Als bereits fünfte Produktion der ausschließlich durch Sponsoren finanzierten Reihe “Wagner für Kinder“ steht auf Probebühne IV des Festspielhauses in diesem Jahr erstmals „Tristan und Isolde“ auf dem Programm. Thematisch richtet sie sich, im Gegensatz zu den vorangegangenen Produktionen, nicht an das ganz junge Publikum. Fast ausschließlich waren es diesmal Mädchen, welche die Premiere besuchten.
Auch wenn einige Kinder überaus gelangweilt wirkten oder sich zum Schlafen an ihre Betreuerinnen schmiegten, ist Regisseur Michael Höppner eine eigenwillige, sehr stimmige Arbeit gelungen. Bühnenbildnerin Judith Philipp hat ein mächtiges Schiff in die Probebühne gefügt, in welchem zu beiden Längsseiten auch die Zuschauer platziert sind. Diese werden gleichwohl weniger ins Spiel integriert als in den Vorjahren; so gilt es diesmal nur, mit Kurwenal die Anker zu lichten, das andere Mal verteilt Isolde Kräuterplättchen und -Bonbons, die sie aus ihrer Heimat mitgebracht hat an die ersten Reihen, und schließlich gibt Kurwenal eine Flaschenpost mit Hilfe der Zuschauer auf. Das Schiff ist der Einheitsspielort, auf dem sich das Paar dann auch zu seinem heimlichen Stelldichein trifft und auf dem Kurwenal den Helden in dessen Heimat entführt. Durch eine kleine Textänderung kann Isolde vom nacheilenden Schiff mit Hilfe eines Rettungsrings aus dem Meer gefischt werden.
Erneut hat Marko Zdralek als Bearbeiter Wagners Partitur reduziert; während das Orchester für diese Partitur in Bayreuth annähernd 90 Spieler zählt, kommt das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt (Oder) erneut mit knapp 30 Instrumentalisten aus. Textbearbeiter Daniel Weber basiert die auf 95 Minuten Spieldauer reduzierte Handlung auf die beliebtesten Teile dieses Musikdramas, welche er durch Dialoge verbindet, die teilweise melodramatisch erklingen und so die Exzerpte nicht ungeschickt verknüpfen.
Bisweilen fühlt sich der Betrachter allerdings an Herbert Rosendorfers Travestie „Don Tristano e Donna Isotta“ erinnert, die ja auch eine kommentierte (Commedia-)Version der „Tristan“-Handlung mit den berühmtesten Szenen als musikdramatischen Ausschnitten ist. So wird in der Kinderoper das verbotene Treffen der Liebenden mit einem Spaghetti-Mahl definiert – von welchem die Liebenden in keuscher Umarmung nichts essen, was aber der ausgehungerte Melot um so mehr nachholt. Zur Trankzubereitung hat Isolde ein ganzes Chemielabor mitgebracht. Tristan, der zunächst als Fischfänger eingeführt wird, erklärt Isolde – wie Brechts „Galilei“ – mit Hilfe von zwei Blechtellern den erwünschten Tod als Stillstand von Erde und Sonne. Und Brangäne färbt den roten Liebestrank mithilfe der Fischsleber zum vermeintlichen Todestrank um.
Nach dessen Einnahme begibt sich das Paar, mit je einer blauen Blume bedeckt, in Grabesposition, bis die Füße von Tristan und Isolde kräftig zappelnd die Fortdauer des Lebens signalisieren. Synästhesie assoziiert die Gleichsetzung von Fernrohr und Schalmei, die Kurwenal aus dem Orchester gereicht bekommt (während das Englischhorn-Solo offenbar als Einspielung erklingt). Was der Festspielbühne recht ist, mag auch bei der Oper für Kinder als naheliegend erscheinen; so kommt erstmals in dieser Reihe Video zum Einsatz: ein Sternenhimmel in Bewegung, der an Spiegelkugeln gemahnt, und mit den letzten Takten erwacht das Liebespaar im Film zu neuem Leben und verlässt das Todesschiff.
Trotz häufig unterbrochener endloser Melodie bleibt horizontal und vertikal doch viel von Wagners originaler Klanggewalt erhalten, insbesondere durch eine erstklassige Sängerbesetzung. Iréne Theorin, die bis vergangenen Sommer die Isolde in der Inszenierung von Christoph Marthaler auf der Festspielbühne verkörpert hat, aus nächster Nähe zu hören und in ihrem hier witzig zugespitzten Spiel als irische Prinzessin zu erleben, ist ein seltener Genuss. Ihr zur Seite ist Hans-Georg Priese ein jugendlicher, stimmgewaltiger Tristan, den man auch auf der Festspielbühne hören und sehen möchte. Jukka Rasilainen, der in den Vorjahren den Kurwenal ebenfalls in der Marthaler-Inszenierung verkörpert hat, liefert hier eine divergierende Charakterstudie als alter, zotteliger Haudegen im Schuppenpanzer. Simone Schröder, auch in den Vorjahren bei „Wagner für Kinder“ mit von der Partie, ist eine gut intonierende, witzig spielende Brangäne und Stefan Heibach hier in Personalunion der Junge Seemann mit dem Namen Melot. Martin Snell, im Vorgänger-„Tristan“ der Steuermann, ist zu König Marke, mit goldener Krone auf der Glatze, aufgestiegen.
Dirigent Boris Schäfer gelingt es, am Pult des Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt den Spannungsbogen stets neu anzufachen und zu halten. Der Mischklang dieser Formation ist voll und sauber, – und wenn das Blech im verdeckten Abgrund patzen darf, so sei dies auch den engagierten Kollegen auf der Probebühne IV gestattet.
Im Jahr des 200. Geburtstages waren es Schüler aus Schulen aus Wagners Vaterstadt Leipzig, die in einem Mal-Wettbewerb ihre Ideen für eine szenische Realisierung der Kostüme entwickelt hatten. Wie bereits im Vorjahr sorgte der Studiengang Maskenbild der Bayerischen Theaterakademie August Everding für innovative Maske. So trägt beispielsweise Isolde, mit überlangem Haarzopf, als Schmuck einen goldenen Permanenttränenfluss auf ihrer Wange.
Die gelungene Kurzfassung erntet nach 95 Minuten viel Zuspruch, mit Bravorufen und Trampeln für die großen Solisten, für Dirigent, Regieteam und für den musikalischen Bearbeiter. Beim Verlassen dieses Wagner-Theaters auf Zeit durften die Kinder je ein farbig gefülltes Reagenzglas mit nach Hause nehmen, aber sie mussten sich entscheiden für Todes- oder für Liebestrank. Das Ergebnis der Wahl wäre allerdings vermutlich auch ohne Wagners Handlung für die Liebe ausgefallen.
Weitere Aufführungen: 28., 29., 30., 31. Juli, 1., 2., 3., 5. und 6. August 2013.