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Spätestens seit seiner ersten Buchveröffentlichung „If the Kids Are United” gehören Martin Büssers Essays zur Pflichtlektüre der kritischen Pop-Konsumenten. Vor allem Musikfreunde, die unglücklich darüber sind, dass Punk sich auf Deutsche Bank reimt, saugen seine Werke auf wie Nektar und ordnen sie im Bücherregal ganz in der Nähe von Walter Benjamins Kunstwerkaufsatz ein. Für die neue musikzeitung sprach Susanne Witt-Stahl mit Martin Büsser über den Wertewandel in der Popkultur.
Spätestens seit seiner ersten Buchveröffentlichung „If the Kids Are United” gehören Martin Büssers Essays zur Pflichtlektüre der kritischen Pop-Konsumenten. Vor allem Musikfreunde, die unglücklich darüber sind, dass Punk sich auf Deutsche Bank reimt, saugen seine Werke auf wie Nektar und ordnen sie im Bücherregal ganz in der Nähe von Walter Benjamins Kunstwerkaufsatz ein. Für die neue musikzeitung sprach Susanne Witt-Stahl mit Martin Büsser über den Wertewandel in der Popkultur. nmz: Was passiert in den USA? Spätestens seit Bush jr. sind militanter Patriotismus und Antiintellektualismus, unverklausulierter Bellizismus und andere reaktionäre Tendenzen in der Popkultur en vogue. Seit dem 11. September stehen die Popstars Schlange, um als Frontunterhalter nach Pakistan reisen zu dürfen. Neil Young kämpft Schulter an Schulter mit dem US-Präsidenten gegen „das Böse“ („We’re goin’ after Satan“). Pazifisten und Bürgerrechtler werden als Verräter stigmatisiert, die wenigen kritischen Bands wie Rage Against The Machine oder Public Enemy einer strengen Zensur unterworfen. Nun machen die Medien sogar Country-Star Steve Earle fertig, weil er es gewagt hat, einen Blues über den amerikanischen Taliban John Walker Lindh zu schreiben. Pop scheint sich nicht nur meilenweit von Woodstock entfernt, sondern sich gegen jegliche Protesthaltung gewendet zu haben.Martin Büsser: Es gibt eine populäre Ausnahme: George Michael, dessen Video zu „Shoot The Dog“ ein ziemliches Aufsehen erregte. In dem Cartoon wird Tony Blair als speichelleckendes Schoßhündchen von George W. Bush präsentiert, der von einer sprechenden Socke (!) Anweisungen erhält, den Irak zu bombardieren. Der Mainstream-Rock in den USA zeigt sich tatsächlich wie umgewandelt, also patriotisch und ist damit inzwischen eher das genaue Gegenteil von Woodstock. Dennoch: Im Underground gibt es sehr viele kritische, reflektierte Stimmen. Dass sie nicht so stark wahrgenommen werden wie der Hurra-Patriotismus von Neil Young & Co. liegt natürlich auch an den Medien, die sich dezidiert nur bejahende Stimmen herausgreifen und George Michael als „pervers“ beschimpften (The New York Post). Die Beastie Boys hatten etwa ein Gegenkonzert zu der „Tribute to Heroes“-Gala veranstaltet, auf dem nur Bands auftraten, die tatsächlich aus Downtown New York stammen (unter anderen Yoko Ono und die Strokes). Das Konzert wurde von einem Soziologen begleitet, der zwischen den Auftritten in einem Wortbeitrag vor der Wirtschafts- und (kriegerischen) Außenpolitik der USA warnte. Würde die Öffentlichkeit die kritischen Stimmen stärker gewichten, könnte ein ganz anderes Bild von Pop und Politik entstehen. : Eine wichtige Aussage Ihres Buches lautet, dass Pop, nach jahrzehntelanger Protesthaltung zur „Ideologie der Sieger“ gewuchert und „in der Mitte der Gesellschaft angekommen“ ist. Kann es nicht sein, dass Pop einfach nur alt, verbraucht und träge geworden ist?
: Pop ist eine kulturelle Äußerung wie jede andere auch, also wie auch bildende Kunst, Literatur, Film. Als solche besitzt sie ein unglaublich breites Spektrum an Möglichkeiten des kulturellen Ausdrucks. Begreift man Pop als Überbegriff für jegliche Musik, die nicht dem Spektrum der akademischen Kunstmusik beziehungsweise Neuen Musik zuzurechnen ist, dann reichen die Äußerungen von kommerziellen Produkten wie Britney Spears bis zu ambitionierten Bands wie Sonic Youth; sie reichen von Macho-Rock bis zu femininem Pop. Es ist also eigentlich unmöglich, von „dem Pop“ an sich zu sprechen und ihn einer generellen Tendenz zu unterwerfen. Wenn ich in meinem Buch davon schreibe, dass sich Pop vom Protest zur „Neuen Mitte“ hin orientiert hat, bezeichnet dies eher eine allgemeine Mentalitätsverschiebung. Der lange aufrecht erhaltene Mythos, Popkultur (und vor allem: Rockmusik) sei per se „subversiv“ oder „rebellisch“, hat damit endgültig ausgedient. Es ist aber immer noch möglich, mit Hilfe einer Gitarre oder eines Samplers kritische Kultur zu schaffen. Hierfür gibt es zahlreiche Beispiele. Sie reichen von explizit politischen Bands in Deutschland (Die Goldenen Zitronen, Tocotronic, Britta) bis hin zu einer experimentellen, politisch motivierten Elektronik-Szene, die sich nicht explizit durch Worte, sondern durch eine sperrige Klangästhetik gegenkulturell äußert (Musiker rund um das Kölner „a-Musik”-Label und „Mille Plateaux“ in Frankfurt). Es gibt immer wieder Bewegungen, die alte Werte gegen kulturelle Netzwerke neu entdecken und für sich mit einem emanzipatorischen Anspruch nutzen; etwa die seit einigen Jahren in New York aktive „Anti-Folk“-Bewegung (wie Moldy Peaches), eine Art Neudefinition von Bob Dylan aus dem Geist des Punk heraus, Gruppen, die ihre CDs selbst produzieren und vertreiben. : Sie zitieren den jüdischen Literaturwissenschaftler George Steiner, der Pop als einzig legitime Kultur nach dem Holocaust bezeichnete. Die Hochkultur von Goethe bis Beethoven habe sich als vereinnehmbar für die Nazis erwiesen. Sie habe gezeigt, dass „gerade die hochkulturelle Eigenschaft der Sublimierung vorm Inhumanen nicht schütze, sondern es geradezu förderte“, da die „Triebunterdrückung innerhalb der abendländischen Kultur“ das Bild vom „höheren Menschen“ und damit auch seine Kontrastfolie, den „Untermenschen“ hervorbrachte. An anderer Stelle beziehen Sie sich auf Klaus Theweleit, der Rock’n’Roll und Jazz als „undeutsche Sprachen“, als Befreiungskultur und Antithese zum faschistischen Herrenmenschentum interpretierte.
Nun war Nazi-Deutschland zu keinem Zeitpunkt eine popfreie Zone. In den Ufa-Filmen waren keine Militärmärsche zu hören, sondern flotte Schlager. Kann man Pop vor diesem Hintergrund ernsthaft aus dem Kreis der „Tatverdächtigen“ ausschließen?
: Um an dieser Stelle überhaupt eine Trennung vornehmen zu können, muss Pop doch noch einmal als Begriff definiert werden. Betrachtet man Pop lediglich als Synonym für „populäre Kultur“, dann waren die Nationalsozialisten sicher Meister in der Produktion popkultureller Propaganda – was ihnen ja auch schon Walter Benjamin attestiert hatte. Mit dem Aufkommen der „Pop Art“ in den Sechzigern und mit Bands, die sich subversiver Strategien bedienten oder sich als Rebellen stilisierten, bekam der Begriff allerdings eine Bedeutung, die weit über ein bloßes „populär“ hinaus ging. Vor diesem Background muss auch die Hoffnung gesehen werden, die einige Intellektuelle in Pop setzten: Pop stand für eine neue Kultur, assoziiert mit anderen kulturellen Praktiken von Opposition (Happening, Agit-Prop), also für eine Art neues Lustprinzip.
Heute jedoch müssen die Hoffnungen von damals relativiert werden. Es wurde natürlich übersehen, dass Pop selbst dort noch, wo er rebellisch auftritt, nicht nur ein enormes Geschäft darstellt, sondern dass er vor allem keineswegs die bestehende Gesellschaftsordnung tiefergehend in Frage stellt. „Satisfaction“ und Rausch einzufordern, verträgt sich durchaus mit unserer Gesellschaft. Bis hin zum Techno wird im Grunde nur ein hedonistisches Bedürfnis befriedigt, dass das System nicht destabilisiert, sondern im Gegenteil dazu dient, Kräfte aufzubauen, wieder „fit“ zu werden für den Arbeitsalltag. Das widerspricht jedoch nicht meiner Antwort auf die zuvor gestellte Frage nach innovativen, gegenkulturellen Pop-Phänomenen. Die gibt es zwar, aber die funktionieren nicht ausschließlich hedonistisch, sondern bewusstseinsbildend. Insofern hat auch die Popkultur längst Bands hervorgebracht, die im Grunde fast dem Bereich der „E-Musik” zugerechnet werden müssen. Elektronische Musiker wie Ekkehard Ehlers, Mouse On Mars oder Jim O’Rourke haben mit Steve Reich oder Terry Riley mehr Gemeinsamkeiten als mit den Lautsprecherwagen der „Love Parade“. : Haben Protest-Sänger wie Joan Baez, militante Agit-Prop-Combos wie Conflict ausgedient?
: Vom Aspekt des Agit-Prop her spricht allerdings nichts dagegen, wenn Künstler sich entscheiden, als Plattform für politische Aussagen populäre Musik zu wählen. Doch die populären Agit-Bands, die heute noch einen aufklärerischen, emanzipatorischen Ansatz vertreten, lassen sich an zwei Händen abzählen. Sie stehen vor dem Problem, dass populäre Musik immer stärker zur Plattform für reaktionäre Agitation geworden ist. Sei es, dass die Werte Familie, Beruf und Heimat gefestigt werden (integrative Musik, wie man sie von Pur her kennt), sei es, dass Homosexuelle und Frauen diffamiert werden oder kernige Männerbilder etabliert werden. Vor diesem Hintergrund wäre es vermessen, einer Band wie Consolidated das Recht abzusprechen, massentauglich zu agitieren. Notwendigkeit besteht allemal.