Das hätte Füssen niemand zugetraut: Die kleine Stadt mit malerischem Altstadtkern und Wiege der Lautenbauer am südlichen Ende der A7 besitzt die größte Drehbühne Europas. Auf dieser wurde schon das Musical „Ludwig II“ mit echtem Wasserpool als Starnberger See und lebenden Pferden vor der Kutsche aufgeführt. Was liegt da also näher, als dort die erste Andreas-Gabalier-Show als Eurovision-Sendung aufzunehmen.
Mit bisher im Ostallgäu ungeahntem logistisch-technischen Aufwand fielen die Verantwortlichen auf dem Gelände des am Stadtrand liegenden Festspielhauses ein. Hermetisch wurde abgeriegelt. Schon Tage vor dem Aufzeichnungstag konnten Einheimische nicht mehr ans Festspielhaus heran. Kein Wunder, nahmen doch schon die ersten Stars wie „The Boss Hoss“ ihre Show auf, die dann bei der Aufzeichnung eingespielt wurden.
Bewunderung für den Fahrer des immens-tonnenschweren Übertragungswagen des SRF: Es muss einige Schweißperlen gekostet haben, bis der „Weiße Riese“ da stand, wo er sollte. Enge Kurven machten das Rangieren ums Festspielhaus sicher nicht leicht. Bewunderung auch für die Siebzig Securitys, die ab sieben Uhr auf ihrem Posten bis weit nach Mitternacht freundlich ausharrten oder als Chauffeure der Shuttles beim örtlichen Sponsoren-Autohaus eingesetzt waren. Die Polizeiinspektion Füssen, die „von einem der schöneren Einsätze“ sprach, hatte 25 Einsatzkräfte vor Ort geschickt. Das THW leuchtete die rabenschwarzen Wege neben der B16 aus, damit Show-Besucher sicher den Weg zu ihrem Fahrzeug fanden. Eine riesige logistische Herausforderung, die die Stadt in Zusammenarbeit mit dem Organisator der Show meisterte.
Die Gemeinschaftsproduktion von ORF, SRF und BR hatte die österreich-schweizerische ip-Media auf die Beine gestellt. Ein erstes Event im Drei-Jahresvertrag mit dem Haupt-Sponsor Füssen Tourismus und Marketing GmbH, dessen Chef Stefan Fredlmeier mit seinem Team nichts unversucht lässt, um Füssen über die Landesgrenzen hinaus bekannt zu machen. Ein Glücksfall, dass ip-Media auf das Füssener Festspielhaus aufmerksam wurde.
„… ein Name, der klingt, mir aber nicht bekannt ist“
Die Werbetrommeln für die Eurovision-Show begannen bereits Anfang des Jahres regional zu schlagen. Trotzdem wurden im Vorverkauf nur 1200 von 3500 Karten verkauft. Man hatte auf die Abendkasse gehofft, zumindest für den Outdoor-Bereich. Der Allgäuer an sich ist ja skeptisch, was Neues anbelangt und das Wetter war dieses Jahr nicht allzu zuverlässig. Also lieber abwarten. Aber die Rechnung der Organisatoren ging auf, das Wetter spielte ab nachmittags mit und rechtzeitig zum Aufnahmebeginn füllte sich auch der Outdoor-Bereich mit Zuschauern im Alter von sechs bis sechzig.
„Andreas Gabalier – ein Name, der klingt, mir aber nicht bekannt ist“, dachte die Autorin. Naja, Austro-Pop. Davon hört man ja schon seit Jahren nichts mehr. Fendrich und Konsorten sind in die Jahre gekommen, machen nur noch wenig Medienwirksames. Falco ist tot, aber der war eh nicht unbedingt diesem Genre zuzuordnen. Der Hubert, der von Goisern, der macht ja hin wieder noch mal von sich reden. Aber sonst?
Bei der NMZ gelernt: man muss sich vorbereiten. Glücklicherweise gibt es heute Google. Vier Stunden und noch hat man nicht alles gesehen, was es an Konzertmitschnitten und Talkshows mit dem 29jährigen Steirer gibt.
Zugegeben: ein charmanter Kerl mit Undercut und immer glatt rasiertem Kinn (ebenso wie unter den Achseln, wie man bei Spiegel-online jüngst erfahren durfte). Aber das erwartet der geneigte Mensch auch von einem Österreicher, den Charme. Ergebnis der Recherche: Staunen. Der Volks-Rock'n-Roller, wie er sich selbst nennt und ins stramme Wadel hat tätowieren lassen, hat Stimme! Und was für eine! Klar, laut und kräftig mit sexy Kratzen an den richtigen Stellen. Nicht nur das: er beherrscht auch seine Harmonika bestens, ebenso das Klavier.
A bisserl wie Elvis
Ja, doch „I sing a Liad für Di“ kam bekannt vor. „... a Ledahos'n-Jodler“ schon weniger. Interessant die Lebensgeschichte des Jura-Abbrechers in Lederhose und Unterhemd zu lesen.
A bisserl wie Elvis, nur war's beim österreichischen Barden eine Angebetete, für die er ein Gedicht geschrieben haben soll, das er mit Nachbarn vertonte (so zeigt es ein Einspieler in der Show). Der Liebesleidende brachte das Werk zum ORF nach Graz. Das Werk kam im Radio und der Rest ist fünfjährige Geschichte eines ungeahnten Erfolges! Skepsis macht sich breit beim Leser. Aber gut, ein Werbe-Einfall? Na dann.
Eine Show, vermutlich ein neuer Musikantenstadl – von wegen. Zwar kamen Fans in Scharen im Dirndl und in Lederhose. Karierte Hemden und Blusen – insbesondere rot-weiße (Austria – Anm. d. A.) überwogen deutlich. Auch die scheinbar legendäre Sonnenbrille des Volks-Rock'n-Rollers in gleichem Muster ist offenbar ein unbedingtes Must-Have, ebenso das Gabalier-„Schneuztüacherl“, getragen am Hand- oder Fußgelenk – oder an beidem.
Schon das Programm deutete darauf hin, dass etwas anders sein könnte als bei Andy Borg am Samstagabend: Sarah Connor, Jeanette Biedermann, Rea Garvey, Zucchero, Voxxclub, Scorpions, Imelda May, Status Quo und viele mehr sollten nach Füssen kommen. Bisher waren Kaliber dieser Größenordnung höchsten bis in die Kemptener BigBox gereist, südlicher eher nicht.
Tatsächlich, sie waren alle da – im Festspielhaus gegenüber dem weltbekannten Märchenschloss. Da waren auch Journalisten und Fotografen aller Gazetten und Sender. Die Show konnte beginnen.
Kurz vor der Aufzeichnung betrat Andreas Gabalier die Bühne im Outdoor-Bereich, frenetisch von den Zuschauern begrüßt, die seinen Hit „I sing a Liad für di“ begeistert mitsangen. Natürlich durfte der „Oarsch-Wackler“ dabei nicht fehlen. Elvis war gestern, heute ist Gabalier. Charmant umgarnte der Barde die Fans, von Lampenfieber ob seiner ersten TV-Show war nichts zu spüren.
Anschließend verschwand der Austria-Star gen Indoor-Bereich, die Aufzeichnungsbühne rief. Hans Bernhard „Fleischi" Fleischmann, Bayern 3s populärster Weckrufer, übernahm das Mikrofon und wies die Fans frech und charmant in die Aufzeichnungsmodalitäten ein. „Ihr sollt Spaß haben, und Ihr werdet alle Teil der Eurovision-Show!“ (Bei einem Eintrittspreis von 35 Euro sollte doch wohl Spaß garantiert sein.)
Über die große Leinwand auf der Outdoor-Bühne nahmen die Open-Air-Zuschauer am Geschehen drinnen teil. Schon am Nachmittag hatten „Warm-up-Bands“ die Fans gnadenlos mit Country-Musik und Rock'n Roll unterhalten. Der Schweizer Tobey Lucas war erstmals mit Band aufgetreten, strahlte über dieses neue Erlebnis und hoffte, „dass es nicht das letzte Mal war“. „The Monroes“ übernahmen danach die Bühne, wobei Frontmann Hanno Pinter auf dem Laufsteg über dem Festspielhaus-Brunnen hautnah Kontakt zum Publikum aufnahm und alle in der Abendsonne zum Tanzen und Klatschen animierte – auch alternde Fotografinnen. Der Festspielhaus-Park rockte und rollte. Ob die Segelschiffe, die hinter der Bühne vor Anker gegangen waren, dabei in die Gefahr zu kentern kamen, konnte Dank der hermetischen Zaun-Abriegelung nicht beobachtet werden. Allerdings soll eine Kamera-Drohne auf ein Segelschiff gestürzt sein, der Sachschaden hielte sich Grenzen.
Kreischend wurde „Voxxclub“ begrüßt. Die sechs kernigen Buam aus Deutschland, Österreich und der Schweiz enterten stapfend im frechen Lederhosen-Outfit die Bühne. Die sechsköpfige A-cappella-Band der Volkstümlichen Musik, wie es in Wikipedia heißt, stellte ihre neue CD „Ziwui Ziwui" vor und war Teil der TV-Aufzeichnung. Klar, dass Andreas Gabalier raus auf die Bühne kam und mitsang. Für die Zuschauer ein Highlight: Die Szene musste wiederholt werden.
Überhaupt: Der erfolgreiche Sänger sang und tanzte mit fast allen seinen Gästen, die meist zwei bis drei Songs interpretierten: Mit Jeanette Biedermann, die endlich wieder sie selbst zu sein scheint „All Night Long“, mit Sarah Connor, der er versehentlich ein Bein stellte „You Shook Me All Night Long“ (wird die Szene raus geschnitten?) und mit den Scorpions „Rock You Like A Hurricane“.
Matze Knoop witzelte, dass die „Scorpions“ leider nicht ihr „Wind Of Change“, mit dem sie die Berliner Mauer zu Fall gebracht hätten, in Füssen singen durften: „Das hat der Bürgermeister verboten – der hat Angst, dass dabei die Schlossmauern seines Märchenschlosses einfallen!“
Spätestens bei „Proud Mary“ im Duett mit der Schweizerin Stefanie Heinzmann wurde klar: Der Volks-Rock'n-Roller“ ist kein Austro-Pop-er, der hat noch mehr drauf. Mit Peter Kraus „der den Rock'n Roll nach Europa brachte“, so der Barde mit dem Hirschgeweih-Mikrofon, tauschte er die Rollen: Er versuchte sich im „Pelvis-Kraus-Schwung“ und Kraus im „Oarsch-Wackler“.
Zur Rockgeschichte gehört auch „Queen“ mit Freddie Mercury, an den das Ensemble des Musicals „We Will Rock You“ auszugsweise gedachte.
Respekt, Respekt!
Der Italiener Zucchero huldigte im Duett mit eingespielter Ton- und Film-Aufnahme von Luciano Pavarotti dessen Todestag, der sich am Sendetermin zum siebten Mal jährt. Mit Rufen „per Luciano“ forderte er das Publikum im Saal zu mehr Applaus auf, was nicht ganz glückte. (Was hat Pavarotti mit Rock'n Roll zu tun?)
Der rote Faden der Show? Rock'n Roll, der eng mit Gabaliers Lebensgeschichte verwoben sein soll. In der väterlichen Jukebox sollen all die Platten gewesen sein, die ihn inspirierten. Allen voran Jamie Lee Lewis, die einzig noch lebende Rock'n-Roll- und Country-Legende. Die besuchte der Volks-Rock'n-Roller in Nashville – was nicht ganz einfach war, gibt der Greis doch schon seit Jahren kein Interview mehr. Per „Einspieler“ wurde das Treffen gezeigt, gefolgt von anderen Filmen, die den Steirer als MotorBiker und Gipfelstürmer mit USA-Inspiration zeigen.
Nicht zu vergessen der Sketch-Einspieler um die „Hymne“. Mit Augenzwinkern versucht Gabalier wohl damit die Gender-Diskussion in seiner Heimat zu beenden, die es seit seinem Auftritt beim Formel-Eins-Rennen in Spielberg gibt. Er hatte dort den Originaltext der Bundeshymne „ohne die Töchter“ gesungen. Ob er allerdings, nach dem „Ritterschlag aus Kaisers Hand“ auch im purpurroten Freddie-Mercury-Königs-Gewand mit Krone auftreten musste, bleibt eine Geschmacksfrage.
Gender-Diskussion
Die Aufzeichnung endete nach dreieinhalb Stunden mit einem kurzen, aber fulminanten Feuerwerk. Wer dachte, er solle nun nach Hause gehen, hatte sich getäuscht. Das Rockabilly-Trio „The Baseballs“ tobte auf der Außenbühne ebenso weiter, wie der 75jährige Peter Kraus.
Zuvor hatte sich Gastgeber Gabalier per Kniefall beim Outdoor-Publikum für die gelungene Aufzeichnung bedankt: „Hier in Füssen habt Ihr den Rock'n Roll wiederbelebt!“ Und nebenbei freute er sich, „dass die hohen Fernseh-Chefs mit einem breiten Grinsen da hinten sitzen und sich freuen, weil die Aufzeichnung – auch Dank des Füssener Publikums – so super geworden ist!“
Respekt, Respekt! Eine Show einmal anders: frech, charmant, Altes neu interpretiert. Sogar das Fernsehballett scheint zurück, zumindest in der Gabalier-Show. Für alle Freunde des Rock'n Rolls ist die Sendung am 6. September ein sicheres Muss. Auch wenn Spiegel-Kollegen meinen, der Rock'n Roll sei schon lange tot und könne sich daher gegen die Show nicht wehren – seit Füssen lebt er wieder!