In Nordrhein-Westfalen hat ver.di soeben ein Schwarzbuch zur kulturellen Situation herausgegeben, in dem dieser Beitrag von Ulrich Steiner veröffentlicht wurde. Es ist zu beziehen über die Fax-Nummer 0221-528195.
Köln hat die Krise. An dieser Tatsache mochte auch Oberbürgermeister Fritz Schramma in seinem Antwortschreiben vom 3. Februar 2003 an Ver.di Köln nichts beschönigen. Irritiert zeigte sich der Mann an der Spitze der Domstadt allerdings über die von der Dienstleistungsgewerkschaft geäußerte Kritik zu Budgetkürzungen an der Rheinischen Musikschule der Stadt in Höhe von zirka 400.000 Euro und verwies die mehr als zehnprozentige Einsparsumme flugs in den Bereich der Gerüchteküche. Als weitaus besser informiert erwies sich zu diesem Zeitpunkt bereits Schrammas Parteifreund Professor Dr. Rolf Bietmann. Der Vorsitzende der Kölner CDU-Fraktion teilte Ver.di mit Datum vom 23. Januar 2003 mit, dass für die Rheinische Musikschule im Jahre 2003 eine Einsparsumme von 420.000 Euro erforderlich wäre. Und auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Martin Börschel kennt am 12. März bereits die Zahlen. Er bezieht sich in seinem Schreiben auf die von der Verwaltung vorgeschlagene Etatkürzung von zirka 400.000 Euro für die Musikschule. Da entsteht schnell der Eindruck, als sei das Amt des Oberbürgermeisters die am schlechtesten informierte Abteilung in der Kölner Verwaltung.
Trotzig formuliert dann aber OB Schramma: „Auch bei noch so gutem Willen und schlüssigen Argumenten besteht überhaupt keine andere Möglichkeit, als gerade die freiwilligen Aufgaben auf den Prüfstand zu stellen und wenn möglich abzubauen“.
Moment mal – diese Vorschläge zur Haushaltskonsolidierung kennen wir doch nun schon seit Jahrzehnten zur Genüge! Das sind doch nun wirklich ganz alte Hüte. Und jeder weiß auch, dass die Budgetkürzungen von inzwischen mehr als einer Millionen Euro mit einem nun schon seit mehreren Jahren bestehenden Einstellungsstop einhergehen, der übrigens zum Abbau von 21 vollen BAT-Stellen an der Musikschule führte. Während der BAT-Lehrer neben der Unterrichtstätigkeit seine Schüler auf interne und externe Wettbewerbe, auf Konzerte, Tanztheaterprojekte oder Musicalaufführungen vorbereitet, haben die Honorarkräfte keinerlei Verpflichtung, derartige Zusatzaufgaben mit ihren Schülern zu übernehmen. Im Gegenteil: die verbleibenden BAT-Lehrer werden mehr und mehr diesen wichtigen Baustein zeitgemäßer Musikschularbeit für die Honorarkräfte mit leisten müssen. Man darf gespannt sein, wie lange die zahlende Kundschaft, also die Schülereltern, sich die Ungleichbehandlung ihrer Kinder gefallen lässt.
Vor diesem Hintergrund wirkt die vom Kölner Oberbürgermeister angedrohte weitere Kürzung sogenannter „freiwilliger Aufgaben“ schon recht grotesk. Weitaus sinnvoller wäre es für die Kölner CDU, sich den Antrag der CDU-Fraktion im nordrein-westfälischen Landtag auf die Fahne zu schreiben. Diese hatte, unterzeichnet von Dr. Jürgen Rüttgers und anderen, unter dem Titel „Leben mit Musik – Musikerziehung von Anfang an“ Eckpunkte für die Förderung des musikalischen Nachwuchses in Nordrhein-Westfalen formuliert und in Sachen Musikschule festgestellt: „Musikschulen haben die einmalige Möglichkeit, Kinder und Jugendliche entsprechend ihren Fähigkeiten und Begabungen zu unterrichten. Entscheidend für den Unterricht an einer Musikschule müssen individuelle Neigung und Begabung des Kindes sein.“ Der CDU-Antrag aus Düsseldorf macht klar, dass man rheinabwärts schon ein gewaltiges Stück weiter ist.
Dabei darf allerdings nicht verschwiegen werden, dass dort der SPD-Regierung mit ihren Vorschlägen zur „Offenen Ganztagsschule“ nicht gerade eine Steilvorlage gelungen ist. Gegen die Integration von Horten in das neue Schulsystem laufen inzwischen Kirchen und Gewerkschaften gemeinsam Sturm. Eine gewiss ungewöhnliche Partnerschaft. Mit den Vorstellungen der NRW-Landesregierung, das erweiterte Schulangebot mehr oder weniger zum Nulltarif durchführen zu können, dürfte der nachhaltige Ruf nach besserer Schulbildung allerdings kaum zu erfüllen sein. An diesem Punkt stellt sich dann spätestens die Frage, wie eigentlich die Regierenden in Düsseldorf auf die Idee kommen, für die RuhrTriennale 2002 bis 2004 insgesamt 42 Millionen Euro bereit zu stellen, wenn gleichzeitig land auf und ab Musikschuletats gekürzt oder Musikschulen ganz dicht gemacht werden, wenn die Ausbildung unserer Kinder im Nachmittagsbereich von Ehrenamtlichen und Rentnern geleistet werden soll. Eine Frage, auf die die Düsseldorfer wohl auch in Zukunft keine befriedigende Antwort finden werden.
Doch zurück nach Köln. In seinem Schreiben an Ver.di beziffert der SPD-Fraktionsvorsitzende Martin Börschel das Haushaltsdefizit der Stadt auf 550 Millionen Euro. Ein Fehlbetrag der erstmals ein Haushaltssicherungskonzept, das einer Genehmigung durch den Regierungspräsidenten bedarf, notwendig macht. Doch damit sei, so ist aus Politikerkreisen zu vernehmen, die Talsohle noch keineswegs erreicht. Dieses Desaster hat sich bereits seit mehreren Jahre angekündigt. Und dies nicht nur in Köln, sondern in fast allen bundesdeutschen Kommunen. Da stellt sich dann doch die Frage, warum Politiker überall der Misere tatenlos zugesehen haben, warum die Kommunen nicht schon längst gegenüber Land und Bund eine schärfere Gangart eingelegt haben. Erst im März 2002 wurde von der Bundesregierung eine Kommission zur Gemeindefinanzreform eingesetzt, die Vorschläge erarbeiten soll, wie die Zahlungsunfähigkeit der Kommunen abgewendet werden kann.
Die hochkarätig besetzte Kommission mit Vertretern aus Bund, Ländern, Städtetag sowie Städte- und Gemeindeverband sollte bis Anfang 2003 ihre Vorschläge vorlegen, da der Gesetzgebungsprozess für eine Reform der Gemeindefinanzierung noch im Jahre 2003 abgeschlossen werden sollte. Leider ist nun abzusehen, dass der ehrgeizige Zeitplan nicht einzuhalten sein wird. Die finanzielle Talfahrt der Kommunen wird sich also auch weiterhin ungebremst fortsetzen.
So manche Gemeindevertretung greift da neuerdings zu drastischen Maßnahmen: Am bayerischen Tegernsee postierten sich Gemeindevertreter vor laufender Fernsehkamera, um gemeinsam am sprichwörtlichen Hungertuch zu nagen. Ob dieser telegene Auftritt die Gemeinde vor dem Kollaps bewahren kann, bleibt abzuwarten. Vorsorglich listete der Bürgermeister schon mal den üblichen Horrorkatalog auf: höhere Gebühren in der Bibliothek, weniger Kindergartenplätze und so weiter. Auch der im „Spiegel“ Nr. 20 vom 12. Mai 2003 abgebildete Protest von Kommunalpolitikern aus 20 Gemeinden im Landkreis Bamberg ist zwar lobenswert, kommt aber um mindestens zehn Jahre zu spät.
An der Rheinischen Musikschule zu Köln werden einstweilen kreative Wege zum Überleben beschritten. So bemüht sich die Schule verstärkt um Kooperation mit den Städtischen Bühnen, um die Zusammenarbeit mit Museen, um gemeinsame Produktionen mit der Kölner Philharmonie, mit der Hochschule für Musik und mit Kölner Schulen. Synergieeffekte sind erwünscht, neue Ideen im Bildungsbereich gefragt.
Was allerdings fehlt, ist die Unterstützung aus Verwaltung und Politik. So fragen sich die Lehrer der Rheinischen Musikschule wie auch ihre Vertreter in Ver.di schon seit geraumer Zeit, warum sich die zuständigen Dezernenten samt diverser Ausschüsse nicht gemeinsam an einen Tisch setzen, um die Zusammenarbeit zwischen den Kultureinrichtungen der Stadt zu koordinieren und so die dringend notwendige politische Unterstützung angedeihen zu lassen.
Im Jahre 2010 will Köln, so ist aus dem Rathaus zu vernehmen, europäische Kulturhauptstadt werden. Damit die Kultur in Köln bis dahin nicht auf den Hund kommt, plädiert Chefredakteur Axel Hecht in der Kunstzeitung „Art“ für eine Kehrtwendung im bildungs- und kulturpolitischen Denken des Kölner Rats. Theater, Museen, Orchester, Musikschulen und Bibliotheken müssen demnach in den kommenden Jahren auf breiter Basis gefördert werden.
Köln muss zum Paradebeispiel einer mutigen Kultur- und Bildungspolitik werden. Das und nur das wäre dann ein Weg aus der Krise. Auf einem Scherbenhaufen jedenfalls lässt sich keine Kulturhauptstadt begründen.