Fachgruppe Musik bundesweit Musikschullehrkräfte und private Musiklehrerinnen und -lehrer zu Einkommenssituation und Arbeitsbedingungen befragt. Das Ergebnis ist katastrophal: Die Situation hat sich erneut drastisch verschlechtert, die überwiegende Zahl der Lehrkräfte lebt unterhalb der Armutsgrenze oder ist von Armut bedroht.
Die Befragung ist die Wiederholung der Umfrage von 2008. Der Fragebogen wurde 2012 in den Bereichen „Einkommenssituation“ und „soziale Situation“ geringfügig aktualisiert, jedoch im Bereich „Kooperation mit allgemein bildenden Schulen“ erweitert. Es gingen Antworten von 5.271 Personen mit 6.871 Beschäftigungsverhältnissen ein. Damit hat sich der Rücklauf – auch dank der Unterstützung durch die Verbände – gegenüber 2008 fast verdreifacht.
Eigentlich sollte 22 Jahre nach der Wiedervereinigung die Aufsplittung der Ergebnisse in alte und neue Bundesländer und Berlin aufgegeben werden. Leider zeigte sich aber ein Weiterbestehen der starken Unterschiede in Ost und West, sodass die getrennte Betrachtung aufrechterhalten werden musste. War die Situation der Lehrer 2008 schon besorgniserregend, hat sich jetzt sowohl die soziale als auch die finanzielle Situation nochmals deutlich verschlechtert. Eine feste Beschäftigung mit einer Vollzeitstelle als Musikschullehrerin oder Musikschullehrer ist die absolute Ausnahme, wobei Berlin mit nur 0,9 Prozent Vollzeitstellen einen negativen Rekord aufstellt. In den alten Ländern arbeiten 8,8 Prozent und in den neuen Ländern 11,2 Prozent der Befragten in einer Vollzeitstelle.
Bundesweit werden mittlerweile 58 Prozent der Lehrkräfte als freie Mitarbeiter beschäftigt (2008 waren es noch 45). Auch hier bildet Berlin mit 94,2 Prozent freien Beschäftigungsverhältnissen das Schlusslicht (2008: 78 Prozent). Im Osten hat sich die Situation mit 75,4 Prozent freien Beschäftigungsverhältnissen gegenüber 2008 (60 Prozent) erheblich verschlechtert. Im Westen ist der Trend zur freien Mitarbeit noch deutlicher zu beobachten. Während 2008 nur 34 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse mit Freien bestanden, sind es 2012 bereits 51 Prozent. Das vom VdM angestrebte Ziel, mit 70 Prozent Festangestellten zu arbeiten, wird nirgends erreicht.
Auch die Jahreshonorare der vielen Freien haben sich deutlich verschlechtert. Verdiente ein freier Mitarbeiter 2008 im bundesweiten Durchschnitt noch 13.330 Euro, so sank dieses Einkommen auf jetzt gerade noch 12.404 Euro jährlich. Um dieses Einkommen überhaupt zu erzielen, benötigen die freien Musikschullehrkräfte durchschnittlich 1,4 Beschäftigungsverhältnisse. Mehr als jede dritte Musikschullehrkraft arbeitet in zwei oder mehr Beschäftigungsverhältnissen (2008 war es nur jeder vierte).Das entspricht keineswegs den Wünschen der Musikschullehrkräfte. 77 Prozent der befragten Freien an Musikschulen gaben an, sich eine feste Stelle entweder als Voll- oder als Teilzeitbeschäftigung zu wünschen. Auch die Tatsache, dass 52 Prozent angaben, aus finanziellen Gründen gerne mehr unterrichten zu wollen, zeigt die verzweifelte Lage, in der sich die Lehrkräfte befinden. Da jedoch zugleich 53 Prozent angaben, es bestehe Schülermangel oder die Musikschule biete nicht mehr Stunden an, ist die Situation häufig ausweglos.
Ein weiteres Problem, das bereits bei der Umfrage 2008 sichtbar wurde, ist der durch die Ganztagsschule verlängerte Unterricht an den allgemein bildenden Schulen. Bereits 2008 gaben 63 Prozent der Lehrer an, dadurch organisatorische Probleme zu bekommen. Bei der aktuellen Umfrage hat sich diese Zahl mit 78 Prozent stark erhöht. Sollten nicht bald geeignete Modelle für eine bessere Verzahnung von Ganztagschule und Musikschule entwickelt werden, wird musikalische Bildung an Musikschulen wohl zum Auslaufmodell werden.
Die Rolle der KSK
Neben der schlechten Bezahlung müssen die vielen freiberuflichen Musikschullehrkräfte auch bei der sozialen Sicherheit mit äußerst schlechten Bedingungen zurechtkommen. Ein Drittel der Beschäftigten hat nur befristete Verträge, und die Kündigungsfristen sind überwiegend kurz: 69,5 Prozent der freiberuflich Tätigen gaben Kündigungsfristen von sechs Wochen oder weniger an, und nur 10,4 Prozent haben sechs Monate Kündigungsfrist. Auch eine Krankheit wird für die meisten freien Lehrkräfte schnell existenzgefährdend, da nur 13,1 Prozent eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erhalten. An dieser Stelle steht Berlin ausnahmsweise positiver da als die anderen Regionen. In Berlin gaben 36,7 Prozent der Befragten an, eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu erhalten (übrige Länder acht bis neun Prozent).
Ein großer Teil der Befragten ohne Festanstellung ist durch die Künstlersozialkasse kranken- und rentenversichert (77,9 Prozent). Allerdings ist diese Absicherung nur eine Minimalabsicherung. Aufgrund der extrem niedrigen Jahreshonorare liegen auch die Rentenerwartungen unterhalb des Existenzminimums. Aber auch die Krankenversicherung ist nicht gut auf die Bedürfnisse freiberuflicher Musiklehrerinnen und Musiklehrer ausgerichtet, da das Krankentagegeld bei Versicherten der KSK erst ab dem 43. Tag einer Erkrankung gezahlt wird. Diese Regelung, die für fest Angestellte mit sechs Wochen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ausgelegt ist, ist für freie Mitarbeiter ohne Lohnfortzahlung verheerend.
Erwartungsgemäß bestehen die meisten Beschäftigungsverhältnisse (69 Prozent) mit öffentlichen Musikschulen. Private Musikschulen betrafen zwölf Prozent der Beschäftigungsverhältnisse; 19 Prozent der Fragebögen kamen von Privatlehrern zurück. Der größere Teil des Privatunterrichts wird dabei von Lehrern erteilt, die auch an einer öffentlichen Musikschule unterrichten. Nur 45 Prozent arbeiten ausschließlich als Privatlehrer. Das Jahreshonorar dieser Privatlehrer war im Durchschnitt mit 12.630 Euro weitgehend identisch mit den Jahreshonoraren der übrigen freien Mitarbeiter. Bemerkenswert ist, dass auch der Wunsch nach einer Festanstellung in dieser Gruppe nur geringfügig niedriger (65 Prozent) ist, als bei den freien Mitarbeitern von Musikschulen.
Der Beruf „Musikschullehrer“ ist tendenziell ein Frauenberuf. 55,4 Prozent der Befragten sind weiblich (44,6 Prozent männlich). Bei dieser Situation ist es besonders problematisch, dass es für freie Mitarbeiterinnen an Musikschulen nahezu nirgends (3,1 Prozent) Mutterschutz gibt. Besonders überraschend ist jedoch die Tatsache, dass Frauen bei Vollzeitstellen extrem benachteiligt sind. Obwohl die Frauen unter den Befragten deutlich in der Mehrheit sind, sind über 60 Prozent der Vollzeitstellen von Männern besetzt. Das bedeutet, dass auf eine Frau mit einer Vollzeitstelle 1,9 Männer mit Vollzeitbeschäftigung kommen. Diese Ungleichheit kann nicht auf den Wunsch der Frauen zurückgeführt werden, denn der Anteil von Frauen, die sich eine Vollzeitstelle wünschen, war mit 34,6 Prozent sogar höher als bei den Männern (32,3 Prozent).
Auch das Jahreshonorar von freien Mitarbeiterinnen an Musikschulen ist mit 12.102 Euro noch niedriger als bei den Männern (12.795 Euro). Da sich die Stundenhonorare jedoch nicht unterscheiden, liegt diese Differenz daran, dass Frauen weniger unterrichten. Dabei gaben Frauen mit 54,3 Prozent häufiger als Männer (47,9) an, aus finanziellen Gründen mehr unterrichten zu wollen.
Im zweiten Teil der Erkundigung wurde nach den Erfahrungen mit Kooperationen zwischen Musikschulen und allgemeinbildenden Schulen gefragt. Hier zeigt sich, dass die überwiegende Mehrheit der Befragten solchen Kooperationen positiv gegenübersteht. Nur 9,7 Prozent aller Befragten gaben an, diese Unterrichtsform abzulehnen. Die Zahl derjenigen Befragten, die in einer Kooperation arbeiten, ist mit 39,6 Prozent gegenüber der Befragung 2008 (30) weiter gestiegen. Die Bedingungen der Kooperation werden heute gegenüber 2008 günstiger gesehen. Die Organisation wurde zu 62 Prozent (2008: 52) positiv beurteilt. Die Zusammenarbeit mit den Lehrern der allgemeinbildenden Schule wurde von 62 Prozent (2008: 55) und die räumlichen Bedingungen von 51 Prozent (2008: 48) der Befragten positiv beurteilt. Auch die Bezahlung weckt mehr Zufriedenheit: 35 Prozent 2008, heute 44 Prozent. Diese Werte bedeuten jedoch umgekehrt, dass über die Hälfte der Befragten mit der Bezahlung nicht einverstanden ist. Auch bei den übrigen Bedingungen sollte die große Zahl derjenigen, die sich eher negativ geäußert haben, nicht übersehen werden.
Leider hat noch kein Umdenken im Hinblick auf die nötige Qualifikation der Musikschullehrer, die in Kooperationen unterrichten, stattgefunden. Der Anteil von Musikschullehrern, die eine vom Arbeitgeber finanzierte Qualifizierung erhalten haben, liegt mit nur 44,5 Prozent nicht wesentlich über dem Ergebnis von 2008 (41 Prozent). Alarmierend ist, dass inzwischen 16,4 Prozent der in einer Kooperation Tätigen den regulären Schulmusikunterricht ersetzen (2008: 13 Prozent). Zusammenfassend ist festzustellen, dass Vieles im Vergleich zur Umfrage 2008 schlechter geworden ist, sich jedoch nahezu nichts verbessert hat. Obwohl viele Politiker den Eindruck vermittelten, die Probleme tatsächlich erkannt zu haben, wurden keinerlei Schritte zur Verbesserung der prekären Situation der Lehrkräfte unternommen. Die weitere Zunahme der freien Mitarbeiter an Musikschulen zeigt, dass offensichtlich in erster Linie auf Kostensenkungen geachtet wird, obwohl die Anforderungen ständig steigen. Dabei wird das Engagement der Lehrkräfte gerne ausgenutzt: 68 Prozent der freien Lehrkräfte an Musikschulen leisten im Schnitt 3,4 Stunden unbezahlte Zusatzarbeit pro Monat.
Rettungsschirm benötigt
Von der enormen Bedeutung, die der musikalischen Bildung in Sonntagsreden gerne zugewiesen wird, spüren Lehrkräfte nichts. Dabei zeigt die zunehmende Verbreitung von Kooperationsprojekten wie JeKI, JEKISS und anderen, dass ein enormer Bedarf an qualifizierten Lehrkräften besteht. Dabei könnte gerade die Zunahme der freien Beschäftigung an Musikschulen diese Projekte erheblich gefährden. Während bei der normalen Musikschularbeit durch entsprechende Verträge der Nachweis einer Scheinselbständigkeit unter Umständen verhindert werden kann, dürfte dies in Kooperationen, bei denen Lehrer weder den Ort noch den Zeitpunkt oder die Schüler selbst auswählen können, zunehmend schwieriger werden.
Wenn die Slogans von der Bildungsrepublik und dem Kulturland Deutschland ernst gemeint wären, müssten die, die diese Ideen umsetzen, angemessen behandelt werden. Deutschland benötigt dringend einen Rettungsschirm für seine musikalische Bildung.