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Foto: Neuburger Kammeroper
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50 Sommer jung: Die Neuburger Kammeroper entdeckt Marschners „Der Bäbu“

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Die Neuburger Kammeroper wollte in ihrem 50. Sommer eine ganz besondere Entdeckung. „Der Bäbu“ blieb allerdings etwas hinter den Erwartungen, die durch Heinrich Marschners bekanntere Werke sehr hochgesteckt waren, etwas zurück. Risikobewusstsein ehrt mehr als das Beharren auf Bewährtem: Der Verein gehört zu den Pionieren der Opern-Archäologie und ist ein unverzichtbarer Ideengeber der europäischen Musiktheater-Landschaft. Das bleibt hoffentlich noch lange so.

Die Neuburger Kammeroper feierte ihren 50. Sommer. Mit Bescheidenheit und einmal mehr mit einer bemerkenswerten Opernentdeckung, Heinrich Marschners „Der Bäbu“. Horst Vladar, der liebenswerte Theatervater alter Schule, und seine Wegbegleiterin Annette Vladar können auf ein Raritäten-Repertoire zurückblicken wie sonst niemand. Selbst wenn man im Detail nicht den behutsamen Aktualisierungen der Texte (immer in deutscher Sprache bzw. Übersetzung) und der naiven Haltung der Inszenierungen, die sich bestens in das historische Ambiente des Stadttheaters Neuburg an der Donau schmiegen, geteilter Meinung sein könnte: Ein Erkenntnisschub ist jede Anreise zu den Aufführungen, die das Wissen über das Musiktheater von 1750 bis 1840 regelmäßig in Frage stellen, füttern und beflügeln.

Werke wie Peter von Winters „Ogus ossia Il trionfo del bel sesso“ (Prag 1795) als „Der Kampf der Geschlechter“ (2006) revolutionieren das Wissen über die Opernkomödie neben Mozart. Mit Pietro Raimondis „Il ventaglio“ (Neapel 1831) entdeckte man eine vollgültige anspruchsvolle Belcanto-Oper als „Der Fächer“ (2008). In Neuburg an der Donau reihen sich Opéras comiques von Adam, Isouard, Méhul oder Opere buffe von Carafa, Gardi, Salieri oder Spielopern von Kreuzer und Spohr („Zemire und Azor“, 2000, als Alternative zu Grétry und Disney). Die Legion der Entdeckungen und die langjährige Verbundenheit zu Kollegen wie Dirigent Alois Rottenaicher oder Bühnenbildner Michele Lorenzini nach dem Tod des langjährigen Ausstattungsleiters Ulrich Hüstebeck haben heute Seltenheitswert. Stefan Klingele, jetzt Chefdirigent der Musikalischen Komödie Leipzig, spricht noch immer mit leuchtenden Augen von seinen ersten öffentlichen Auftritten im Orchester und am Pult der Neuburger Kammeroper.

Neuburger Kammeroper

Die Neuburger Kammeroper begann in den späten sechziger Jahren, als im deutschsprachigen Raum die Ausdünnung der Musiktheater-Spielpläne auf wenige Zugtitel befürchtet wurde, mit Opern von Mozart, Paisiello und Salieri, die heute fast Standardwerke kleinerer Ensembles sind. Umso bemerkenswerter war dieser konsequente Start, weil damals die historische Aufführungspraxis erst in Ansätzen wirksam wurde und es deshalb kaum konzeptionelle Verbündete geben konnte. Die Neuburger Kammeroper spielte sogar Giovanni Simone Mayr („Di locanda in locanda e sempre in sala“, 1997), bevor man in Ingolstadt und in Bergamo den Donizetti-Lehrer aus dem nahen Altmannstein international würdigte. Die Entscheidung für deutschsprachige Aufführungen und die dem Ensemblegeist verpflichtete Spielform war ein Handicap für die Verbreitung durch TV- und Tonträgereinspielungen. Trotzdem konnte sich die Neuburger Kammeroper nach 1990 erst recht problemlos behaupten, als mit der Belcanto-Renaissance Wiederentdeckungen verstärkt in internationalen Spitzenformaten stattfanden. Noch immer zeigt der vermeintliche Anachronismus der Neuburger Kammeroper magnetische Wirkungen: Die fünf Vorstellungen in der zweiten Juli-Hälfte sind regelmäßig ausverkauft und offenkundig ist die Lust des regionalen Publikums auf diese mindestens so groß wie die Neugier der fachkundigen Gäste. Die Begeisterung des Chors und Einsatzfreude des Orchesters des Akademischen Orchesterverbands München tragen dazu bei wie die mehr den Werken als einer trendigen Realisierung verpflichtete Haltung. Für ihre unerschöpfliche Entdecker-Energie muss man die Neuburger Kammeroper einfach lieben!

Heinrich Marschners „Der Bäbu“

Die bisher letzte Einstudierung von Heinrich Marschners „Der Bäbu“ war wahrscheinlich eine Rundfunksendung unter dem Titel „Sultan und Seidenhändler“, deren Aufführungsmaterial 1943 bei einem Bombenangriff zerstört wurde. Für die 1838 an seinem Wirkungsort Hannover uraufgeführte komische Oper versicherte sich Marschner noch einmal der librettistischen Zuarbeit Wilhelm August Wohlbrücks, des Autors seiner Erfolge „Der Vampyr“ und „Der Templer und die Jüdin“. Jetzt kann man faktisch überprüfen, inwieweit „Der Bäbu“ das in der spärlichen Fachliteratur behauptete Nachlassen von Marschners musikdramatischer Schaffenskraft bestätigt.

„Der Bäbu“ ist weder romantisch noch dämonisch, auch wenn die unsympathische Titelfigur, wenn sie intrigiert und flirtet, den vokalen Gestus von Marschners „Vampyr“ aufgreift. Eher steht das Sujet zwischen Rossinis „Italienerin in Algier“ und E. M. Forsters „Reise nach Indien“. Genau! Die Oper mit dem von Autor und Komponist frei ersonnenen Handlung spielt in Kalkutta um 1820 und zeigt eine Auseinandersetzung zwischen Nationen und Kulturen. Der indische Grandseigneur und namenlose Bäbu (Stephan Hönig) will mit äußerst zweifelhaften Guru-Qualitäten und betrügerischer Absicht nicht nur das Vermögen des Moslems Jussuf Ali Khan (Joachim Herrmann), sondern auch dessen Tochter Ramijana (Alessia Schumacher). Diese hatte der britische Captain Henry Forester (Karsten Münster) mitsamt ihrem aus dieser Liaison entstandenen Säugling sitzen gelassen. Das Ganze wird nicht zu einer Tragödie à la „Butterfly“ oder „Lakmé“, weil Forester sich aus der vagen Liebe zur standesgemäß eher passenden Eva Eldridge (Laura Faig) löst und diese seinem Freund Fredrick Mosely (Goran Cab) in die Arme spielt. Ende gut, alles gut im britisch-indischen Diskurs. Forester und Ramijana kriegen sich, der böse Bäbu ist schachmatt.

In Marschners später Oper hört man fast alle seine wesentlichen und immer mehr zur Masche werdenden Mittel: Die Romanzen für Tenor sind noch immer so schön wie früher. Der Tanz beim hier als ein bunter Fasching inszenierten Fest, bei dem Prinzipal Horst Vladar mit kessem Teufelshörnchen-Diadem incognito mitspielt, ist eine unbeholfene Selbstanleihe Marschners aus „Hans Heiling“. Später berührt es fast unangenehm, dass der unsympathische Bäbu im gleichen Verführer-Sound gleißt wie Marschners Operngeschichte schreibende Figuren, der Vampyr Ruthwen oder Bois-Guilbert in „Der Templer und die Jüdin“. Es kommt der Inszenierung zugute, dass Marschner kaum exotisches Klangkolorit erfindet und das Geschehen deshalb als Spiegel mitteleuropäischer Missstände deutbar wird. Mit satirischen Pinselstrichen agiert der Chor wie bei einer Tantra-Party im Pauschalurlaub und Gymnastikübungen in der Wellness-Oase. Die Entscheidung für ein Werk mit vielversprechendem sozialkritischen Potenzial zum Jubiläum ist naheliegend. Die Schuld an dieser diesmal nicht ganz in erwartetem Maß beglückenden Entdeckung liegt letztlich bei Marschner selbst, nicht am Ensemble. Die durch „Vampyr“ und „Hans Heiling“ genährten hohen Erwartung an diese Partitur erfüllten sich nicht. Große Freude machte dafür einmal mehr die Begegnung mit dem feinen Humor des Buffos Michael Hoffmann als Bäbus Gehilfe Gosain und mit Ulrike J. Jöris, die als Lady Wrengtham zur Neuburger Kammeroper zurückkehrt. Am Ende viel Jubel für eine überzeugende Ensembleleistung und deshalb schon jetzt Neugier auf die nächste Entdeckung 2019.

  • Stadttheater Neuburg an der Donau jeweils 20.00 Uhr am 21., 22., 27., 28. (besuchte Vorstellung) und 29. Juli

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