Als Vorsitzender der ver.di Bundesfachgruppe Musik begrüße ich den durch das Herrenberg-Urteil ausgelösten Paradigmenwechsel. Allzu lange haben sich kommunale Arbeitgeber*innen, aber auch private und e.V.-Musikschulen mit der Vergabe von Honorarverträgen einen schlanken Fuß auf Kosten der Lehrkräfte gemacht. Ergebnis war die Beschäftigung in Scheinselbstständigkeit zu Dumpinghonoraren.
Herrenberg läutet den Zahltag ein
Dabei ging es zu keinem Zeitpunkt um Qualitätssicherung innerhalb der musikalischen Bildung, sondern um Einsparungen. Und das, obwohl Musikpädagog*innen selbst in der tarifgebundenen Festanstellung unterbezahlt arbeiten. Gegenüber ihrem akademischen Grad und den erforderlichen Tätigkeiten sind sie seit Jahren tariflich zu gering eingruppiert. Die dramatische Konsequenz ist ein heruntergewirtschaftetes unattraktives Berufsbild „Musikpädagog*in“, das für einen gewaltigen Nachwuchsmangel sorgt.
Kehrtwende beim VdM: bei der Entwicklung des nordrhein-westfälischen Kulturgesetzbuchs lief man noch vehement Sturm gegen die von ver.di in das Gesetz eingebrachte Forderung, sozialversicherungspflichtige und tarifgebundene Beschäftigung als Grundlage der Förderungswürdigkeit von Musikschulen zu bestimmen. Jetzt hörte man auf der VdM-Hauptarbeitstagung in Wuppertal erfreulicherweise ganz andere Töne. Inzwischen teilt der Verband die ver.di-Position.
Zu den herrschenden Ängsten von Kolleg*innen: viele Freie sorgen sich infolge des Herrenberg-Urteils nun um ihre berufliche Zukunft. Ihnen möchte ich – als jemand, der sich lebenslang als selbstständiger Musiker durchgeschlagen hat – die Sorge vor der Festanstellung nehmen! Selbstverständlich unterliegt man in einer zu erwartenden Festanstellung der Weisungsgebundenheit des Arbeitgebers. Wer jedoch, wie die meisten Kolleg*innen von uns, in Teilzeit arbeitet, wird sich für seine lediglich anzeigepflichtigen freiberuflichen Konzertauftritte auch weiterhin Freiräume offenhalten können. Arbeitgebende können und dürfen keinen hundertprozentigen Zugriff auf Teilzeitbeschäftigte ausüben. Es gibt eindeutigen Verhandlungsspielraum, der künstlerisches Schaffen weiterhin ermöglicht. Um diesen vollumfänglich ausspielen zu können, empfehle ich meinen Kolleg*innen dringlich, sich schnellstmöglich in ver.di zu organisieren, um in den Betrieben verhandlungsfähig zu sein. Denn nur Gewerkschaft und Personalrat bieten Euch Schutz vor möglichen Übergriffen der Arbeitgeber*in. Je höher die Anzahl der Mitglieder vor Ort ist, desto durchsetzungsstärker sind die ver.di-Betriebsgruppen an der einzelnen Musikschule, und desto bessere Arbeitsbedingungen und -verträge können ausgehandelt werden. Hierzu lohnt sich übrigens auch ein Blick in das aktuell veröffentlichte Positionspapier der ver.di
Bundesfachgruppe Musik.
Die zahlreichen Unkenrufe verschiedener Zeitungen, dass mit dem Herrenberg-Urteil nun ein Zusammenbruch der musikalischen Grundversorgung einher gehen würde, sehe ich kritisch. Auch halte ich wenig davon, wenn von bestimmten Kräften ein Moratorium zur vorübergehenden Aussetzung des seit 2022 bekannten Urteils gefordert wird. Damit soll nur Zeit gewonnen werden, um sich gegenüber der Sozialversicherung neue Finessen auszudenken. Machen wir uns doch bitte ehrlich. Die Politik hat sich über Jahrzehnte davor gedrückt, das musikalische Bildungswesen solide zu finanzieren. Herrenberg läutet den Zahltag ein, an dem wir als Gesellschaft unsere Kommunal- und Landespolitiker*innen in die Verantwortung nehmen sollten, die musikalische Daseinsfürsorge endlich monetär abzusichern.
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