Seit dem 15. Januar befinden sich die Beschäftigten des Musicals Cats im Streik. Ein Datum von historischer Bedeutung für die gewerkschaftlich organisierten Kulturschaffenden der Republik, denn der letzte gravierende Arbeitskampf an einem Theater fand vor rund 30 Jahren im Hamburger Schauspielhaus statt. Der Cats-Belegschaft ist es gelungen, eine stabile Streikfront aufzubauen. Der Musical-Konzern Stella musste den Spielbetrieb im Operettenhaus an der Reeperbahn vorerst einstellen. Der Countdown läuft: Zurzeit ist fraglich, ob überhaupt noch eine der letzten sechs Vorstellungen auf die Bühne gebracht werden kann, bevor das Erfolgsmusical nach rund 15 Jahren Spielbetrieb von Hamburg nach Stuttgart umzieht.
Seit dem 15. Januar befinden sich die Beschäftigten des Musicals Cats im Streik. Ein Datum von historischer Bedeutung für die gewerkschaftlich organisierten Kulturschaffenden der Republik, denn der letzte gravierende Arbeitskampf an einem Theater fand vor rund 30 Jahren im Hamburger Schauspielhaus statt. Der Cats-Belegschaft ist es gelungen, eine stabile Streikfront aufzubauen. Der Musical-Konzern Stella musste den Spielbetrieb im Operettenhaus an der Reeperbahn vorerst einstellen. Der Countdown läuft: Zurzeit ist fraglich, ob überhaupt noch eine der letzten sechs Vorstellungen auf die Bühne gebracht werden kann, bevor das Erfolgsmusical nach rund 15 Jahren Spielbetrieb von Hamburg nach Stuttgart umzieht.Im Herbst letzten Jahres waren düstere Wolken am Katzenhimmel aufgezogen. Die Geschäftsleitung hatte Massenentlassungen angekündigt. Mehr als 90 Arbeitnehmer sollen in den nächsten Wochen ihren Arbeitsplatz verlieren. Der Stella-Konzern begründet diesen Schritt mit seinem Vorhaben, das Operettenhaus in ein Premieren-Theater umzubauen. Zukünftig sollen auf der Bühne an der „roten Meile“ weniger personalaufwändige Musical-Produktionen laufen. Nachdem die Geschäftsführung dem Betriebsrat nur den Abschluss eines freiwilligen Sozialplans zugestanden und die Verhandlungen kontinuierlich verschleppt hatte, forderten die IG-Medien-Mitglieder Stella auf, einen Manteltarifvertrag abzuschließen. Dieser zielte vor allem auf Sicherung der gegenwärtigen Arbeitsbedingungen und Vergütungen für die verbleibenden sowie auf angemessene Abfindungen für die ausscheidenden Arbeitnehmer. Die Konzernleitung legte daraufhin einen Tarifvertragsentwurf vor, der von den Beschäftigten als Provokation empfunden werden musste: Musical-Darsteller und Arbeitnehmer, die eine Betriebszugehörigkeit unter fünf Jahren oder eine Teilzeitbeschäftigung von weniger als 13 Wochenstunden vorzuweisen haben, sollten völlig unberücksichtigt bleiben; für andere waren Abfindungen von weniger als einem halben Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr vorgesehen. Die Gewerkschafts-Mitglieder reagierten prompt und führten Warnstreiks vor dem Musical-Haus an der Reeperbahn durch.Die Konzern-Bosse präsentierten sich einsichtig und kehrten zurück an den Verhandlungstisch. Nach nächtelangem, zähem Ringen lag endlich ein ausgearbeiteter Manteltarifvertrag vor, der den wesentlichen Forderungen der Beschäftigten – Besitzstandswahrung und Abfindungen für alle ausscheidenden Arbeitnehmer – Rechnung trug. Stella-Vorstandsmitglied Wolf-Dieter Werner, der die Verhandlungen für die Arbeitgeberseite geführt und ernsthaften Willen zum Vertragsabschluss suggeriert hatte, erklärte, dass er den Tarifvertrag erst dem Vorstand und Aufsichtsrat zur Genehmigung vorlegen müsse. Die Gewerkschaftler setzten ihm eine Unterzeichnungsfrist bis zum 15. Januar. Nach Ablauf der Frist erklärte die Konzernleitung lapidar, sie beabsichtige vorläufig nicht, den Manteltarifvertrag zu unterschreiben. Dass Stella nur Scheinverhandlungen geführt hatte, wurde letztendlich von der Geschäftsleitung zwei Tage später – der Streik war bereits in vollem Gange – gegenüber dem Vorstand des IG-Medien-Landesbezirks Nord bestätigt: „Ich unterschreibe diesen Tarifvertrag nicht, deshalb wurde er auch nicht dem Aufsichtsrat vorgelegt“, tönte Stella-Vorstandsvorsitzender Klaus von der Heyde. Ferner behauptete er, bei dem 13-seitigen Werk handle es sich lediglich um eine „Gesprächsnotiz“. IG-Medien-Bezirkssekretärin Anita Jonack fühlte sich betrogen: „Jetzt ist klar, dass die Arbeitnehmer über den Tisch gezogen werden sollen“, resümmierte das Mitglied der Verhandlungskommission.
Die Cats-Theaterleitung hatte offenbar nicht mit der Entschlossenheit der Beschäftigten gerechnet. Die große Mehrheit war dem Streikaufruf der Gewerkschaft ohne Zögern gefolgt. Während sich die Kollegen aus den Kostümwerkstätten, von der Technik, Beleuchtung, Inspizienz, den Dressern und anderen Backstage-Abteilungen gerüstet mit Transparenten und Flugblättern dem Blitzlichtgewitter des versammelten Medien-Zirkus vor dem Operettenhaus stellten, brach im künstlerischen Betriebsbüro Hektik aus, die zuweilen in Hysterie umzuschlagen drohte. Tontechniker, die massiv unter Druck gesetzt wurden, die Arbeit wieder aufzunehmen, winkten entschieden ab. Vorher hatte die Geschäftsleitung noch eilig versucht, Fremdfirmen zu engagieren, musste dann aber feststellen, dass sich weder der Bundesverband der Beleuchter noch freie Mitarbeiter vom Studio Hamburg bereit erklärten, Streikbrecherarbeit zu leisten.
Als Theaterleiterin Christiane Kaiser an das Treuepflicht-Gefühl der Darsteller appellierte, war auch aus den Reihen der Akteure wachsender Unmut vernehmbar: „Warum sollen wir auf die Bühne gehen; die Leute da draußen streiken schließlich auch für uns!“
1:0 am Millerntor
Einige Minuten nach offiziellem Show-Beginn hatte der „The show must go on!“-Mythos die erste Bruchstelle erlitten. Von der Bühne, auf der jahrelang eine fröhliche Katzenschar konzertiert hatte, verkündete die Theaterleiterin dem aufgeregten Publikum mit versteinerter Mine: „Die Vorstellung muss heute Abend leider ausfallen.“
In eisiger Kälte harrten derweil die Streikenden vor den Toren des Musical-Palastes und skandierten den Schlachtruf des vis-a-vis beheimateten FC St. Pauli: „1:0 am Millerntor“, denn die Gewerkschaftler hatten einen wichtigen Teilerfolg errungen.
„Da capo“ hieß es am folgenden Abend: Die Geschäftsführerin musste ihre Ansprache vor einem anderen erbosten Publikum im ausverkauften Theatersaal wiederholen, denn am Millerntor stand es bereits „2:0“. Einzelne Mitglieder der Darsteller und des Orchesters hatten sich ihren streikenden Kollegen angeschlossen; viele Darsteller meldeten sich vor Show-Beginn krank. Sie konnten den psychologischen Druck nicht mehr aushalten, waren mental völlig am Ende.
Mit der „Erpressermasche“, so der Kommentar des IG-Medien-Landesbezirks Nord, versuchte Stella-Boss Werner die Streikfront am nächsten Tag zu brechen.
Durch Pressemitteilung und Aushänge im Betrieb erklärte er, dass er die 1,5 Millionen Mark, die für den Sozialplan vorgesehen seien, auf ein Treuhandkonto einzahlen und für jede ausgefallene Vorstellung hunderttausend Mark von den Abfindungen der zu entlassenden Arbeitnehmer abziehen wolle. Die streikenden Gewerkschaftler ignorierten die Drohung. Das „3:0“ kam durch ein Eigentor der Theaterleitung zu Stande; sie sagte die Vorstellung am späten Nachmittag ab.
Große Empörung löste eine Maßnahme der Geschäftsleitung am vierten Streiktag aus. Alle Cast-Mitglieder, die sich krank gemeldet hatten, erhielten schriftliche Order, sich im Operettenhaus von einem „Vertrauensarzt“ untersuchen zu lassen. Die Theaterleitung funktionierte die Kantine zum Wartezimmer um. Der Vertrauensarzt forderte die Betroffenen in Einzelgesprächen auf, ein Formular zu unterzeichnen, in dem sie ihr Einverständnis zur Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht erklären sollten. Nachdem zwei Schauspieler sowohl die ärztliche Untersuchung als auch ihre Unterschrift verweigert hatten, bereitete der Cats-Betriebsrat der schaurigen Prozedur ein Ende. Die Arbeitnehmervertretung verlangte von dem Mediziner eine unverzügliche Erklärung für sein Vorgehen. Der Arzt behauptete, die Arbeitnehmer seien „freiwillig“ erschienen, verließ dann aber das Haus, als er feststellen musste, dass der Betriebsrat sich mit dieser offensichtlich falschen Information nicht zufrieden gab.
Damit nicht genug: Am nächsten Morgen erhielten alle anderen Beschäftigten, die sich derzeit im Krankenstand befanden, unerwarteten Hausbesuch von einem Boten der Geschäftsführung. Dieser händigte den erkrankten Arbeitnehmern ein Schreiben aus, das eine Aufforderung der Theaterleiterin enthielt, „aus gegebenem Anlass“ den „Vertrauensarzt“ in seiner Praxis aufzusuchen. Weiterhin verlangte Frau Kaiser von den Arbeitnehmern, zukünftig die ärztliche Bescheinigung bereits am ersten und nicht wie üblich nach dem dritten Krankheitstag abzugeben. Auch das gesetzlich garantierte Recht des Arbeitnehmers auf freie Arztwahl wurde verletzt, denn die Theaterleiterin will nur noch Krankschreibungen des Arztes ihres Vertrauens akzeptieren.
Solidarisches „Phantom“
Vor dem Portal des Operettenhauses indes liefen die Streikmaßnahmen konsequent weiter. Mit Gesängen wie „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins, ob Du’n Musical siehst oder keins, amüsierst Du Dich...“ schunkelten sich die Cats-Kollegen ihren Ärger von der Seele und machten deutlich, dass sie unbeirrt an ihrer Forderung nach Unterzeichnung des Tarifvertrags festhalten wollten.
Beim Stand von „6:0“ leistete sich die Streikfront ein „Auswärtsspiel“ vor dem zweiten Stella-Musical in Hamburg. Weite Teile der „Phantom der Oper“-Belegschaft hatte sich in den vergangenen Tagen mit den Forderungen ihrer Kollegen solidarisch erklärt. Sie wissen, dass Stella spätestens zum Ende des Jahres auch bei ihnen Massenentlassungen plant und denken daran, ebenfalls einen Tarifvertrag durchzusetzen.
Die Geschäftsführung hat sich in ihr Musical-Management-Hauptquartier zurückgezogen. Aus dem Beton-Bunker sind nicht einmal mehr Drohungen oder Durchhalteparolen zu vernehmen. Günther Metzinger, Vorsitzender vom IG-Medien-Landesbezirk Nord findet dieses „autistische“ Verhalten „ungeheuerlich“. Er fordert die Politiker, die ansonsten nicht müde werden, die enorme Bedeutung der Musicals für die Hansestadt zu betonen, zum beherzten Eingreifen auf: „Es darf nicht akzeptiert werden, dass die Stella einen Tarifvertrag, der gar keine zusätzliche wirtschaftliche Belastung darstellt, aus ideologischen Gründen ablehnt.“ Im Gegensatz zu den Hamburger Politikern üben die Kunst- und Kulturschaffenden sich nicht in gentiler Zurückhaltung. Aus der ganzen Republik schwappt der streikenden Cats-Mannschaft – übrigens der aktuelle Spielstand lautet „8:0 am Millerntor“ – eine Welle der Sympathie entgegen.
Inzwischen hat sich auch die Federation Internationale Des Acteurs (FIA, Dachverband der internationalen Schauspieler-Gewerkschaften) eingeschaltet. Präsident Tomas Bolme appelliert an die Stella-Führung, nun endlich den ausgehandelten Tarifvertrag zu unterschreiben. Im Falle einer Weigerung will die FIA ihren Mitgliedern von Engagements in den Stella-Produktionen abraten, denn wenigstens „minimale Tarifstandards“ müssten sichergestellt sein.