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Neulich bei Aldi

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Kulturpolitik von der Palette
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Wahrhaben wollen wir es nicht. Im tiefsten Herzens wissen wir es seit langem. Wenn Ketzer es herausposaunten, hörten wir weg. Jetzt aber ist es offensichtlich: Die Sozialdemokratisierung der Kultur kann man nur ein Desaster nennen. Inzwischen ist es ein Gemeinplatz: Sozialdemokratie und Kultur schließen einander aus. Was die Genossen (darf man das eigentlich noch sagen?) in 100 Jahren (Fatalismus macht großzügig) nicht hinbekamen und wohl auch längst nicht mehr wollen (Bochum!), liegt jetzt komplett auf den Paletten bei Aldi.

Zugegeben, die Bekehrung der Altachtundsechziger gestaltete sich langwieriger als von den Albrecht-Brüdern gedacht. Sie lief auch nicht über den Verstand. Sie lief über den Bauch mit Schampus, kaltgepresstem Olivenöl und Kaviar samt Kochbuch. Heute hat das Aldi-Kochbuch eine höhere Auflage als der komplette Bebel. Den halten manche Sozialdemokraten für den Produzenten einer goldenen Taschenuhr, die nach irgendeinem unerklärlichen Ritual weitergereicht wird. Angeblich soll es bei den Sozialdemokraten auch noch ein Programm geben. Genaues weiß man nicht. Deshalb lässt Aldi gerade in rotes Kunstleder gebundene Bücher in die Verkaufshallen schieben. Kramt man erfolgreich nach der Lesebrille, entdeckt man, dass da nicht „Bebel”, sondern „Bibel” draufsteht. Aber die Stiftung Warentest hat soeben bekannt gegeben, dass sie das Buch mit „gut” bewertet, ebenso die signierten Grafiken namhafter Künstler, die im Rahmen für weniger weggehen als eine Museumseintrittskarte in manch einer sozialdemokratisch geführten Kommune kostet.

„Sehr gut” müsste die Stiftung Warentest als Prädikat für die Noten vergeben, die Aldi derzeit ebenfalls anbietet. Es handelt sich zwar um gut abgehangene Werke, die der Programm-Computer beständig für Sendungen wie „Klassik zum Frühstück” ausspuckt, immerhin sind sie so jedoch öffentlich-rechtlich und gehören zur Grundversorgung der Bevölkerung. Blöde ist nur, dass immer weniger Kommunen die Grundversorgung der Bevölkerung mit Musikschulunterricht anbieten. Oder sie haben die Gebühren für den Musikschulunterricht derart verteuert, dass man sich bei Aldi zwar die Noten leisten kann und ein Klimperding für 99,99, jedoch nicht den Unterricht, um spielen zu können. (Lesen kann man sie seit Pisa ja schon gar nicht.) Ein echtes Dilemma also. Der Ruf nach der Politik, zumal der sozialdemokratischen, wäre vergeblich. Selbst wenn Lidl demnächst Klaviere (aus Rumänien? Stiftung Warentest vermutlich garantiert „sehr gut”) anbieten sollte und der toom-Baumarkt (Rewe) Blockflöten aus Echtholz (made in Vietnam), würden die Politiker „keinen Handlungsbedarf” erkennen: Preiswerte Noten – Musikschulen als kommunale Pflichtaufgabe? I wo!

Wir müssen wohl auf den guten Namen von Aldi bauen und so lange warten, bis der Discounter irgendwann Politiker im Angebot führt. „Made in Germany” werden die nicht sein, sozialdemokratisch schon gar nicht. Eins aber ist gewiss: Die Schlangen vorm Aldi werden die Zahl der Wähler bei manchen Kommunalwahlen um Längen übertreffen.

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