicher sein. Als das eigentliche Problem bezeichnete er den „Mittelbau“. „Unterbau“ sind für ihn die Lehrerinnen und Lehrer, der OB ist der „Oberbau“. Dazwischen stehen die Schulleiter, Dezernenten und Kulturamtsleiter als problematischer Mittelbau.

Den am Vormittag in einer Arbeitsgruppe formulierten Anspruch, „politisch zu werden“, griffen die beiden „Politiker“ auf dem Podium („Politiker sind auch nur Menschen, mit denen kann man reden wie mit uns oder Ihnen“) gerne auf. Dr. Hartmut Brauswetter vom Kultusministerium und Norbert Brugger vom Städtetag Baden-Württemberg empfahlen den Musikschulen, die politisch Verantwortlichen geduldig und hartnäckig zu bearbeiten, auch wenn dies bedeute, „dicke Bretter zu bohren“.

Zwischen Markt und Bildung

Der Vertreter des Städtetags hatte auf dem Podium den schwierigsten Part, musste er doch immer wieder den Spagat vollziehen zwischen marktwirtschaftlichem Credo und seiner privaten Situation als Vater von Kindern, die „selbstverständlich die kommunale Musikschule besuchen“. Er erntete den heftigsten Widerspruch, als er den anwesenden Musiklehrerinnen und -lehrern empfahl, bei ihrem Tun als erstes Ziel den Erhalt der Musikschulen „und ihres Arbeitsplatzes“ im Auge zu haben, und dann erst versuchen zu wollen, ihre pädagogischen Ziele zu verwirklichen.

Ministerialrat Dr. Brauswetter hatte es als Vertreter des Fachreferats im Kultusministerium („und damit von Haus aus Verbündeter“ der kulturellen Einrichtungen) einfacher. Verantwortlichkeiten für die Misere der Musikschulen konnte er an die Gemeinden weiterreichen. Er kündigte eine Erhöhung der Landeszuschüsse an, was er als Signal für die Kommunen verstanden wissen wollte. Als „Chance für Musikschulen“ pries er das Modell der „verlässlichen Grundschule“ an. Es liege in der Hand der Kommunen als Schulträger, ob sie die Musikschulen in die zusätzlichen Betreuungsangebote für Grundschüler mit einbeziehen.

Bei dem letzten Punkt gab Prof. Werner Jank zu Bedenken, dass Anspruch und Realität der musikalischen Erziehung an der Grundschule weit auseinanderklaffen. Eine Wochenstunde Musik, und diese zu einem großen Teil fachfremd unterrichtet, sei ein Skandal. Dazu müsse noch bedacht werden, dass an den Grundschulen massenhaft Unterricht ausfalle. Ebenso wie Gabi Weidner und der Musiklehrer Arnold Sesterheim warnte Jank davor, die Musikschulen über den „Umweg verlässliche Grundschule“ als Lückenfüller zu missbrauchen.

Mit nach Hause nahmen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Karlsruher Musikschulkongresses die Gewissheit, dass sich der Arbeitsplatz Musikschule im Wandel befindet. „Zukunft“ bedeutet: neue Formen der Vermittlung zu suchen, neue Kunden und auch neue Angebote zu unterbreiten – und die Hoffnung, dass in Bezug auf die soziale Lage der Lehrkräfte an den Musikschulen endlich „ein Ende der Fahnenstange nach unten erreicht ist“, wie es Bärbel Libera formulierte.

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