Natürlich ist es längst üblich, den Weg der Nixe Rusalka aus der Wasser- in die Menschenwelt tiefenpsychologisch zu verstehen: Antonín Dvořáks 1901 uraufgeführte Oper, die tschechische Variante des Undinenthemas, erzählt von Rusalkas Sehnsucht, eine andere zu sein, ein Mensch zu werden, weil sie sich in den badenden Prinzen verliebt hat.
Mithilfe der Hexe – übertragen so eine Art böse Stiefmutter – gelingt ihr das zunächst, aber sie ist stumm geworden. Der Prinz heiratet sie sogar, aber ein Akkulturation gelingt ihr nicht, sie bleibt in der Menschenwelt eine Fremde und der Prinz wendet sich der lebensfrohen „fremden Fürstin“ zu. Das Werk, das man zu den großen Opern des späten 19. Jahrhunderts zählen muss, wird zurzeit an mehreren deutschen Bühnen aufgeführt. Der Grund mag neben der überragenden Qualität der Komposition die aktuelle Psycho-Thematik sein.
Die Regisseurin Anna-Sophie Mahler, die zum vierten Mal eine große Frauengestalt am Theater Bremen inszeniert, führte nun die Bremer Neuinszenierung zu einem bejubelten Ereignis, indem sie sich auf einen Aspekt ganz besonders konzentriert. Dabei hat sie der Musik gut zugehört und aus der dauernden Verschränkung der Motive des Wassermannes, der immer dazwischenfunkt und dem Motiv des Mondes, der tröstet, ihre Geschichte des Erwachsenwerdens und der Emanzipation gebaut. Der Wassermann wendet Gewalt an, seine Lieblingstochter in der Familie zu halten. So spielt der erste Akt nicht im Wasser, sondern auf einem verkommenen Dachboden einer bürgerlichen Familie mit bröckelndem Putz und zerrissenen Tapeten (Bühne: Duri Bischoff): ein „Seelenhaus“, wie Mahler mit Bezug auf Sigmund Freud sagte. Doch Rusalka setzt auf der Suche nach einem eigenen sinnerfüllten Leben ihren Willen durch, im „Glanz der Sonne“ leben zu wollen: Patricia Andress findet sowohl stimmlich – ständig zwischen lyrisch und hochdramatisch – als auch darstellerisch eine Fülle von Nuancen für ihre seelische Not. Einer der Höhepunkte ist ihr stummer Schrei während des polternden oberflächlichen Festes, nur im Orchester ausgedrückt.
Mahler bleibt strikt bei ihrer Sichtweise, dass sich hier ein Kind vom Vater lösen muss. Dessen widerlichen, immer auch sexuell konnotierten Umgang mit seinen Töchtern singt und spielt Claudio Otelli mitreißend und erschütternd. Es reicht also nicht, dass dieser Mann irgendwie verschwindet. So verändert Mahler den Schluss: Rusalka tötet mit ihrem Kuss nicht den Prinzen wie im Original – der stirbt von alleine unter den Hochzeitskleidern Rusalkas an seiner Illusion, Rusalka lieben zu können –, sondern ihr Todeskuss gilt dem Wassermann. So zeigt diese Aufführung eine Hoffnung auf, dass Rusalka nicht nur gescheitert ist, sondern dass sie mit ihrer entschlossenen Tat einen Lebensweg für sich finden könnte, nicht mehr im Wasser und auch nicht bei den Menschen.
Der Abend war auch der offizielle Einstand des neuen ersten Kapellmeisters Hartmut Keil – vor ein paar Monaten hatte er schon Puccinis „Gianni Schicchi“ dirgiert. Keil konnte sich auf einen fabelhaften Orchesterklang mit wunderbaren Solostellen stützen und gestaltete die unerhörten Kontraste – Wagners Leitmotivik ebenso wie tschechischer Ton – geradezu gemeißelt in einem soghaften Schwung: Musik, die den Hörer nicht so schnell wieder loslässt. Weitere sängerische Akzente setzten Nadine Lehner als fiese „fremde Fürstin“, Romina Boscolo als Hexe und Loren Lang. Luis Olivares Sandoval als Prinz rundete die große und homogene SängerInnenbesetzung ab.
- Die nächsten Termine: 11., 17., und 25. November, 13., 21., 25., und 29. Dezember 2017, 7. und 20. Januar 2018