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Lotterie statt Lohn

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„Musikschule Intern“ empfiehlt bemerkenswertes Prämiensystem
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Auf Seite sieben der Ausgabe 2/2014 der Zeitschrift „Musikschule Intern“ erschien ein bemerkenswerter Artikel zum Thema „Mitarbeitermotivation“. Ein Musikschulleiter fragt darin das „Musikschule Intern“-Team um Rat bezüglich des häufigen Fehlens von Lehrkräften wegen Krankheit oder diverser Auftritte.

Was also antworten auf diese Frage: „Bei uns gibt es immer wieder Honorarkräfte, die wegen Krankheit oder diverser Auftritte sehr oft fehlen und unserem Büro sehr viel zusätzliche Arbeit bescheren. Wir würden gern die Lehrkräfte, die jede Woche regelmäßig zum Unterricht kommen, mit einer Art Anwesenheitsprämie belohnen. Ist das überhaupt zulässig (sie sind ja nicht angestellt) und wenn ja, wie könnte so etwas aussehen?“ – Bemerkenswert ist der Artikel deshalb, weil er ein faszinierendes Menschenbild und Fachkompetenzniveau bezüglich Mitarbeitermotivation nicht nur eines ratsuchenden Musikschulleiters, sondern auch der MSI-Redaktion offenbart. Diese rät dem Musikschulleiter nämlich zum Motivationsmittel einer „Leistungsprämie“, die der Schulleiter denjenigen Lehrkräften zahlen sollte, die sich über das normale Maß des Unterrichtens hinaus engagieren, zum Beispiel für Schülerkonzerte oder Konferenzen. Diese Prämie soll jedoch unregelmäßig und in immer unterschiedlicher Höhe ausgezahlt werden, da sonst ein einklagbares „Gewohnheitsrecht“ entstehen könnte. Mit anderen Worten: Lehrer sollen nicht für Zusatztätigkeiten – also eine Arbeits-leistung, die im TVöD unter „Zusammenhangstätigkeiten“ firmiert, – angemessen entlohnt werden, sondern sich an einem Prämien-Lotteriespiel beteiligen. Die „Motivation“ besteht also darin, dass Lehrer hoffen, nach der Teilnahme an x Konferenzen oder Schülerkonzerten eine Prämie in unbekannter Höhe ausgezahlt zu bekommen – oder eben auch nicht oder nur manchmal.

Diese Antwort führt immerhin die Gründe für das Fehlen der Lehrkräfte an (Krankheit oder Auftritte), reflektiert diese aber überhaupt nicht. Wenn Mitarbeiter lieber ihren Auftritten nachgehen als zu unterrichten, was sagt uns das über die Lehrkräfte, und welche Wirkung hierauf hätte wohl eine unregelmäßig ausgezahlte Prämie in unbekannter Höhe? Erste Annahme: Möglicherweise sind Lehrkräfte, die wegen Auftritten oft fehlen, in ihrer Selbstwahrnehmung eher Künstler als Pädagogen. Wenn das so ist, wird eine Anwesenheitsprämie sie nur dann „motivieren“ können, wenn sie sich in wirtschaftlicher Not befinden und die Prämie höher ist als die durch einen Auftritt zu erwartende Gage. Zweite Annahme: Die Lehrkräfte sehen sich vorrangig als Künstler, die nur deshalb an einer Musikschule unterrichten, weil sie nicht genügend Auftritte haben, um davon leben zu können und das Unterrichten als notwendiges „Zubrot“ betrachten. Dafür haben sie bewusst den Status als Honorarkraft gewählt, um jederzeit das tun zu können, was ihnen der Markt an interessanten Möglichkeiten bietet. Diese Lehrkräfte werden vermutlich nur mit einer extrem hohen Prämie zum regelmäßigen Unterrichten zu bewegen sein, wenn überhaupt. Dritte Annahme: Vielleicht sind die Lehrkräfte überzeugte Pädagogen, brauchen jedoch Geld und sehen sich deswegen gezwungen, einem besser bezahlten Auftritt nachzugehen, bei dem sie im Gegensatz zu einer – noch dazu unregelmäßig gezahlten – Prämie von vornherein wissen, wie hoch die Gage ist. Denn auch wenn viele Musikschullehrkräfte inzwischen Wanderarbeiter sind, haben die meisten doch immer noch einen festen Wohnsitz, für den sie tatsächlich regelmäßig Miete zahlen müssen. Da wäre es schon gut, zu wissen, wie viel man am Ende des Monats tatsächlich haben wird.

Über die Motivation zum Unterrichten könnte natürlich ein Mitarbeitergespräch Aufschluss geben, und der Musikschulleiter kann aufgrund dieses Gespräches überlegen, inwiefern er Lehrkräfte, die sich vorrangig als Künstler verstehen, überhaupt an seiner Schule beschäftigen will.

Was sagt nun die Idee aus, wegen Krankheit oft fehlende Lehrkräfte durch eine unregelmäßige Anwesenheits-Prämie für die Gesunden zu „motivieren“? Im Klartext bedeutet das: Geht zum Unterrichten, egal wie krank ihr seid! Was für eine Wertschätzung offenbart hier ein Musikschulleiter gegenüber seinen Beschäftigten.

Die MSI-Redaktion rät dann aber doch davon ab, Lehrer aus gesundheitlichen oder beruflichen Gründen zu benachteiligen. Stattdessen eben: Motivation durch Zusatz-Prämien.

Dieser Rat der MSI-Redaktion ist im Mittelalter der Motivationspsychologie angesiedelt. Die entscheidenden Faktoren für die Motivation sind nämlich nicht die Ausnutzung wirtschaftlicher Not und die Schaffung unvorhersehbarer und unsicherer „Anreize“ (die prekäre Situation der meisten Musikschullehrkräfte dürfte auch der MSI-Redaktion bekannt sein), sondern motiviert zu arbeiten, hängt von den Antrieben und Zielen der Mitarbeiter und der Wertschätzung durch den Arbeitgeber ab. Fehlende Anerkennung im Job ist der Motivationskiller Nummer Eins. „Ein wichtiger Schlüssel für die Lust auf Leistung ist das Wohlbefinden. Das entsteht, wenn der Berufstätige bei der Arbeit gute Gefühle hat oder die zwischenmenschlichen Beziehungen am Arbeitsplatz und die Anerkennung durch den Chef stimmen“, schreibt dazu Anja Schreiber in der Berliner Zeitung in der Rubrik „Karriere“. Das bedeutet, die Kunst der Mitarbeiterführung liegt im Aufbau einer stabilen emotionalen Beziehung zwischen einem Unternehmen und den Mitarbeitern. Je stabiler die Bindung, desto engagierter sind die Mitarbeiter. Zusatzprämien wirken höchstens kurzfristig.

Wertschätzung äußert sich in unserer Gesellschaft auch in der finanziellen Anerkennung der Arbeitsleistungen, die durch die Mitarbeiter erbracht werden. Hat ein Mitarbeiter das Gefühl, nicht gerecht entlohnt zu werden, gerät er in einen Zustand, der in der Psychologie als „Gratifikationskrise“ bezeichnet wird.

Der Begriff stammt von dem Schweizer Medizinsoziologen Johannes Siegrist. Nach dem von ihm entwickelten Modell erkranken Menschen, wenn sie sich stark verausgaben und dafür nicht angemessen entschädigt werden. Wird der eigene Einsatz einer Person (z.B. Engagement, Wissen, Zeit, Identifikation, Leistung) nicht so entlohnt (z.B. durch Lohngerechtigkeit, Arbeitsplatzsicherheit, Weiterbildungs-, Karriere- und Einflussmöglichkeiten), dass sich die betreffende Person angemessen behandelt fühlt, entsteht ein Erkrankungspotenzial. Eine Gratifikationskrise stellt eine schwere psychische Belastung dar, die sowohl zu psychischen als auch körperlichen Erkrankungen führen kann. Eine Gratifikationskrise kann also auch zu mehr Fehlzeiten wegen Krankheit führen.

Liebe MSI-Redaktion, lieber ratsuchender Musikschulleiter aus B., der Bundesvorstand der Fachgruppe  Musik empfiehlt: Lohn statt Lotterie. Wie wäre es mit regelmäßiger, angemessener Bezahlung und sozialer Absicherung als „Motivationshilfe“ und „Wohlfühlfaktor“? Zusätzlich empfehlen wir Euch ein Selbst-Experiment: Alle Musikschulleiter an privaten Musikschulen sollten künftig eine unregelmäßige Prämie statt eines regelmäßigen Schüler-Entgelts erhalten, und zwar immer dann, wenn die Schüler mit dem Unterricht besonders zufrieden waren. Natürlich in unterschiedlicher Höhe und unregelmäßig, um den Gewinn der Musikschule nicht zu sicher werden zu lassen.

Und bitte beschäftigt Euch mit dem weiten Feld der Motivationspsychologie und Arbeitsmedizin. Behaviorismus ist wirklich mega-out. Für weitere Ratschläge stehen wir gern – gegen ein angemessenes Entgelt – zur Verfügung.

Anja Bossen für den Bundesvorstand der Fachgruppe Musik

Literatur

 

1 Schreiber, A. (2014): Motiviert zu arbeiten, hängt von Zielen und Antrieben ab. Berliner Zeitung vom 5./6. Juli 2014, S. S1

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