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Ein Maulkorb für Musikschullehrer

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Macht und Musik: zwischen Bürgerbegehren, Bürgerentscheid und Abmahnung
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Die Stadt Lippstadt hat zirka 70.000 Einwohner. Die Musikschule befindet sich in einem Schulgebäude in der Mitte der Stadt. Dort werden zirka 1.000 Schüler von rund 45 Kollegen unterrichtet. Daß sich in diesem Umfeld politischer Widerstand zusammenbrauen könnte, gehört nicht in die Erfahrungswelt der Menschen. Im Dezember 1996 trifft die CDU im Rat der Stadt mit einer Stimme Mehrheit den Beschluß, die Musikschule vom Jahre 2.000 an aus der Innenstadt auszulagern in eine ehemalige britische Kaserne. Diese befindet sich etwa drei Kilometer außerhalb des eigentlichen Zentrums, was bei der vorhandenen Infrastruktur durchaus eine größere Entfernung bedeutet, zum Beispiel gibt es keine geeignete Busverbindung. Dahinter verbirgt sich die Absicht, das zur Zeit genutzte Gebäude und Grundstück (ein sogenanntes Filetstück) gewinnbringend zu veräußern. Unmittelbar nach der Ratsentscheidung formierte sich eine Bürgerinitiative „Kultur im Zentrum“, die beschließt, ein Bürgerbegehren1 durchzuführen. Zu dieser Initiative gehören Teile des Fördervereins der Musikschule, Eltern und Schüler sowie verdeckt auch Musikschullehrer, die als Privatpersonen in ihrer Freizeit die Initiative unterstützen, ohne namentlich in Erscheinung zu treten. Schon nach zwei Wochen zeichnet sich ab, daß die Menge der Unterschriften das „Muß“ bei weitem übersteigen wird. Trotz der zahlreichen Unterschriften nimmt der Rat der Stadt seine Entscheidung nicht zurück. Damit kommt es zu Stufe zwei des Verfahrens, den Bürgerentscheid2. Das heißt für die Bürgerinitiative vier Wochen Wahlkampf auf der Straße. Alle anderen Wahlkampfmittel scheiden aus finanziellen Gründen aus, Plakatwände (die jede Kommune für Wahlkämpfe lagert) verwehrt die Ratsmehrheit. Höhepunkt des Wahlkampfes soll ein musikalischer Umzug durch die Innenstadt sein, der mit „Pauken und Trompeten“ – es sind ja genügend Musiker und Schüler dabei – am Wahlwochende für das Anliegen werben soll. Dazu erscheint der WDR, der ortsansässige Lokalfunk sowie Printmedien. Wenn man die Qualität einer Idee an der Reaktion ihrer Gegner messen kann, muß die Bürgerinitiative Hervorragendes geleistet haben. Natürlich will man von seiten der Stadtverwaltung und der CDU (was hier fast identisch ist) möglichst jede politische Regung gegen sich im Keim ersticken. Und man greift sich den wundesten Punkt: Die Musikschullehrer, die in ihrer Rolle als Multiplikatoren Einfluß auf Eltern (Wähler) haben, andererseits als Angestellte im öffentlichen Dienst dem Mäßigungsgebot (§ 8 Abs. 1 BAT) unterliegen. Mit Erscheinen eines Leserbriefs zur Standortverlegung, der von Eltern und einigen ortsansässigen Musikschullehrern (ohne Nennung ihres Berufes) unterzeichnet wurde, erhalten alle Kollegen der Musikschule in Lippstadt einen Brief des Stadtdirektors als oberstem Dienstherrn, daß „städtische Angestellte in der öffentlichen Diskussion zur Zurückhaltung und Mäßigung verpflichtet sind“. Wenig später droht man: „Als Angestellte im öffentlichen Dienst steht es Ihnen nicht zu, dienstliche Anordnungen auf ihre Zweckmäßigkeit u.ä. zu untersuchen. ... Sie sind vielmehr verpflichtet, jede dienstliche Anordnung zu befolgen, sofern sie nicht gegen ein gesetzliches Verbot verstößt ...“. Inzwischen haben die gewerkschaftlich organisierten Kollegen Kontakt aufgenommen zu einem DGB-Rechtssekretär, der sie juristisch berät. Wie schon gesagt, die Musikschullehrer stehen nicht namentlich an vorderster Front, unterstützen aber privat die Anliegen der Bürgerinitiative. So ist auch zu erklären, warum eine Musikschullehrerin in Zusammenhang mit dem erwähnten musikalischen Umzug die formal nötige Meldung bei der Kreispolizei in Soest vornimmt und sich die schriftliche Bestätigung an ihre private Adresse schicken läßt – eine Arbeit, die sich außerhalb der Öffentlichkeit abspielt. Die Pressionen von seiten der Stadtverwaltung Lippstadt gipfeln, als man vom geplanten Umzug erfährt. Am Morgen (Samstag!) – der Umzug ist auf 11.00 Uhr terminiert – erhalten alle Musikschullehrer per Post einen Brief des Musikdezernenten, der seine Angestellten zu „absoluter Neutralität im Zusammenhang mit dem Bürgerentscheid“ aufruft. „Insbesondere ist jede Einflußnahme auf das Abstimmungsverhalten der Bürgerschaft zu unterlassen. Ich nenne hier jedwede Teilnahme an Kundgebungen sowie das Zurverfügungstellen von Instrumenten der Musikschule.“ Man geht davon aus, wo keine Musiker, da auch kein musikalischer Umzug. Dieser findet trotzdem statt, was der Pressesprecher der Stadt mit Fotos dokumentiert, die wo auch immer gelandet sind. Am Ende schießt die Stadtverwaltung ein Eigentor und sorgt damit unfreiwillig für noch mehr publicity: Der Bürgermeister (jetzt oberster Dienstherr) schickt eine Abmahnung. Wie auch immer war die an die Polizei in Soest gegangene Anmeldung des musikalischen Umzugs in die Hände der Verwaltungsspitze gelangt. Über Datenschutz wollen wir an dieser Stelle nicht spekulieren! Das Formblatt, auf dem die Privatadresse der Musikschullehrerin steht, wird mitsamt aller vorangegangenen „Vergehen“ zum corpus delicti. Nach einem mißglückten außergerichtlichen Versuch gütlicher Einigung erhebt die Gewerkschaft Klage. Erneut kommt es zu einem Versuch gütlicher Einigung, diesmal vor Gericht, den der Vertreter der Stadt ablehnt mit der Begründung „wir wollen ein Urteil“. Das Gericht fordert daraufhin eine detailliertere Begründung der Abstrafung. Damit wird der Kommunale Arbeitgeberverband beauftragt, der die Abmahnung unter anderem für gerechtfertigt hält, weil die betroffene Musikschullehrerin in ihrer Funktion „stadtweit“ bekannt sei und von daher auch in ihrer Freizeit dem Mäßigungsgebot unterliege. Das Verfahren endet mit einem Vergleich, demzufolge die Abmahnung aus der Personalakte der Betroffenen entfernt werden muß. Was für die Zukunft bleibt Beim Bürgerentscheid erhielt die Bürgerinitiative die Mehrzahl der abgegebenen Stimmen. Dennoch gilt er formal als verloren, da die Verfassung in Nordrhein-Westfalen vorsieht, daß ein Bürgerentscheid nur als gewonnen gilt, wenn sich 25 Prozent der Wahlberechtigten gegen den Beschluß aussprechen. Die Wahlbeteiligung in Lippstadt lag insgesamt nur bei 17 Prozent – kulturelle Probleme sind schwierig! Auf der anderen Seite ist die Musikschule nach wie vor im „alten“ Gebäude, für das zudem bisher kein Käufer gefunden werden konnte. Politisch sind die Ereignisse auch heute noch von Bedeutung. Mit „Kultur im Zentrum“ hat sich die Bürgerinitiative bewußt ein Motto gewählt, das nicht nur die Standortfrage der Musikschule meint, sondern auch und gerade die gesellschaftspolitische Dimension mit einschließt: Kunst und Bildung kosten mehr Geld als sie erwirtschaften, und öffentliche Trägerschaft garantiert, daß alle Menschen potentiell Zugang dazu erhalten. Kunst und Bildung sind kein Luxus, sondern geistige Notwendigkeiten, und eine Stadt zeichnet sich dadurch aus, daß sie sich dies leistet, nicht am Rande, sondern im Zentrum. Victoria Winster 1 Bürgerbegehren: Es werden Unterschriften gesammelt von mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten. Akzeptiert der Rat das Veto der Bevölkerung nicht, wird im Anschluß daran ein Bürgerentscheid durchgeführt. 2 Bürgerentscheid: Es gibt eine Wahlkampfphase wie bei einer Kommunalwahl mit anschließender geheimer Urnenwahl.
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