Die Erkenntnisse aus dem „Herrenberg-Urteil“ sind klar und werden auch aus den Reihen der Musikschulträger kaum noch bestritten: Eine sachdienliche Fortführung der Jahrzehnte langen Praxis von Beschäftigung von vermeintlich Selbstständigen ist an Musikschulen nicht mehr möglich.
Von der Schwierigkeit, das Richtige zu tun
Nun könnte man meinen, dass die Strategie auf der Hand liegen sollte: Der rechtskonforme Zustand wird durch Wandlung in reguläre, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hergestellt. Aber so einfach scheint es nicht zu sein und man ahnt, das Problem ist das Geld. Denn die Wandlung geht mit dem Verlust der bisherigen vermeintlichen „Einsparpotentiale“ einher. Es geht hauptsächlich um die nun vollständig zu zahlenden Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversich-erung und die tarifliche Entlohnung. Dabei ist beides kein Luxus, sondern die (Wieder-)Herstellung eines Zustands, der gerade im Umfeld des öffentlichen Dienstes eine Selbstverständlichkeit darstellen sollte. Kämmerer wiederum sehen das naturgemäß anders, nämlich als eine haushälterisch nicht eingeplante und daher nicht gedeckte Kostensteigerung. Es bedarf also in jedem einzelnen Fall (bundesweit!) einer politischen Entscheidung, man könnte auch sagen eines politischen Bekenntnisses der jeweiligen kommunalen Träger zu ihrer Musikschule. Und die fällt – wenig überraschend – sehr vielfältig aus. Das Handeln der Träger deckt alles Denkbare ab und reicht von der vollständigen Einsicht in Notwendigkeiten und entsprechendem Handeln bis hin zur Ignoranz und Verleugnung der Rechtslage.
Das aktuelle Schuljahresende markiert für viele Musikschulen und Musikschullehrer*innen nun eine Zeitenwende. Zum einen laufen häufig die regelmäßigen befristeten Honorarvereinbarungen aus. Zum anderen erhöht sich quasi mit jedem Monat, in dem der rechtswidrige Zustand weiterbesteht, das wirtschaftliche und juristische Risiko der Träger. Daher werden nun vielerorts den zukünftig ehemaligen Honorarlehrkräften, teilweise kurzfristig, Angebote im Rahmen eines ordentlichen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses gemacht. So weit, so gut! Wenn da nicht wieder der kommunale „Sparteufel“ zuschlagen würde. Und der versteckt sich ja gerne im Detail: Um mögliche rückwirkende Ansprüche der Kolleg*innen ausschließen zu können oder auch nur des einfachen „Sparens“ wegen, werden zum Beispiel formal neu geschaffene Stellen besetzt. Die können wiederum durchaus auch nur befristet sein. Interessant wird es dann regelmäßig bei der Anerkennung der Vorbeschäftigungszeiten. Diese werden in den sogenannten Erfahrungsstufen (1 – 6) der Entgeltordnung des TVöD sichtbar. Dabei gilt: Nach einem Jahr in der Erfahrungsstufe 1 erhält man die Stufe 2, nach zwei Jahren in der Erfahrungsstufe 2 die Stufe 3, und so weiter. Wer also trotz über fünfzehnjähriger Tätigkeit als Honorarlehrer*in womöglich auch noch an derselben Musikschule beschäftigt war, jedoch zunächst nur die Erfahrungsstufe 3 zuerkannt bekommt, läuft weitere 12 Jahre dem eigentlichen Entgeltanspruch hinterher. Die Verluste summieren sich in dieser Zeit nach den aktuellen Tabellenentgelten bei Vollbeschäftigten auf knapp 90.000 Euro (brutto). Dazu kommt ein dementsprechend geringerer Rentenanspruch.
Offenbar kann selbst eine „Wandlung“ trotz bedeutender Verbesserungen keine Garantie für die längst fällige Gleichbehandlung im Vergleich zu den ordentlich beschäftigten Kolleg*innen sein. Aber es gibt auch eine gute Nachricht. Dieser Wandlungsprozess muss nicht in der alleinigen Gestaltungshoheit der Musikschulträger liegen! Jede Kollegin und jeder Kollege, der nicht gewillt ist, widerspruchslos das Weiterbeschäftigungsrisiko zu tragen oder aber ungerechte Einkommenseinbußen hinzunehmen, darf und kann sich dagegen wehren – falls nötig sogar gerichtlich. Ein Beispiel aus Sachsen: Die Stadt Dresden hatte sich nach intensivem politischen Ringen dazu entschlossen, die für den vollständigen Fortbestand des Angebotes des Heinrich-Schütz-Konservatoriums (HSKD) notwendigen Haushaltmittel zur Verfügung zu stellen. Dies geschah unter hohem Druck nicht nur der Kolleg*innen, Eltern und Schüler*innen, sondern ebenso in Folge intensiver Bemühungen der Kolleg*innen der Landesfachgruppe Musik in ver.di (wie in vielen anderen Orten in Deutschland auch) und weiterer gesellschaftlicher Kräfte. Derzeit, also nicht einmal mehr einen Monat vor dem Schuljahresende und dem darauffolgenden Ende der Honorarbeschäftigungsverhältnisse, sind den Kolleg*innen Arbeitsverträge im Umfang ihrer derzeitigen Beschäftigung angeboten worden. Allerdings „zunächst“ auf ein Jahr befristet und unter maximaler Zuerkennung der Erfahrungsstufe 3. Offensichtlich konnten sich nicht alle Kolleg*innen über dieses Angebot vorbehaltlos freuen. Nach monatelangem Hoffen und Bangen, einer wachsenden Flut von teils widersprüchlichen Informationen und Gerüchten und dem allgegenwärtigen Bewusstsein, letztlich das wirtschaftliche Existenzrisiko allein tragen zu müssen, hat sich eine nicht unerhebliche Zahl von Kolleg*innen entschlossen, ihre eigene Zukunft am HSKD mitzugestalten:
Vorausgegangen waren auch hier Monate der Diskussionen, des Lernens, der Selbstorganisation der Belegschaft und nicht zuletzt auch des Aufbaus von Zuversicht. Am Ende der juristischen Beratungen (je nach Mitgliedschaft in der ver.di) mit den zuständigen ver.di-Teams ,Beratung und Recht‘, oder aber einer Dresdener Arbeitsrechtskanzlei, wurde klar, dass gute Chancen bestehen, die eigenen Rechte auch geltend zu machen. Die meisten Kolleg*innen hatten bereits im Vorfeld den Status ihrer teils langjährigen Tätigkeit als Honorarlehrer*in von der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung prüfen lassen. Im Übrigen mit einem sehr eindeutigen Ergebnis: Allen Kolleg*innen wurde – teils sogar für mehr als 20 Jahre rückwirkend – bescheinigt, dass es sich um eine abhängige Beschäftigung im Sinne des SGB gehandelt hat. Das Mittel der Wahl unter den Dresdener Bedingungen ist die Befristungsschutzklage (auch „Entfristungsklage“). Im Zuge dieser muss festgestellt werden, ob es sich bis dato (also bei einer Honorarbeschäftigung) nicht bereits um eine feste Anstellung gehandelt hat. Falls dem so sein sollte, würde diese Beschäftigung nicht zum Schuljahresende befristet sein können, und der „korrekte“ Rechtsstatus der dann fest und tariflich Angestellten, würde zu ihren Gunsten korrigiert werden müssen.
Allerdings lauern hier verschiedene Schwierigkeiten. Zunächst muss man wissen, dass sich das Zeitfenster für eine diesbezügliche Klageeinreichung bereits 3 Wochen nach Beendigung des zu überprüfenden Beschäftigungsverhältnisses schließt. In Anbetracht der nahenden Sommerferien drängt die Zeit also bereits. Dazu kommt, dass man mit der Unterzeichnung eines „Nachfolge-“ Arbeitsvertrages seine Rechtsposition schwächen könnte, da ein Arbeitsgericht das ausreichende Schutzbedürfnis des/der Klagenden unter Umständen nicht mehr erkennen kann.
Umso wichtiger war der Erfolg der Kolleg*innen, dem „neuen“ Arbeitsvertrag eine entsprechende Klausel hinzufügen zu können, die den möglichen Verlust etwaiger Ansprüche aus dem bisherigen Beschäftigungsverhältnis verhindert. Denn die arbeitsgerichtliche Entscheidung wird dauern und die Kolleg*innen sind mindestens bis dahin auf diese Erwerbsquelle angewiesen.
Seine Rechte als Musikschullehrkraft zu wahren ist also kein Selbstläufer und zudem auch kompliziert. Allein auf sich gestellt ist das kaum zu schaffen. Aus der Perspektive von Gewerkschaftsmitgliedern freilich sieht das sehr viel besser aus. Die nämlich haben mit ihrer Mitgliedschaft nicht nur den Zugang zum Know-how ihrer Mitkolleg*innen, sondern auch zu fundierter Rechtsberatung, und, falls nötig, zum Schutz durch eine Arbeitsrechtsschutzversicherung.
Wir erleben aktuell eine Zeitenwende des öffentlichen Musikschulsys-tems. Eine solche Dimension bedingt fast schon gesetzmäßig, dass das nicht ohne Probleme und Konflikte geschehen kann. Auch das gehört bei solchen Entwicklungen dazu und ist per se nicht bedenklich. Ich persönlich, und ich bin mir sicher, dass ich mit dieser Einschätzung nicht allein stehe, sehe in solchen Umbrüchen und den damit einhergehenden Diskussionen und Problemstellungen auch immer eine Chance.
Chancen ergeben sich zuweilen von allein, jedoch muss man sie dennoch aktiv ergreifen und nutzen, um etwas Positives daraus entwickeln zu können. Nur wir Musikschulkolleg*innen können unsere Expertise in Sachen Musikschule und musikalische Bildung einbringen, im Sinne des gesellschaftlichen Bildungsauftrages, aber endlich nun auch zum Wohle eines großen Teils derjenigen, die diese Aufgabe erfüllen. Diese grundgesetzliche Aufgabe wird durch Gewerkschaft erfüllt, und zwar genau in dem Maße, wie sich Kolleg*innen dort engagieren. Der Erfolg in der aktuellen Übergangsphase hängt also letztlich auch von der persönlichen Entscheidung eines jeden Kollegen und einer jeden Kollegin ab. Die alte Weisheit ist noch immer aktuell: Gemeinsam und solidarisch ist man stark …
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