Ein anderes Projekt: In Feßmanns Studio, dessen Wände dicht mit grafikähnlichen Notationsversuchen seiner neuen Tonsprache behängt sind, steht seit einiger Zeit ein Reißbrett. Das Blatt darauf ist eine dynamisch spannungsreiche Skizze, so dass man hinzutritt, um zu erkunden, was das denn sei. „Ein Plan für einen Klangpark“, erklärt er, „wir wollen hier in der Nähe Tübingens auf drei bis vier Hektar solch einen Park einrichten. Die Besucher laufen über klingende Steine und zwischen verschieden gestalteten Wänden hindurch. Die akustischen Wirkungen dieser Schwingungen sind für die Forschung völliges Brachland.“
Jüngst ist Klaus Feßmann von Salzburg aus in eine Linzer Klinik für Gehörlose gefahren und hat dort – eingeladen vom Chefarzt – einen seiner Klangsteine aufgestellt. Als er zu spielen begann, fielen die Patienten in eine solche Unruhe, dass der Arzt den Professor vom Mozarteum um den sofortigen Abbruch des Versuchs bat. Der Arzt war über die Wirkungen ungewiss, aber Feßmann glaubt immer noch an das nicht abzuschätzende medizinische wie akustische Potenzial, das dieses Klangphänomen birgt. Ein anderes Projekt: In Feßmanns Studio, dessen Wände dicht mit grafikähnlichen Notationsversuchen seiner neuen Tonsprache behängt sind, steht seit einiger Zeit ein Reißbrett. Das Blatt darauf ist eine dynamisch spannungsreiche Skizze, so dass man hinzutritt, um zu erkunden, was das denn sei. „Ein Plan für einen Klangpark“, erklärt er, „wir wollen hier in der Nähe Tübingens auf drei bis vier Hektar solch einen Park einrichten. Die Besucher laufen über klingende Steine und zwischen verschieden gestalteten Wänden hindurch. Die akustischen Wirkungen dieser Schwingungen sind für die Forschung völliges Brachland.“Allen vorschnellen Eindrücken zum Trotz: Klaus Feßmann ist kein Quentchen esoterisch angehaucht. Mit Fragen der Notation plagen sich Musiktheoretiker und Komponisten – und Feßmann ist beides – spätestens seit John Cages komplexen musikalischen und interdisziplinären Antworten auf die Gegenwart herum. Bei Feßmann, Jahrgang 1951, sind diese Versuche durch die Materie Stein besonders determiniert: Einerseits wird auf den Instrumenten, bedingt durch das Material, nur obertonfrei musiziert. Was heißt, man kann auf ihnen nur Sinus-Töne erzeugen. Diese Töne lassen sich durch Schlagen und Bogenstriche, aber am differenziertesten durch das kreisende Reiben mit den Händen erzeugen. Zudem entwickelt sich der Klang mehrdimensional. Andererseits kann durch die Molekularstruktur des Materials nur theoretisch berechnet werden, welcher Ton sich erzeugen lässt.Die Praxis ist immer ein wenig anders als die Theorie. Feßmann musiziert auf Steinen, die wie Travertin, Granite, Basalt, Marmor oder Serpentinit vor Millionen Jahren Schmelzprozessen und unvorstellbarem Druck ausgesetzt waren, die aber in ihrer Struktur, etwa Einschlüssen, Zusammensetzungen jeweils einzigartige Materie sind. Ein Travertin aus dem Engadin etwa klingt anders als einer aus Skandinavien. Ein kalter Stein anders als ein „wohltemperierter“. Ein trockener besser als ein feuchter: In Feßmanns Komponisten-Werkstatt sieht man tatsächlich Steine „schwitzen“, und es erinnert an die Schweißperlen auf der Glatze eines Menschen. Und Klangsteine brauchen zudem mehr Ruhe als Menschen: Nach einem Transport sollten schon ein, zwei Tage bis zum Konzert vergehen.
Ein Geheimnis, das wohl nie vollständig entschlüsselt werden kann, dem man sich nur nähert. So, wie der gesamten Stein-Musik immer etwas Mystisches anhaften bleiben wird. – Töne, die unter den mit Wasser befeuchteten Händen des Komponisten und Interpreten aus dem Nichts zu kommen scheinen, die sich über ein Crescendo zu einem überwältigenden, choralhaften Raumklang entwickeln, der unter den Händen des Spielers – Feßmann ist studierter Pianist – von minimalen Tonbewegungen gefüllt wird. Schwingungen, die Spieler wie Hörer geradezu physisch erfassen.
Verbale Krücken
Nach einer länger zurückliegenden Begegnung mit Klaus Feßmann schrieb ich einmal, der Klang seiner Steine sei Bordun-ähnlich. Dieser Vergleich ist bei intensiverer Beschäftigung eine verbale Krücke, weil er sich auf etwas vom Spieler abgelöst Mechanisches bezieht. Auch das Glasharfenhafte des Klangs, das Komponisten, Interpreten und Hörer seit der Mozart-Zeit faszinierte, präzisiert die Beschreibung nicht wesentlicher. Mir drängen sich heute eher Vergleiche zur Musik australischer Ureinwohner oder tibetanischer Mönche auf.
Dass Steine klingen können, wussten schon die alten Chinesen. Früheste archäologische Jade-Funde sind in die zweite Shang-Dynastie, also 1350 bis 1050 vor Beginn unserer Zeitrechnung datiert worden, ganze Klang-Stein-Spiele sollen – Angaben des Archäologischen Museums in Toronto zufolge – 900 Jahre v.Chr. entwickelt worden sein. – Unter Mühen und gewiss religiös-philosophischer Bestimmung. Auf der einen Seite stand die beachtliche Erkenntnis des ehrwürdigen Konfuzius, dass man an der Musik eines Volkes Aufstieg oder Niedergang der Gesellschaft erkennen könne. Auch die andere Seite fand Feßmann bei seinen Forschungen heraus. Dass nämlich damals demjenigen der Schnitt durch die Kehle drohte, der einen Klangstein beschädigte. Aber nicht nur in China, auch in der Megalith-Kultur und im uralten christlichen Denken nahm die Stein-Mystik zentrale Rollen ein. Die Menhiren-Denkmäler sind immer noch ein Rätsel und werden, am plausibelsten durch huldigende Ordungsprinzipien erklärt. Ohne Zweifel sind jedoch die urchristlichen Hinterlassenschaften, verbunden mit einer Tiersymbolik, eindeutig akustisch determiniert. Dafür sprechen Forschungen in den Kreuzgängen von San Cugat und Gerona: Ganze Tonskalen werden hier „sichtbar“, wenn man den Lichteinfall beachtet und Forschungsergebnisse zu Grunde legt, wonach etwa ein Tiger für das „F“ steht, ein Pfau am Tage für das „G“, in der Nacht aber für das „A“. Andere Tier-Skulpturen deuten auf Pausen und Stimmungen hin. Ein weites Feld.
Feßmann ergründete dieses Feld freilich erst im Lauf der letzten zehn Jahre. Zuerst stieß er durch einen Bildhauer auf das akustische Phänomen „Stein“: Elmar Daucher am Federsee hatte wiederentdeckt, dass Steine klingen. Als Feßmann davon hörte, war der Bildhauer allerdings bereits tot, und die Erben verwahrten die Erkenntnis wie ein Geheimnis. Feßmann sah schließlich Steine, „die als Skulpturen großartig, aber vom Klang her furchtbar“ waren.
Von Dauchers Experimenten war Feßmann jedoch regelrecht gefangen. „Wie kann ich den Klang weiterdenken? Wie wird er sich und durch welche Bewegung winden, wie blühen, verstimmt sein oder strahlen ?“, fragte er sich. Vor zehn Jahren, während eines Urlaubs im Engadin, traf er auf einen Steinbruch-Besitzer, der „Ja“ sagte auf Feßmanns Frage „Könnten Sie mir den Block sägen?“ Die Diamantsäge schnitt sich – „furchtbares Geräusch“– in seinen ersten Stein, einen Travertin. „Der hatte noch weniger Ahnung, noch geringere Vorstellungen als ich“, erinnert sich Feßmann an den experimentierfreudigen Steinbruchbesitzer. Sechzehn Stunden für einen 55 Zentimeter tiefen Schnitt: Kammartig oder bogenförmig geschnitten, würfelförmig, aber in quadratische Subquader zersägt, stehen die Steine – inzwischen wohl 50 – in seinem Atelier oder werden in einer Lagerhalle verwahrt.
Feßmann hat für seine Stein-Musik einen absolut treffenden Begriff wiederentdeckt: Ohrenlicht – sehen und hören, so, wie das schon die Chinesen beschrieben. Trotzdem ist in Worten nicht fassbar, was diese Musik an Gefühlen und Emotionen in einem auslöst. Faszination; ganz gewiss. In den zurückliegenden Jahren hat Feßmann mit Kollegen zahlreiche „Klang-Gebirge“ erforscht. Der Saxophonist Helmut Müller hat zu dem Stein-Klang improvisiert. Es war ein bisschen wie das Experiment von Gabareck, woran man sich leicht überhört, weil es auf die Dauer artifiziell wirkt. Als kongenialer Partner erwies sich der Cellist Friedemann Dähn, der sein Instrument mit vier G-Saiten bespannte, um die Obertöne „auszuschalten“. Dazu kam Manfred Kniel, der ein äquivalentes Schlagwerk aus Steinen beisteuert. Die Musik des Trios – zu hören auf der CD „Cantus Lapidum (Anima?)“ bannt einen.
Verlangen nach Hören
Die fünf Kompositionen, besonders „...stein geworden ... was ... war“, versetzen den Hörer durch ihren Aufbau in eine unvermutete, unglaubliche Tiefenschwingung. – Ein Verlangen, in sich zu hören, das jede Anmutung von Minimalismus dieser Kompositionen hinwegfegt. Wenn Feßmann seine Hände in die Wasserschüssel taucht, um den Stein ins Schwingen, ins Tönen zu bringen, wenn die Tiefe „geweckt“ wird, entsteht ein Mikrokosmos der Ruhe. Ein Tönen hinter dem tonal scheinbaren Gleichklang. Die Kompositionen – exakt kaum wiederholbar – geben mehr, als es viele Neutöner in Donaueschingen oder sonstwo zu geben vermögen. Feßmann sagt: „Ich muss auch die Kräfte des jeweiligen Steins bewältigen, mit ihnen korrespondieren, denn ich kann ja keine Kraft anwenden.“ So bleibt die Dynamik, oft terassenhaft, mitunter ein wenig zu „inszeniert“, dann wieder aufgehoben durch das Cello Friedemann Dähns, der die Grundtöne umspielt, während Manfred Kniel oft mit Archaischem aus kieselgefüllten Kästen begleitet. „Das Komponieren heißt: Arbeiten des Geistes in geistfähigem Material“, zitiert Klaus Feßmann den Kritiker Eduard Hanslick. Das Schöne: In Klaus Feßmanns Musik und Theorie vereinigt sich alle Musik aller Zeiten und Kulturen.
- am 30. Mai im Steinbruch Riteln im Rahmen der EXPO
- am 1. Juni im Delmenhorster Stadtmuseum
- am 3. Juni in Virgental, Ost-Tirol, jeweils um 20 Uhr
Weitere Konzertdaten: fessmann [at] supra-net.net (fessmann[at]supra-net[dot]net